Cristiano Ronaldo stand nach der 2:3-Niederlage mit Al-Nassr gegen Kawasaki Frontale aus Japan im Halbfinale der AFC Champions League im Mittelkreis und sprach vor sich hin. Er gestikulierte wild mit Händen und Füßen. Offensichtlich quälte ihn die vergebene Chance zum Ausgleich in der Nachspielzeit - und der Fakt, dass er im Nahen Osten auch nach über zwei Jahren und drei Spielzeiten noch keinen einzigen Titel gewonnen hat.
Getty/GOALPlötzlich gibt es auch Selbstzweifel: Cristiano Ronaldos Abenteuer in Saudi-Arabien ist nur finanziell ein Erfolg
CR7 schießt zwar weiter Tore, die Titel aber bleiben aus
Al-Nassr wäre im Finale, wenn der 40-Jährige vor dem Tor etwas konsequenter gewesen wäre. Er hatte in der ersten Halbzeit einen Kopfball an die Latte gesetzt und in der zweiten Halbzeit zwei Freistöße aus guter Position vergeben.
Ronaldo hat zweifellos das Ansehen des saudischen Fußballs gesteigert, aber er hat es nicht geschafft, Al-Nassr zu Titeln zu führen - weder in der Liga, noch in Pokal und dem internationalem Geschäft.
Er schießt zwar immer noch viele Tore (zur Statistik) und könnte dabei weitere Rekorde brechen. Doch ohne Titel bleibt seine letzte Karriereestation eine Enttäuschung.
Getty Images/GoalCR7 wirkte stets am glücklichsten, wenn er den Ballon d'Or gewinnen konnte
Trotz Ronaldos Verpflichtung im Januar 2023 beendete Al-Nassr die Saison 2022/23 in der saudischen Pro League fünf Punkte hinter Meister Al-Ittihad und in der folgenden Saison sogar 14 Punkte hinter Meister Al-Hilal. Die Geschichte scheint sich auch in der dritten Saison zu wiederholen, denn Al-Ittihad liegt mit 68 Punkten sechs Punkte vor Al-Hilal und acht Punkte vor dem drittplatzierten Al-Nassr.
Die Mannschaft von Trainer Stefano Pioli kann den Rückstand mit einem Sieg gegen Al-Ittihad im Al-Awwal Park nächste Woche verkürzen. Aber es wäre eine große Überraschung, wenn der aktuelle Tabellenführer verdrängt werden würde angesichts seiner konstanten Leistungen in den ersten 29 Spielen (21 Siege, fünf Unentschieden und drei Niederlagen).
Der Portugiese in dieser Saison bisher 23 Tore in 27 Ligaspielen für Al-Nassr erzielt und liegt damit vor Ivan Toney von Al-Ahli und Abderrazak Hamdallah von Al-Shabab (beide 19) sowie Al-Ittihads Karim Benzema (18) an der Spitze der Torschützenliste.
"Das ist mir egal, mein Freund", kommentierte Benzema das Rennen um den Torschützenkönig, nachdem er am 21. April beim wichtigen 3:2-Sieg von Al-Ittihad gegen Al-Ettifaq ein Tor erzielt hatte. "Das Wichtigste ist der Titel." Der 37-Jährige ging für diese Äußerung viral, die subtil den Unterschied zwischen seiner Mentalität und der von Ronaldo hervorhob.
Es schien nie so, als wären Mannschaftstitel für Ronaldo so wichtig wie individuelle Auszeichnungen. Nie wirkte er glücklicher als bei der Entgegennahme seiner fünf Ballon d'Or-Auszeichnungen vor seinem ewigen Rivalen Lionel Messi. Vor Portugals Duell mit Dänemark im Viertelfinale der Nations League behauptete CR7 jedoch das Gegenteil.
GettyRonaldos Wettlauf um 1000 Tore
Bei Al-Nassr scheint Ronaldo mehr motiviert zu sein, seine Torbilanz zu verbessern, als Titel zu gewinnen. Der portugiesische Nationalspieler erzielte im August 2024 beim 4:1-Sieg gegen Al-Fayha sein 899. Tor und setzte sich anschließend in einem Interview mit seinem ehemaligen Manchester-United-Teamkollegen Rio Ferdinand auf dessen YouTube-Kanal das ehrgeizigste Ziel.
"Für mich ist das das Beste, was ich im Fußball erreichen kann, als Erster 900 Tore zu erzielen", sagte Ronaldo. "Danach sind mein Ziel 1000 Tore."
Dann stichelte er gegen die verstorbene brasilianische Legende Pelé, die einst behauptete, 1279 Tore erzielt zu haben - einige Treffer davon erkennt die FIFA jedoch nicht an. "Alle Tore, die ich schieße, gibt es auf Video. Ich kann also beweisen, dass sie [echt] sind. Wenn ich keine Verletzungen habe, will ich diese [Toranzahl] erreichen", sagte CR7.
Anfang Mai 2025 steht Ronaldo bei 933 Toren.
Jedes Mal, wenn Al-Nassr auf den Platz geht, liegt der Fokus der Öffentlichkeit vor allem darauf, ob Ronaldo seinem vierstelligen Meilenstein näher kommt.
(C)Getty ImagesBei Ronaldo schleichen sich langsam Zweifel ein
Es ist jedoch keineswegs sicher, dass Ronaldo 1000 Tore erreichen wird. Er wird wahrscheinlich noch mindestens zwei weitere Spielzeiten spielen müssen. Bald soll er seinen Vertrag um zwei weitere Jahre bis 2027 verlängern. Doch selbst bis dahin würde er den Rekord wohl nicht brechen.
Derzeit liegt Ronaldo noch elf Tore hinter der Marke von 44 Toren, die er in der vergangenen Saison erreicht hat. Zu seinen Gunsten spricht, dass das Niveau des saudischen Fußballs immer noch nicht mit dem der europäischen Top-Ligen mithalten kann und Ronaldo nichts von seinem Torjägerinstinkt eingebüßt hat. Aber er ist längst nicht mehr so schnell und beweglich wie früher.
Nach seinem Doppelpack beim 3:1-Derysieg von Al-Nassr gegen Al-Hilal im vergangenen Monat gab Ronaldo überraschend bekannt: "Leute, lasst uns den Moment genießen, die Gegenwart. Ich jage nicht 1000. Wenn es klappt, perfekt. Wenn nicht, dann nicht."
Ronaldo ist nicht plötzlich zu einem bescheidenen Menschen geworden. Diese Worte waren lediglich ein Zeichen dafür, dass Selbstzweifel in ihm aufkamen.
Getty Images SportAlles dreht sich um CR7
Bislang hat Ronaldo in Saudi-Arabien sportlich nichts wirklich Bemerkenswertes erreicht, wenn man einmal von der enormen Steigerung seines Verdienstes absieht.
Andere Stars haben es hingegen geschafft, seit ihrem Abschied aus Europa einen Titel zu gewinnen. Benzema, Fabinho und N'Golo Kanté stehen bei Al-Ittihad kurz vor dem Titelgewinn in der Liga, während Sergej Milinkovic-Savic, Aleksandar Mitrovic und Malcom maßgeblich zur Meisterschaft 2023/24 Al-Hilals beigetragen haben. Dabei hat Al-Nassr einen Top-Kader: Sadio Mané, Marcelo Brozovic, Aymeric Laporte und zuletzt Jhon Duran wurden verpflichtet.
Warum hat sich Al-Nassr nicht genauso entwickelt wie seine beiden Hauptkonkurrenten? Ein Grund könnte sein, dass sich immer alles um Ronaldo drehen muss. Schon bei seiner Rückkehr zu Manchester United im Jahr 2021 war das der Fall - und das Team litt.
Bei Al-Nassr ist es ähnlich gelaufen. Die Trainer Rudi Garcia und Luis Castro scheiterten beide daran, eine Einheit herzustellen. Pioli ergeht es bisher nicht anders.
AFPAFC Champions League wurde zu Gunsten Saudi-Arabiens reformiert
Al-Ahli gewann zuletzt dann auch noch die asiatische Champions League. Dass ein saudischer Verein diesen Titel holen kann, ist also erwiesen. Der Verband hatte zuvor sogar Formatänderungen eingeführt, die die Erfolgschancen der saudischen Teams deutlich erhöhten.
Zuvor war die AFC Champions League in zwei Regionen unterteilt, sodass das Finale immer zwischen einer Mannschaft aus dem Westen – beispielsweise aus Saudi-Arabien, Katar oder den Vereinigten Arabischen Emiraten – und einer Mannschaft aus dem Osten – in den meisten Fällen aus Japan oder Südkorea – ausgetragen wurde.
Das neue Format bringt jedoch alle verbleibenden Vereine im Viertelfinale zusammen. Die saudische Stadt Jeddah wurde als Austragungsort für alle K.o.-Spiele ausgewählt. Im FInale hätten also auch zwei saudische Teams aufeinandertreffen können.
GettySchwaches Schauspiel
Es besteht auch weiterhin die Gefahr, dass Al-Nassr sich nicht einmal für die AFC Champions League der nächsten Saison qualifiziert. Nur die drei besten Teams der Pro League qualifizieren sich. Sollte Al-Ittihad am kommenden Mittwoch gegen Al-Ahli, das nur zwei Punkte hinter dem vierten Platz liegt, verlieren, könnten die CL-Träume Ronaldos platzen.
Dabei will Ronaldo vor der WM 2026 doch unbedingt weiter auf Spitzenniveau spielen. Ehrgeizig ist Ronaldo immer noch - aber auch zickiger als je zuvor. Diese Haltung hat dazu geführt, dass Ronaldo ebenso viele Schlagzeilen wegen seines launischen und manchmal bedauerlichen Verhaltens macht wie wegen seiner Torerfolge im Nahen Osten.
Früher konnte Ronaldo seine Schwächen mit Titeln kaschieren. Aus sportlicher Sicht hätte er seine Karriere wahrscheinlich nach der Weltmeisterschaft 2022 beenden sollen.
Letztendlich wird Ronaldo zu Recht als einer der größten Fußballer aller Zeiten in die Geschichte eingehen. Aber wenn sein Engagement in Saudi-Arabien in der nächsten Saison keine Früchte trägt, wird man sich eben auch daran erinnern, dass er seine letzten Tage ohne nennenswerte Erfolge verbracht hat.

