Eine Mischung aus "gerade noch mal gutgegangen" und der Sorge, dass man dieses am Ende zu knappe 3:2 gegen den FC St. Paulisehr teuer, nämlich mit einem weiteren Langzeitverletzten bezahlt haben könnte (eine Sorge, die sich am Sonntag als leider berechtigt erwies), herrschte bei Spielern, Offiziellen und Beobachtern des FC Bayern München in den Katakomben der Allianz Arena am Samstag.
gettyStarke Offensive um Leroy Sané bringt Pflichtsieg gegen St. Pauli: FC Bayern geht schon vor der Crunch Time auf dem Zahnfleisch
Getty Images SportFC Bayern: Seriös in Top-Spielen, flatterhaft und sorglos im Alltag
Die Bayern waren ja zuletzt in der Bundesliga zu Punktelieferanten wider Willen für Abstiegskandidaten geworden - 2:3 gegen den VfL Bochum, 1:1 gegen Union Berlin - und das just, als Bayer Leverkusen wieder begann, Bayer-Leverkusen-Dinge zu tun. Der amtierende Meister besiegte nach dem Aus in der Champions League im deutschen Duell gegen den FCB in der Bundesliga erst den VfB Stuttgart mit mehr Glück als Verstand 4:3 (Eigentor VfB in der Schlussphase, Siegtreffer Leverkusen in der Nachspielzeit) und besiegte am Freitag zum Auftakt des 27. Spieltags das aufopferungsvoll kämpfende Bochum mit 3:1.
Bayern stand also gegen St. Pauli durchaus unter Druck, drei oder auch vier Punkte Vorsprung sieben Spieltage vor Schluss hätte Leverkusen als Einladung verstehen müssen, doch noch mal alle Register zu ziehen im Titelkampf. Dabei machen die Bayern aktuell nicht gerade den Eindruck, als ob sie in dieser Vor-Crunch-Time mit zu viel Spannung in der Bundesliga irgendwas anfangen könnten.
Die Bundesliga, sie scheint den Münchnern nicht unbedingt lästig, aber sie hätten die Pflichtaufgabe wohl schon gern bald erledigt.
Die Gedanken sind womöglich schon bei Inter Mailand und dann vielleicht bei Barcelona (oder sogar dem BVB) und womöglich auch beim Traumfinale dahoam reloaded gegen Real Madrid. Oder gegen PSG. Oder ganz anders, es sind ja auch noch Aston Villa und der FC Arsenal im Wettbewerb und noch sind, wie gesagt, ja nicht mal die Viertelfinalspiele der Champions League gespielt. Aber so seriös und entschlossen die Bayern zuletzt im Achtelfinale gegen Leverkusen und ihre Nationalspieler in den Nations-League-Duellen gegen Italien auftraten, so flatterhaft wirken ihre Leistungen derzeit in der Bundesliga. Und da half es auch nichts, dass Trainer Vincent Kompany sich nach eigener Aussage die gesamte Woche nur mit St. Pauli beschäftigt habe. Bayerns Spieler agieren in der Bundesliga gerade hin und wieder mit einer gewissen Sorglosigkeit, die man ihrem Trainer angesichts der Verletztensituation gerne wünschen würde.
Getty Images SportFC Bayern gegen FC St. Pauli: Enorme Lücken zwischen den Ketten
Sicher, gegen die mutigen, gut eingestellten und sehr schön vertikal spielenden Kiezkicker konnten sämtliche Offensivspieler der Münchner glänzen und sich gute Noten erspielen. Ohne den vor allem von Jamal Musiala betriebenen Chancenwucher hätten die Bayern in der zweiten Halbzeit mindestens vier und nicht nur zwei Tore erzielen müssen. Doch dass Leroy Sané auch an dieser Stelle nicht ausführlicher für seine Galavorstellung und seine zwei Treffer in der zweiten Halbzeit gelobt wird, lag eben nicht am Chancenwucher und St. Paulis spätem Gegentreffer.
Sondern vor allem an einer gewissen Leistungsunwucht zwischen Offensive und Defensive, an diesen enormen, wiederkehrenden Lücken zwischen den Münchner Ketten, die auch der gewohnt fleißige Joshua Kimmich nicht zulaufen konnte, und der bisweiligen ziemlich fragwürdigen Münchner Verteidigungsstrategie Marke Larifari, die folgerichtig zu den Gegentoren führten und den 21-jährigen Torhüter Jonas Urbig nach dem 2:3 zu einem mittelschweren Wutanfall gegen seine deutlich älteren Vorderleute trieben.
Doch es ging ja nochmal gut für den FCB: St. Paulis Anschlusstreffer kam zu spät und sechs Punkte Vorsprung auf Leverkusen vor dem 28. Spieltag sind im Plan.
Getty Images SportFCB-Trainer Vincent Kompany: "Die Verletzung von Hiroki Ito trübt das Ergebnis"
Wenn da nicht die Sorge um den nächsten Verletzten wäre, die die Stimmung nicht nur bei Trainer Vincent Kompany ganz schön trübte. "Wenn die letzten fünf Minuten und Hirokis Verletzung nicht gewesen wären, wäre ich mit dem Ergebnis und der Leistung sehr zufrieden gewesen", sagt Kompany, "aber die Verletzung von Hiroki Ito trübt das Ergebnis."
Hätte der belgische Cheftrainer da schon gewusst, dass sich Ito erneut schwer am Fuß verletzt hatte, wie am Sonntagmorgen bekannt wurde, er hätte nicht nur von einer Eintrübung gesprochen.
In der 88. Minute hatte sich der eine halbe Stunde zuvor eingewechselte 25-Jährige verletzt. Nach einem Zweikampf mit Noah Weishaupt krümmte sich der Japaner vor Schmerzen am Boden und deutete auf seinen rechten Fuß. Zwar konnte Ito den Platz nach kurzer Behandlung ohne Hilfe alleine verlassen und lief später auch ziemlich rund und augenscheinlich schmerzfrei durch die Mixed Zone, doch angesichts seiner Vorgeschichte waren die Befürchtungen nicht eben gering.
Zweimal musste Ito seit seinem Wechsel vom VfB Stuttgart zum FC Bayern an seinem rechten Fuß operiert werden, nachdem er sich in einem Testspiel im Sommer den Mittelfußknochen gebrochen hatte. Mit sechsmonatiger Verspätung feierte er dann am 12. Februar sein Pflichtspieldebüt für die Bayern und entwickelte sich seitdem zu genau jenem Spieler, den Bayerns Verantwortliche bei seiner Verpflichtung in ihm gesehen hatten.
Zum vielseitig einsetzbaren, stets soliden Backup für die Defensive - der jetzt nach den längerfristigen Ausfällen von Alphonso Davies (Kreuzbandriss) und Dayot Upamecano (freie Gelenkkörper und Knorpelschaden im Knie) und der ziemlich uninspirierten Abwehrleistung von Linksverteidiger Raphael Guerreiro gegen St. Pauli sogar auf eine Planstelle für die kommenden Aufgaben hatte hoffen können. Doch diese Hoffnung ist nun dahin. Die ohnehin dünne Defensive der Bayern wurde weiter dezimiert.
(C)Getty ImagesBayern München geht schon vor der Crunch Time auf dem Zahnfleisch
Mit Itos Ausfall wird die ohnehin dünne Personaldecke der Münchner an ihre Belastungsgrenze gebracht. Neben den Langzeitausfällen Davies, Upamecano und Aleksandar Pavlovic (Pfeiffer’sches Drüsenfieber) fehlen aktuell noch Manuel Neuer (Muskelfaserriss) und Kingsley Coman (Entzündung). Leon Goretzka wurde wegen Spannungen im Rücken am Samstag vorsichtshalber zur Pause ausgewechselt.
Die Bayern gehen schon vor der Crunch Time auf dem Zahnfleisch, mangels Alternativen muss Minjae Kim trotz Problemen an der Achillessehne spielen. Unabhängig vom Ärger mit dem kanadischen Verband um Davies' Verletzung und etwaiger Schadensersatzforderungen der Münchner regte Bayerns Vorstandsvorsitzender Jan-Christian Dreesen am Samstag an, die Länderspielphase im März generell zu überdenken. Und klar, für die Klubs kommt diese alle Jahre wieder zur Unzeit, mitten hinein in die entscheidende Saisonphase. Aber was wäre die Alternative? Von Dezember bis Juni ganz auf Länderspiele verzichten? Das kann es auch nicht sein.
Dass die Belastung für die Spieler groß, womöglich zu groß ist, ist ein Fakt. Das versprochene Geld für die Teilnahme an der Klub-WM im Juni nehmen die Klubs aber dennoch mehr als gerne.



