Dank zwei Toren in der Nachspielzeit hat der FC Bayern München nach der Arsenal-Pleite die nächste Enttäuschung gerade noch so abgewendet. Manuel Neuer erwies seiner Mannschaft erneut einen Bärendienst, auch wenn seine Vorderleute ebenfalls ihre Aktien am frühen Rückstand gegen St. Pauli hatten.
Getty ImagesSeinem Tor ging eine sinnbildliche Aktion voraus: Nicolas Jackson ist beim FC Bayern von einer Hauptrolle weit entfernt
Es war bereits die vierte (!) Partie in Serie, in welcher Neuer patzte. Ausgerechnet in einem Spiel von für ihn persönlich historischem Ausmaß. Es war der 534. Bundesliga-Einsatz des 39-Jährigen, wodurch er im Ranking der Rekord-Torhüter im deutschen Oberhaus mit dem Zweitplatzierten Eike Immel gleichzog. Zum Führenden Oliver Kahn (557) fehlen ihm nur noch 23 Spiele. Bei einer weiteren Saison im Trikot des deutschen Rekordmeisters dürfte es nur eine Frage der Zeit sein, bis er die Bestmarke knackt. Nach seinen letzten Auftritten sollte eine Verlängerung seines im Sommer auslaufenden Vertrags jedoch wohl überlegt sein.
Der Nimbus, den sich der Bayern-Kapitän bis in den Herbst zweifellos eindrucksvoll heranzüchtete, ist nach seinem Fehler beim 3:1-Sieg der Münchner endgültig dahin. Die Diskussion über einen Rücktritt vom Rücktritt in der deutschen Nationalmannschaft mit Blick auf die WM im kommenden Sommer, die er nach Abpfiff selbst wieder im Keim erstickte, sollte vorerst beendet sein. Nun hat sich die Sachlage um nahezu 180 Grad gewendet. An der Säbener Straße ist eine ganz andere Debatte entfacht. Der Tenor von Fan- und Experten-Seite: Ist Neuer nach dieser Spielzeit überhaupt noch der richtige, oder ist eine Ablösung vonnöten? Womöglich auch schon in Bälde.
GettyDebatte um Neuer entfacht: Doch noch kein Thema beim FC Bayern
Noch will man beim deutschen Rekordmeister davon überhaupt nichts wissen. Wie schon in London bekam Neuer von allen Seiten Rückendeckung. "Er spielt eine super Saison, richtig stark. Er ist ein großer Rückhalt für die Mannschaft. Gegentore passieren. Er ist richtig fit und wir sind happy, dass er in so einer guten Verfassung ist", sagte Sportdirektor Christoph Freund. Präsident Herbert Hainer und Trainer Vincent Kompany pflichteten ihm an anderer Stelle bei. Bei weiteren Aussetzern kann die Neuer-Debatte irgendwann nicht mehr mit wohlwollenden Worten einfach so weggewischt werden. Andernfalls müssten die Augen noch mehr zusammengekniffen werden als es offenbar ohnehin schon der Fall ist - und das ist spätestens bei einem weiteren Patzer eigentlich kaum mehr möglich.
In London wollte sich auch Neuer seine unglücklichen Aktionen beim 0:1 und 1:3 nicht ankreiden lassen. Nachdem er gegen Pauli das kurze Eck - im Fußballjargon nicht von ungefähr Torwarteck genannt - nicht zugemacht hatte, blieb eine eigene Einschätzung über die Situation aus. Stattdessen gab Neuer eine zurückhaltende Auskunft über seine Zukunft beim FC Bayern ab. "Das weiß ich auch nicht", erklärte er auf die Frage, ob eine Vertragsverlängerung wahrscheinlicher als ein DFB-Comeback sei. "Ich glaube, entscheidend wird sein, wie ich mich fühle, dann auch gerade in der Rückrunde, in Richtung März hin zur Nationalmannschaftspause. Ich muss mir schon mal Gedanken machen, wie es dann weitergeht." Gedanken, die sich entgegen der öffentlichen Aussagen freilich auch in der Führungsetage gemacht werden.
In Jonas Urbig steht bereits ein potenzieller Nachfolger im Kader bereit, mit dem es obendrein die Vereinbarung gibt, dass er regelmäßig zum Einsatz kommt. Bislang stand er allerdings nur dreimal zwischen den Pfosten - auch weil Neuer im DFB-Pokal zweimal rotgesperrt fehlte. Doch auch der Status des Pokalkeepers scheint dem 22-Jährigen nicht vergönnt zu sein. Wie Kompany nach dem Spiel erklärte, wird der Routinier auch im Achtelfinale gegen Union Berlin am Mittwoch den Münchner Kasten hüten. Gleichzeitig betonte der Belgier, dass die "Integration von Jonas weiter gut laufen" solle.
Außerdem kehrt nach aktuellem Stand Alexander Nübel von seiner Leihe vom VfB Stuttgart zurück, dessen abermalige Ankunft bekanntlich mit Neuers Zukunftsentscheidung zusammenhängt. Eine Rolle als Backup kommt für den 29-Jährigen nicht infrage, wie er in der Vergangenheit schon mehrfach betonte. Auch ein externe Lösung scheint nicht gänzlich ausgeschlossen zu sein. Doch wer weiß? In ein paar Monaten könnte sich das Blatt bei Neuer auch schon wieder gewendet haben und sowohl ein neuer Vertrag als auch ein WM-Ticket auf seinem Tisch liegen.
Selbst in so einem Spiel ist Nicolas Jackson nur ein Notnagel von Vincent Kompany
Besiegelt ist hingegen, dass die Kaufpflicht von Nicolas Jackson in Höhe von 65 Millionen Euro nicht greifen wird. Das ist freilich keine Überraschung - schon gar nicht für diejenigen, die sich an Uli Hoeneß' Worte kurz nach dem abgeschlossenen Leihgeschäft mit dem FC Chelsea erinnern.
Inzwischen ist es es auch rein rechnerisch nahezu ausgeschlossen, dass der Senegalese langfristig an der Isar bleibt. Mindestens 40 Pflichtspiele in der Bundesliga und Champions League von Beginn an oder über mindestens 45 Minuten müsste Jackson dafür absolvieren, der DFB-Pokal spielt dem Vernehmen nach keine Rolle in der Rechnung. Kurz vor der Winterpause steht der Stürmer bei gerade einmal sechs Einsätzen, die jene Parameter erfüllen. 34 weitere sind möglich. Jedoch nur, wenn die Bayern das Finale der Königsklasse erreichen und den Umweg über die Playoffs nehmen müssen. Einen Taschenrechner braucht es aber gar nicht mehr. Ab Mitte Dezember wird Jackson nämlich mit dem Senegal beim Afrika-Cup weilen und somit weitere Spiele verpassen, weshalb der Zug bereits abgefahren ist.
Gleichwohl machte Kompany bislang keine Anstalten, in Jackson eine ernstzunehmende Option für die Offensive zu sehen. Trotz des kleinen Kaders und der hohen Belastung in den englischen Wochen schmorte der Angreifer gegen das nun seit neun Spielen sieglose St. Pauli erneut auf der Bank - und kam erst in der 83. Minute ins Spiel. Wohlgemerkt beim Stand von 1:1. In Folge einer längeren Phase, in denen es den Gastgebern gegen das Hamburger Betongemisch weitestgehend an Durchschlagskraft fehlte. Die Vermutung liegt nahe, dass Jackson nach seinen drei aufeinanderfolgenden Startelf-Einsätzen gegen den BVB, Gladbach und Leverkusen inzwischen zum Notnagel von Kompany verkommen ist. Zur Verdeutlichung: Vor seiner Einwechslung betraten in Josip Stanisic und Leon Goretzka, der anstelle von Min-Jae Kim als nomineller Innenverteidiger agierte, sogar zwei Defensivspieler das Feld.
Zwar steuerte Jackson wie schon gegen Freiburg in der Nachspielzeit ein Jokertor bei, dem war aber eine für seinen aktuellen Status sinnbildliche Aktion vorausgegangen. Es war nicht Jackson selbst, der auf die Idee kam, die Meter Richtung Pauli-Tor zu gehen. Stattdessen signalisierte Serge Gnabry ihm mit einer eindeutigen Handbewegung, dass der sich auf den Weg machen solle, da nicht er den Ball in der undurchsichtigen Szene zuletzt berührt hatte, sondern Eric Smith. Dies erkannte dann auch Schiedsrichter Felix Zwayer mithilfe des VAR, nachdem Jackson eiskalt vollstreckt hatte.
Anschließend setzte Jackson zum Torjubel an - und legte dabei seinen Kopf auf seine zusammengefaltete Hände, als würde er sich in Schlafposition begeben. Was er genau damit ausdrücken wollte, bleibt unklar. Böse Zungen würden aber behaupten, dass Jackson bis zu seinem fünften Treffer für die Bayern - eine keineswegs schlechte Ausbeute bei der geringen Spielzeit - schläfrig präsentierte. Ihm wollte nicht wirklich etwas gelingen, vielmehr trottete er über das Feld und verbuchte den ein oder anderen Ballverlust.
Getty Images SportDer große Unterschied? FC Bayern gewinnt auch sein schlechtestes Saisonspiel
Was für Jackson galt, kann phasenweise auch auf Teile der restlichen Mannschaft umgemünzt werden. Die Bayern zeigten zweifellos ihre schlechteste Leistung der Saison. Dennoch sprang der 18. Sieg im 20. Saisonspiel heraus. Nach einem Spielverlauf, der in der jüngeren Vergangenheit oftmals keine drei Punkte bedeutete.
Dies hob auch Hainer hervor. "Es zeigt die die Moral der Mannschaft, dass sie an sich glaubt, das Spiel zum Schluss noch drehen. Ich kann ich erinnern an vergangene Saisons: Da haben wir aufgehört zu spielen und solche Spiele nicht mehr gewonnen." Ein Umstand, der vor allem unter Kompanys Vorgänger Thomas Tuchel und in Teilen auch in der Vorsaison zu erkennen war.
Skepsis ruft die abhandengekommene Leichtigkeit der ersten Wochen jedoch nicht hervor. So auch die Tatsache, dass die Bayern zum vierten Mal in Folge in Rückstand gerieten. Darauf angesprochen, ob ihm die Negativserie Sorgen bereiten würde, entgegnete Hainer schmunzelnd: "Ne, ganz im Gegenteil. Wenn wir in Zukunft wieder führen von Anfang an, dann wird es noch leichter." Auch Freund fand Gefallen am zähen Erfolg: "Ich liebe solche Siege."
Auf der anschließenden Pressekonferenz schlug Kompany in eine ähnliche Kerbe und reagierte auf eine Frage sogar verwirrt. Die Vermutung: Tun sich sich die Bayern wegen des kleinen Kaders aktuell schwerer, souverän zu gewinnen. "Wir haben letzte Woche 6:2 gewonnen", bemerkte er und runzelte seine Stirn mit ungläubigem Blick. Dennoch zeigte er sich aufgrund der Arsenal-Pleite und des müden Auftritts am Samstag einsichtig. "Aber das nächste Spiel kann wieder das beste Spiel sein. Das ist die Herangehensweise. (...) Im Moment sehe ich noch nichts Überraschendes. Das gehört zu einer Saison dazu. Deshalb müssen wir solche Siege schätzen, wie wird es heute auch gemacht haben."
Bundesliga-Tabelle: FC Bayern einsam an der Spitze
Platz Mannschaft Spiele Tore Punkte 1 FC Bayern München 12 44:9 34 2 RB Leipzig 12 22:13 26 3 Borussia Dortmund 12 21:11 25 4 Bayer Leverkusen 12 28:17 23 5 TSG Hoffenheim 12 25:17 23 6 VfB Stuttgart 11 20:15 22 7 Eintracht Frankfurt 11 27:22 20



