Balotelli Rebel United 16:9GOAL

Seine Geschichte ist ein ewiges Labyrinth aus Widersprüchen: Mario Balotelli - genialer, missverstandener Rebell oder schwer erziehbarer, unverbesserlicher Rüpel?

Nun also Amerika. Mit einer eher beiläufigen Nonchalance, die irgendwie so gar nicht zu seinen öffentlichen Inszenierungen früherer Tage passte, hat Mario Balotelli jüngst in dem großartigen Interview-Format Belve im italienischen Staatsfernsehen Rai lächelnd das Ende seiner europäischen Reise angekündigt. "Ich bin ein bisschen müde von all dem, was rund um den europäischen Fußball passiert", sagte er und antwortete auf die Frage, wo es ihn hinzöge, lächelnd: "Amerika. Ich würde noch gerne zwei oder drei Jahre spielen, bevor ich aufhöre."

Eine Ankündigung, die weniger wie ein Aufbruch, als vielmehr wie ein leiser Rückzug klang. Die vielleicht finale Flucht eines Spielers, der mindestens sein ganzes Fußballerleben lang mit der Welt und vor allem den Dämonen in sich selbst zu kämpfen hatte. Mario Balotelli, bald 35 Jahre alt, galt eine Zeitlang als wahrscheinlich interessante Persönlichkeit im Weltfußball. Und gleichzeitig als ein schwer erziehbarer Rüpel, der viel zu wenig aus seinem Talent macht.

  • Mario Balotelli Time MagazineGetty Images

    Ein Stürmer, gesegnet mit Kraft, einer geschmeidigen Eleganz und einem unnachahmlichen Torriecher. Ein natürlicher Anwärter für den Ballon d’Or, und das in einer Zeit, als Cristiano Ronaldo und Lionel Messi in ihrer absoluten Prime waren. Das Kind von Geflüchteten, der als Symbol eines neuen, vielfältigeren Italiens galt, obwohl weite Teile Italiens ihn gar nicht wollten. Ein Junge mit sehr vielen Flausen im Kopf, aber vom Time Magazine 2013 zu den 100 einflussreichsten Persönlichkeiten des Jahres gewählt. Neben Barack Obama, Jay-Z, Steven Spielberg, Beyoncé.

    Und mitten unter ihnen, in der Kategorie Ikone: Mario Balotelli Barwuah, geboren am 12. August 1990 in Palermo, damals 22 Jahre alte Sturmhoffnung von Manchester City und der Squadra Azzurra, Schrecken seiner Trainer und von Deutschlands Abwehrspielern. Schöpfer des ersten globalen Fußball-Memes und eine nie leise werdende Stimme gegen den Rassismus in unserer Welt.

    Diese jüngste Ankündigung, Europa den Rücken zu kehren, dieser Epilog einer Karriere nach einer erneut missratenen Station in seiner Heimat bei CFC Genua, wo ihm 2024/2025 kein Tor in sechs Einsätzen gelang und woran, geht es nach Balotelli, in erster Linie sein Trainer Patrick Vieira und dessen Eifersucht auf ihn schuld sei, wirft wieder einmal die eine, alles überspannende Frage auf, die Balotelli seit jeher begleitet: Ist diese hünenhafte Gestalt mit den freundlichen Augen und doch oft grimmigem Blick ein rebellischer Freigeist, ein ewiger Kämpfer gegen Autoritäten und Ungerechtigkeiten, ein missverstandenes Genie, das sich selbst im Wege steht? Oder ist er am Ende doch einfach nur ein schwer erziehbarer, unverbesserlicher Rüpel, dem es an Disziplin und Reife mangelt und der die Schuld ausnahmsweise mal bei sich selbst suchen sollte statt immer nur bei den anderen?

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  • Balotelli Jose MourinhoGetty Images

    Balotellis Geschichte ist ein Labyrinth aus Widersprüchen

    Die Grenzen zwischen Rebell und Rüpel sind bei vielen Menschen fließend, und je älter Balotelli wird, je weniger bedeutend seine Leistungen auf dem Platz sind, desto weniger ist man bereit, diese besonderen Seiten von ihm zu sehen, die ihn auf das Cover des Time Magazines brachten.

    Balotellis Geschichte ist ein Labyrinth aus Widersprüchen: ein Stürmer, der den Ball streicheln kann wie kaum ein anderer Spieler mit seiner Statur, der ihn aber auch mit Brachialgewalt ins Tor dreschen kann, dass man Angst ums Tornetz haben muss. Ein Junge, der viel Schabernack im Kopf hatte, aber auch nach den schönsten Toren nie lächelte. Ein Mann, der zum globalen Symbol gegen Rassismus wurde und gleichzeitig mit Dartpfeilen Jugendspieler bewarf. Ein Sohn von Einwanderern aus Afrika, der für Italien zum Helden wurde und von den eigenen Landsleuten mit Affenlauten verhöhnt wurde. Ein Kind, das immer wieder am Darm operiert werden musste und von seiner Ursprungs-Familie auf Anraten der Behörden an eine wohlhabende italienische Pflegefamilie gegeben wurde. Von den Balotellis erfuhr er viel Liebe. Die Barwuahs, seine Eltern, seine Geschwister, sah er dennoch an den Wochenenden.

    Und doch: Das Gefühl, im Stich gelassen worden zu sein, ließ Balotelli nie mehr los. Es ist sein Lebensthema. Er gegen den Rest der Welt, why always me?

  • FBL-EURO-2012-GER-ITA-MATCH30AFP

    Die Nacht, in der Mario Balotelli zum Meme wurde – Warschau, 28. Juni 2012

    Es gibt Momente im Sport, die sich dem profanen Ergebnis entziehen. Sie werden zu Ikonen, zu kulturellen Chiffren, die weit über das Spiel hinausweisen. Der 28. Juni 2012 war so ein Moment, und er gehörte allein Mario Balotelli. Im Halbfinale der Europameisterschaft in Warschau stand Italien einer deutschen Mannschaft gegenüber, die als haushoher Favorit galt, ungeschlagen und dominant. Bei Deutschland war schon jene Goldene Generation am Start, die zwei Jahre später Weltmeister werden sollte, die Azzurri hatten den damals noch fast alterslos scheinenden Gigi Buffon, Andrea Pirlo, den König des Swags - und den unberechenbaren Wahnsinnigen Balotelli, gerade 21 Jahre alt. Ihm gelang in diesem Spiel eine Leistung von brutaler Effizienz und atemberaubender Schönheit.

    Beim ersten Tor, in der 20. Minute, schälte sich Antonio Cassano, noch so ein sympathischer Irrer des Weltfußballs, an der linken Strafraumkante an zwei deutschen Verteidigern vorbei und flankte den Ball in die Mitte. Dort stieg Balotelli mit einer Wucht empor, die seine Bewacher einfach ignorierte, und köpfelte den Ball unhaltbar ins Netz. Doch es war das zweite Tor, das ihn weltberühmt machen würde, zum unsterblichen Meme.

    In der 36. Minute schickte Riccardo Montolivo – ein Halb-Deutscher - einen langen, hohen Ball aus der eigenen Hälfte in den Lauf von Balotelli. Seine Annahme war sanft, fast zärtlich, sein Sprint Richtung Tor unaufhaltsam. Philipp Lahm rannte hinterher, aber er hatte nie auch nur den Hauch einer Chance, Balotelli zu erreichen. Und dann dieser Abschluss: ein Schuss von solcher Gewalt und Präzision, es klang wie ein Peitschenhieb, als der Ball unter die Latte ins Netz krachte. Manuel Neuer, damals wahrscheinlich wirklich der beste Torhüter der Welt, rührte sich nicht einmal.

    Doch was nach diesem Treffer geschah, sollte noch größer werden als Balotellis Leistung. Balotelli riss sich das Trikot vom Leib, blieb stehen, spannte jeden Muskel seines Oberkörpers an und starrte in die Ferne. In seinem Gesichtsausdruck war keine Spur Freude, da war nur eine grimmige, unnachgiebige Intensität, wie die taz damals in einem wunderbaren Beitrag schrieb. Die einen erinnerte die Pose an den unglaublichen Hulk, an den Muskelprotz aus der Superheldenreihe. Balotelli selbst meinte später, er habe damit die Befreiung von der Sklaverei, das Zerbrechen der Ketten zeigen wollen. Da war er, der andere Mario, der Rebell mit einer Botschaft. Das Time Magazine interpretierte die Szene damals so: "'Hier ist meine schwarze italienische Haut', schien er zu sagen, ein italienischer Held, schwarz und stolz, der ganz Italien einlädt, ihn zu umarmen – und mit ihm ein anderes Konzept der Grenzen italienischer Identität".

  • Dieser eine Moment, fasst das gesamte Rätsel Balotelli perfekt zusammen

    In diesem Moment wurde Balotelli aber auch zur Leinwand für eine globale Projektion. Die Pose wurde zum ersten weltweiten Fußball-Meme. Balotelli als Hulk, Balotelli als Ballerina, Balotelli auf dem Mond, Balotelli auf der Titanic, Balotelli als Bauarbeiter – "Balo überall". Er war vom Fußballstar zum Phänomen der Popkultur mutiert. Diese eine Pose, dieser eine Moment, fasst das gesamte Rätsel Balotelli perfekt zusammen. Sie vereint alle Facetten seiner Persönlichkeit in einem einzigen, unauslöschlichen Bild.

    Ohne seine Genialität wäre es nicht gegangen, nur ein Tor von solcher Brillanz konnte eine solche Reaktion rechtfertigen. Der Rebell zeigte sich in der politischen Interpretation, seiner bewussten oder unbewussten Auflehnung gegen den Rassismus, dem er unaufhörlich ausgesetzt war. Und natürlich steckte in diesem Jubel auch etwas respektloses, seine Gegenspieler mussten sich doppelt gedemütigt fühlen, erst von diesem Schuss, dann von dieser Pose. Das globale Spektakel zeigte sich schließlich in der Meme-Kultur, die seine komplexe Geste aufnahm, sie ihres tiefen Sinns beraubte und zu einem leicht konsumierbaren Witz machte. In diesem Augenblick trafen sich Genie, Rebell, Rüpel und Ikone.

    Es war der Höhepunkt von Mario Balotellis Karriere. Doch wer mit 21 den Höhepunkt erreicht, der muss von da an richtig hart gegen den Niedergang arbeiten. Balotelli war dazu nicht bereit.

  • Mario Balotelli Manchester Derby why always meGetty Images

    "Why Always Me?" – Die Anatomie der Balotellate

    Vom Superhelden zur Witzfigur war es bei Mario Balotelli immer nur ein schmaler Grat. Wenn die Nacht von Warschau der strahlende Höhepunkt seiner Karriere war, dann waren seine "Balotellate", diese Aktionen, genährt aus kindischem Unfug, gefährlichem Leichtsinn und purer Provokation, sein ständiger Begleiter.

    Die Liste seiner Eskapaden liest sich wie das Drehbuch einer absurden Komödie: Er warf als Spieler von Manchester City aus Langeweile Dartpfeile auf Jugendspieler von der ersten Etage des Trainingsgeländes. Er legte nur 36 Stunden vor dem Derby gegen Manchester United in seinem Badezimmer mit Feuerwerkskörpern ein Feuer, das einen Schaden von 400.000 Pfund verursachte und einen Einsatz von zwei Löschzügen der Feuerwehr erforderte. Als wäre nichts gewesen, erzielte er in ebenjenem Derby zwei Tore bei einer legendären 6:1-Demütigung des Stadtrivalen. Kurz nach seiner Ankunft in England hatte er bereits seinen Audi R8 auf dem Weg zum Training zu Schrott gefahren und den Polizisten, die ihn fragten, warum er 5.000 Pfund in bar bei sich trage, die legendäre Antwort gegeben: "Weil ich reich bin". Die Fans von City liebten ihn für diese Verrücktheiten und dichteten ihm einen eigenen Gesang: "Oooh Balotelli, he's a striker, he's good at darts. An allergy to grass but when he plays he's f***ing class“.

    Doch neben dem kindischen Verhalten stand eine alarmierende Undiszipliniertheit auf dem Platz. Er sammelte Rote Karten wie andere Panini-Bilder. Ein brutaler Kung-Fu-Tritt auf Brusthöhe gegen einen Spieler von Dynamo Kiew, ein absichtlicher Tritt gegen den Kopf des am Boden liegenden Scott Parker von Tottenham und wiederholte Handgreiflichkeiten im Training, selbst mit seinem Mentor Roberto Mancini, der erst bei Inter Mailand und dann bei Manchester City an ihm verzweifelte.

    Im Zentrum dieser Ära des Wahnsinns steht jedoch ein Moment, der, ähnlich wie der Hulk-Jubel, zu einem ikonischen Symbol wurde: das „Why always me?“-T-Shirt. Nach seinem ersten Tor in jenem denkwürdigen 6:1 gegen United zog er sein Trikot hoch und offenbarte die drei schlichten Worte. Viele Kritiker interpretierten die Geste als pure Arroganz. Doch die Wahrheit war vermutlich komplexer. "Es war eine Botschaft an all die Leute, die schlecht über mich reden und mich nicht kennen, also habe ich nur gefragt: 'Warum immer ich?‘", sagte Balotelli später einmal.

    Es sollte kein Ausruf der Überheblichkeit sein, sondern ein Schrei nach Ruhe. Hier offenbarte sich auch die toxische, aber symbiotische Beziehung zwischen Balotellis Eskapaden und seiner globalen Berühmtheit. Seine Skandale waren nicht nur ein Nebeneffekt seiner Karriere, sie waren ihr Motor. Zur Wahrheit gehört auch: Balotellis Taten befeuerten uns Journalisten, wir Medien schufen seinen Ruhm. Und seine Berühmtheit, kombiniert mit den tief liegenden persönlichen Problemen, führte zu immer neuen, immer erratischeren Handlungen. Balotelli war gleichzeitig der Architekt und das Opfer seines eigenen Mythos. Die Frage "Warum immer ich?" war daher keine rhetorische, sondern eine existenzielle.

  • Mario Balotelli daughter PiaGetty Images

    Die Wunden, die nie heilen – Balotellis ewiger Kampf ums Dazugehören

    Um das Verhalten des Rüpels Balotelli zu verstehen, muss man die Geschichte des Kindes Mario kennen. Seine Eskapaden, seine Arroganz und seine Probleme mit Autoritäten sind vermutlich die sichtbaren Symptome tiefer, nie verheilter Wunden. Sein Leben begann nicht mit kindlicher Freude, sondern mit Schmerz und Trennung. Geboren 1990 in Palermo als Sohn ghanaischer Einwanderer, litt er an einer lebensbedrohlichen Darmerkrankung, die in seinem ersten Lebensjahr eine Reihe von Operationen erforderte. Noch bevor er drei Jahre alt war, gaben ihn seine leiblichen Eltern, die in ärmlichen Verhältnissen lebten, in die Obhut der Balotellis, einer Pflegefamilie aus Brescia. Diese Erfahrung der Trennung hat er nie überwunden. "Man sagt, Verlassenwerden sei eine Wunde, die niemals heilt", sagte er schon 2008 in einem Interview, "ich sage nur, dass ein verlassenes Kind niemals vergisst". Dieses Gefühl, von seiner Herkunftsfamilie im Stich gelassen worden zu sein, wurde zu einem zentralen Trauma, das sein gesamtes Leben prägen sollte.

    Doch Fußballer mit schwieriger Jugend gibt es viele, und nicht alle werden zu problematischen Figuren wie Balotelli. Doch bei ihm kam zu diesem persönlichen Gefühl der Entwurzelung eine staatlich verordnete Ungerechtigkeit. Obwohl er in Italien geboren und aufgewachsen war, musste er bis zu seinem 18. Geburtstag warten, um die italienische Staatsbürgerschaft beantragen zu können. Das empfindet er noch immer als brüllende Ungerechtigkeit, wie er auch bei Belve wieder erzählte. Das Gefühl, ungerecht behandelt zu werden, wurde zu einem weiteren Lebensthema – mal zu Recht, wie beim Pass oder beim ganzen Thema Rassismus, mal aber auch als scheinbar bequeme Ausrede, wenn er selbst Fehler machte. Aus diesem Fundament aus Schmerz, Verlassenheit und dem Gefühl der Ungerechtigkeit erwuchs ein Schutzmechanismus, den man durchaus als "Schutzpanzer aus Arroganz" bezeichnen könnte, wie es bei SPOX einmal hieß.

  • Balotello RacismGetty Images

    "Es gibt keine schwarzen Italiener" – Der Rebell wider Willen

    Wenn Balotellis persönliche Dämonen die eine Seite seiner Geschichte sind, dann ist der Kampf gegen den Rassismus in Italien die andere. Hier wird aus dem schwer erziehbaren Rüpel ein unfreiwilliger Rebell, eine Symbolfigur für den schmerzhaften Wandel einer ganzen Nation.

    Er hat diese Rolle nicht gesucht, aber seine Hautfarbe und sein Ruhm haben sie ihm aufgebürdet. Der Rassismus, dem er in Italien ausgesetzt war, war nicht subtil. Er war brutal, offen und eine Zeitlang allgegenwärtig. Der Gesang "Es gibt keine schwarzen Italiener" hallte zu Beginn seiner Karriere durch die Stadien und wurde zu einem grausamen Mantra, das ihm sein Existenzrecht in seinem eigenen Geburtsland absprechen sollte. Fans bewarfen ihn mit Bananen und imitierten Affenlaute, wann immer er am Ball war. Selbst als er für die Nationalmannschaft spielte, erfuhr er Ablehnung. "Der Rassismus", so sagte er einmal, "begann erst, als ich anfing, Fußball zu spielen".

    Vor der EM 2012 druckte die Gazzetta dello Sport, Italiens größte Sport-Zeitung, eine Karikatur, die ihn als King Kong auf dem Big Ben zeigte – eine rassistische Ikonografie, die Balotelli erzürnte. Nach Protesten entschuldigte sich das Blatt halbherzig, es sei nicht das "beste Produkt" ihres Karikaturisten gewesen.

    Balotelli wurde so zum Gesicht der "Generation Balotelli", jener in Italien geborenen Kinder von Einwanderern, die um ihre Anerkennung und Zugehörigkeit kämpfen. Seine Reaktionen auf den Hass waren oft impulsiv, aber in ihrer Wirkung kraftvoll. Als er 2019 bei einem Spiel seines damaligen Vereins Brescia Calcio in Verona rassistisch beleidigt wurde, nahm er den Ball und schoss ihn wutentbrannt in die Fankurve. Er wollte den Platz verlassen, wurde aber von Mit- und Gegenspielern überredet, weiterzumachen.

    Dieser Akt des offenen Widerstands zwang Italien zu einer Debatte, die viele lieber vermieden hätten. Plötzlich war er, wie der Corriere della Sera schrieb, das "Testimonial" für den Kampf gegen Rassismus geworden. Seine Situation offenbarte eine bittere Wahrheit, die viele Schwarze in mehrheitlich weißen Gesellschaften spüren, nicht nur in Italien: Balotelli fühlt seine Identität als Italiener nicht als selbstverständlich, sondern an Bedingungen geknüpft. Eine Belohnung, die ihm nur in Momenten des Triumphs gewährt wurde, die er selbst herbeiführen musste. Wenn er, wie gegen Deutschland 2012, zum Nationalhelden wurde, war er "Super Mario", einer von ihnen. Doch sobald der Erfolg ausblieb, sobald er bei einem Verein scheiterte oder einfach mal wieder Quatsch machte, wurde er wieder zum Geflüchtetenkind, das nicht dazugehörte. Und so kämpfte Balotelli auf dem Platz nicht nur um Siege, sondern um sein grundlegendes Recht, dazuzugehören.

  • Genoa v Como - Serie AGetty Images Sport

    Sieh da, Balotelli kann lachen

    Am Ende bleibt das Bild eines Mannes, der alles hätte werden können und doch nie ganz wurde, was ihm sein Talent versprach. "Ich denke, ich bin ein Genie, aber kein Rebell. Ich habe mein Leben, meine Welt. Ich tue, was ich will, ohne jemanden zu belästigen", sagte Balotelli selbst einmal. Doch diese Selbstwahrnehmung steht im krassen Gegensatz zur Realität einer Karriere, die seit jener magischen Nacht von Warschau 2012 im Grunde eine einzige, lange Erzählung des ungenutzten Potenzials ist.

    Seine Laufbahn ist das Curriculum eines Gescheiterten, wenn man die Maßstäbe anlegt, die sein außergewöhnliches Talent vorgab. Die Stationen nach 2012 – AC Milan, FC Liverpool, OGC Nizza, Olympique Marseille und später dann eine Odyssee durch kleinere Klubs – waren geprägt von kurzen Zwischenhochs und tiefen, meist selbstverschuldeten Abstürzen.

    Nun also will er nach Amerika. Als Geläuteter? Das vielleicht nicht, aber als jemand, bei dem der Ärger nicht mehr so tief sitzt. "Ich hätte mehr tun können, aber ich bin glücklich“, sagte er bei Belve. Ist Balotelli mit sich und der Welt endlich ins Reine gekommen? Kann dieser Spieler, dessen gesamte Existenz ein Spektakel aus Lärm, Wut und flüchtigen Blitzen von Brillanz war, jemals wirklich zur Ruhe kommen? Die Frage bleibt offen, aber immerhin lachte er viel im TV-Studio.