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"Wann hat Tottenham mal ein großes Spiel gewonnen?": Die Spurs stecken in einem Abwärtsstrudel - und ausgerechnet Mathys Tel soll sie daraus befreien

Es ist nicht ganz sechs Jahre her, da stand Tottenham Hotspur vor der ultimativen Krönung. Der chronisch titellose Klub stand im Finale der Champions League, hatte sich den Weg dorthin in rauschenden Duellen mit dem BVB, Manchester City und Ajax gebahnt. Es fehlten 90 Minuten, um eine großartige Europapokalsaison zu krönen und das Image des sympathischen Verlierers abzuschütteln.

Es kam anders, der Ausgang der Geschichte ist bekannt. Jürgen Klopps FC Liverpool war im Wanda Metropolitano von Madrid zu stark und gewann das Endspiel der Königsklasse relativ souverän mit 2:0. Wieder hängende Köpfe bei den Nordlondonern, die damals noch vom heutigen Bayern-Star Harry Kane angeführt wurden.

Von der Chance, um den Henkelpott zu kämpfen, ist Tottenham rund ein halbes Jahrzehnt später meilenweit entfernt. Die Spurs rangieren in der Premier League im unteren Mittelfeld und belegen einen indiskutablen 14. Tabellenplatz. Der Vorsprung auf die Abstiegsränge (10 Punkte) ist deutlich geringer als der Rückstand auf die Champions-League-Plätze (16 Zähler).

Und wenn es noch eines Beweises bedurft hätte, wie weit Tottenham mittlerweile von der (nationalen) Spitze entfernt ist, dann wurde dieser am vergangenen Donnerstag im Halbfinale des Carabao Cups erbracht. Nach einem 1:0 im Hinspiel ging die komplett überforderte Mannschaft von Trainer Ange Postecoglou in Liverpool mit 0:4 baden.

Kein Wunder, dass seit einigen Wochen eine Debatte um den Coach entbrannt ist. Dabei liegen die Probleme des Traditionsvereins deutlich tiefer - und eine Leihgabe vom FC Bayern soll nun helfen, sie mindestens zu übertünchen und bestenfalls zu lösen.

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    Jose Mourinho, Nuno Espirito Santo und Antonio Conte blieben nicht lange bei Tottenham

    Der Niedergang, wenn man ihn so bezeichnen mag, begann bei Tottenham sogar schon vor dem Einzug in besagtes CL-Finale. Etwa ein Jahr zuvor forderte der damalige Teammanager Mauricio Pochettino während einer Pressekonferenz eindringlich Verstärkungen für seine Mannschaft. Der ehrgeizige Argentinier bemängelte mehr oder weniger deutlich, dass der Verein sein Augenmerk auf den Bau des prächtigen neuen Stadions gelegt hatte und ohne dessen Namen zu sagen wandte er sich an den mächtigen Klubchef Daniel Levy, als er sagte: "Wenn man über Tottenham spricht, sagt jeder, dass wir ein tolles Haus haben. Aber wenn man ein schönes Haus haben will, dann muss man auch schöne Möbel reinstellen."

    Vorstandsboss Levy ist dafür bekannt, das Rampenlicht zu scheuen, vor allem, wenn die Spurs in Schwierigkeiten stecken. Er ließ Pochettinos Wunsch nach neuen Spielern verhallen und erklärte wenig später lediglich, es sei nicht zu großen Verpflichtungen gekommen, weil "Transfers durch mehrere Variablen kompliziert waren". Pochettino gelang dennoch der Husarenritt durch Europa, bei dem zweifellos auch das Glück den Hauptstädtern hold war.

    Dieses Glück verließ den Klub wenig später. Der Zyklus der Mannschaft war offensichtlich vorbei, Pochettino wirkte gereizt und musste schließlich gehen. Transfertechnisch gab es Aktivitäten, die wie Flickschusterei wirkten. Und wenn mal vergleichsweise viel Geld in die Hand genommen wurde, floppten die Spieler reihenweise. Wie zum Beispiel Dominic Solanke, Richarlison und Tanguy Ndombele. Die drei teuersten Spieler der Vereinsgeschichte kosteten zusammen knapp 185 Millionen Euro, erfüllten die hohen Erwartungen aber nicht.

    Noch schwerwiegender aber: Auch für die Trainerbank traf Levy mehrere schlechte Entscheidungen. Jose Mourinho schaffte es zwar ins League-Cup-Finale 2021, musste aber kurz vorher gehen. Nachfolger Nuno Espirito Santo war ebenfalls nach nicht einmal einem Jahr Geschichte.

    Dann kam Antonio Conte, der einzige Trainer, der Tottenham seit dem Weggang Pochettinos zu einer Top-4-Platzierung in der Premier League führte. Wer Conte kennt, der weiß, wie ehrgeizig und vor allem auch unbequem er ist. In einer denkwürdigen Pressekonferenz lederte er Anfang 2023 zehn Minuten lang gegen seine Spieler, seinen Verein und die dort herrschende Mentalität, die den Kampf um Titel unmöglich mache. Wenig später war er seinen Job los.

    In den fünf Spielzeiten mit Pochettino an der Seitenlinie belegten die Spurs die Plätze fünf, drei, zwei, drei und vier. Seit seinem Abgang sind sie Sechster, Siebter, Vierter, Achter und Fünfter geworden.

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  • Tottenham bannerGetty Images

    Tottenham Hotspur: Fans fordern Abgang von Daniel Levy

    Diese Entwicklung hat Levy bei den Fans eine Menge Sympathien gekostet. Der erfolgreiche Geschäftsmann leitet den Klub seit Februar 2001. Er machte sich als knallharter Verhandlungspartner einen Namen und führte Tottenham wirtschaftlich zu großen Erfolgen. Der Höhepunkt war sicherlich der Bau des rund 1,2 Milliarden Euro teuren Tottenham Hotspur Stadium, welches 2019 eingeweiht wurde. Die Fans aber lechzen nicht nach starken Finanzen oder einer prunkvollen Arena, sondern nach sportlichen Triumphen. Seit den 1970er Jahren haben die Spurs nichts Nennenswertes mehr gewonnen.

    Wenig Feingefühl zeigte der 60 Jahre alte Levy, der mit einem Jahresgehalt von rund 6,5 Millionen Euro zu den bestbezahlten Klubbossen überhaupt zählt, während der Coronapandemie, als er wegen der finanziellen Einbußen Mitarbeiter vor die Tür setzen wollte. Der Aufruhr war enorm, er verwarf die Pläne wieder. Ähnlich, wie es ein Jahr später mit der European Super League der Fall war. Tottenham war einer jener sechs abtrünnigen PL-Klubs, die die neue Liga mitgründen wollten und die nach Fanprotesten davon schnell wieder Abstand nahmen.

    Der Vorwurf an Levy lautet, er führe den Klub wie ein Wirtschaftsunternehmen und nicht wie einen Fußballverein. Dazu sitze er auf dem Geld und investiere nicht genug in die Mannschaft. Zum gesunkenen Ansehen Levys beim eigenen Anhang und der schlechten Stimmung haben außerdem hohe Ticketpreise und die Abschaffung von Ermäßigungen beigetragen. Mehr oder weniger offen fordern Fans mittlerweile seinen Abgang. Während der 1:2-Niederlage gegen Leicester City vor wenigen Wochen gab es Sprechchöre gegen Levy, dazu enthüllten Fans ein Banner mit der Aufschrift: "Zeit für Veränderung".

  • TSG 1899 Hoffenheim v Tottenham Hotspur - UEFA Europa League 2024/25 League Phase MD7Getty Images Sport

    Tottenham ist unter Ange Postecoglou inkonstant

    In dieser Gemengelage müht sich seit 2023 Ange Postecoglu als Trainer. Der Australier kam von Celtic und musste direkt miterleben, wie Galionsfigur Harry Kane für knapp 100 Millionen Euro Ablöse an den FC Bayern verkauft wurde. Postecoglu ist zweifellos ein guter Trainer. Sein "Ange-Ball" ist teils atemberaubend anzuschauen. Er gilt als Menschenfänger, Pressekonferenzen mit ihm haben regelmäßig hohen Unterhaltungswert. In seiner ersten Saison führte er die Spurs auf den fünften Platz, nur zwei Punkte fehlten zur Rückkehr in die Champions League.

    Postecoglu äußerte im Sommer deutlich, dass er für den Gewinn von Titeln nach London gekommen sei. Der nächste Schritt sollte gemacht werden und umso enttäuschender ist die Entwicklung in dieser Saison. Die Spurs werden von großen Verletzungsproblemen geplagt und präsentieren sich defensiv teils vogelwild. Konstanz? Fehlanzeige! Tottenham gewann auswärts ohne ein Gegentor jeweils haushoch bei Manchester City und Manchester United. Dafür setzte es aber Heimniederlagen gegen die Kellerkinder Ipswich Town, Leicester City und Everton. Zuletzt schied man am Sonntag dann im FA Cup bei Aston Villa in Runde 4 aus und muss mal wieder eine Titelhoffnung begraben. 1:2 hieß es am Ende, in der Nachspielzeit gelang ausgerechnet Neuzugang Tel noch der letztlich bedeutungslose Anschlusstreffer. Der Franzose hatte erstmals in Tottenhams Startelf gestanden.

    Im Gegensatz zu seinen Vorgängern verzichtet Postecoglou derweil darauf, öffentlich gegen seine Bosse zu schießen. Er verpackt seinen Wunsch nach neuen Spielern eher so: "Ich habe die ganze Zeit gesagt, dass die Spieler Hilfe brauchen, und ich habe auch gesagt, dass der Verein in diesem Bereich hart arbeitet, um zu versuchen, einige dieser Probleme zu lindern. Die Spieler gehen da raus und geben alles, was sie können, denn wir können keine Spiele absagen."

    Kritik am 59-Jährigen gibt es aus zwei Gründen: Sein offensiver Ansatz ist erfrischend und kann gegen jeden Gegner zum Erfolg führen. Greift allerdings mal nicht ein Rädchen ins andere, dann sind die Spurs extrem anfällig. Zum anderen heißt es, sein aufwändiger Spielstil spiele bei den vielen Blessuren seiner Akteure eine Rolle.

    "Als ich diese Aufgabe übernommen habe, wollte ich versuchen, den Verein zu vereinen und ein Umfeld zu schaffen, in dem wir uns alle auf eine Sache konzentrieren", sagte Postecoglou kürzlich. "Offensichtlich hat das nicht so funktioniert. Wie Sie schon sagten, ist es verständlich, dass die Fans mit unserer derzeitigen Situation nicht zufrieden sind. Es ist schwierig, damit umzugehen, denn wir brauchen sie gerade jetzt, besonders zu Hause, um eine Atmosphäre zu kreieren."

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    Thierry Henry vermisst bei Tottenham die Identität

    Vor gut einer Woche äußerte sich Thierry Henry in seiner Funktion als Experte bei Sky Sports zu Tottenhams Situation. Die Legende von Erzrivale Arsenal kennt sich im Norden Londons gut aus und ist bekannt für messerscharfe Analysen. Der Franzose sieht die aktuellen Schwierigkeiten als Ausdruck einer mangelnden Identität des Vereins.

    "Am Ende des Tages: Was ist die Philosophie und die Identität dieses Klubs?", fragte er: "Als ich noch Spieler war, da konzentrierten sich alle Spurs-Fans nur auf Arsenal. Konzentriert Euch auf Euch selbst! Wenn Ihr Euch auf Arsenal fokussiert, dann läuft etwas verkehrt. Dasselbe ist es mit Everton und Liverpool. Eure Freude bekommt ihr durch unsere Trauer."

    Und weiter: "Was ist die Ausrichtung des Vereins? Was willst Du erreichen? Willst Du ein schönes Stadion haben? Wirtschaftlich gut dastehen? Aber was ist mit dem Gewinnen von Spielen? Ja, ich verstehe, dass die absoluten Spitzenspieler vielleicht nicht kommen wollen. Aber schaut Euch eine Mannschaft wie Brentford an. Sie geht geschlossen nach vorne und geschlossen nach hinten. Wenn ich Tottenham spielen sehe, dann erlebe ich eine Mannschaft, die jeden Gegner auseinandernehmen kann. Aber das Umschaltspiel und die offensive Balance existieren nicht. In der Verteidigung machen sie es nicht gut."

    Henry wiederholte, dass es um die Philosophie des Klubs gehe und schloss: "Wenn Du Dir die richtige Frage stellst, dann wirst Du die richtige Antwort erhalten."

    Noch fataler als Henry äußerte sich der ehemalige Liverpooler Jamie Carragher. Er ätzte nach dem 4:0 seines Ex-Klubs gegen Tottenham am Donnerstag, er habe am Weiterkommen der Reds "nie gezweifelt: Das ist Tottenham! Wann hat Tottenham mal ein großes Spiel gewonnen? Wann ist Tottenham mal irgendwo angetreten und hat gegen die Wahrscheinlichkeit gewonnen?"

    Er ergänzte: "Es ist nicht nur das aktuelle Spurs-Team. Sie schocken uns niemals und schaffen etwas Außergewöhnliches. Ich versuche gerade, mich an das letzte große Spiel zu erinnern, das sie gewonnen haben. Vermutlich war es damals das Champions-League-Halbfinale gegen Ajax. Aber da hatten sie riesiges Glück und wurden während eines Großteils des Spiels verdroschen."

    "Wann immer Tottenham ein großes Spiel hat, glaubt niemand wirklich, dass sie gewinnen werden", so der ehemalige englische Nationalspieler weiter. "Nicht ein einziger Tottenham-Fan hier im Stadion heute Abend hat geglaubt, dass sie gewinnen."

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    Mathys Tel ist Tottenhams Hoffnungsträger

    Der Silberstreif am Spurs-Horizont heißt Mathys Tel. Der junge Stürmer kam nach einer intensiven Transfersaga am Deadline Day vom FC Bayern. Sein Wechsel galt bereits als geplatzt, ehe er doch noch auf Leihbasis samt Kaufoption bei den Spurs anheuerte. Postecoglou persönlich überzeugte ihn vom Engagement in Englands Hauptstadt. Die Frage ist aber: Taugt ein Teenager, der in München kaum gespielt hat und bis zu seinem Tor gegen Villa in dieser Saison noch ohne Treffer war, in einer fremden, höchst anspruchsvollen Liga ernsthaft zum Hoffnungsträger?

    Die Fans sind jedenfalls euphorisch, Postecoglou war es zunächst auch. Einen Dämpfer aber setzte es für Tel gleich beim Debüt. In den rund 45 Minuten, die er bei der Klatsche gegen Liverpool ran durfte, wirkte er hilflos. Nicht nur spielerisch, sondern auch in Bezug auf das Verhalten seiner Mitspieler. Mehrfach animierte er seine Nebenleute, ins Pressing einzusteigen. Und mehrfach gestikulierte er enttäuscht, als niemand mitmachte.

    So bleibt zunächst die durch sein Tor gegen Villa wieder gestiegene Hoffnung, dass Tel sich schnell akklimatisiert und seine Nebenleute mitreißt. Helfen soll außerdem, dass Schlüsselspieler wie Cristian Romero, Micky van de Ven, Destiny Udogie und Guglielmo Vicario demnächst wieder fit sind. Mit dem ehemaligen Augsburger Kevin Danso (26) kam zudem ein weiterer Innenverteidiger aus Lens, sowie mit Min-hyeok Yang (18, Rechtsverteidiger) und Antonin Kinsky (21, Torwart) zwei Talente für die Zukunft.