Bei Paris Saint-Germain liegt der Fokus vor dem Halbfinal-Rückspiel in der Champions League im heimischen Prinzenpark gegen den FC Arsenal am Mittwoch auf Ballon-d'Or-Anwärter Ousmane Dembélé. Der überragende Franzose, der im Hinspiel in London (1:0) nach vorangegangenen 26 Pässen sein 33. Saisontor schoss und dann wegen einer Muskelzerrung im rechten Oberschenkel ausgewechselt wurde, trainierte am Dienstag wieder mit - ganz zur Freude des wahren Kopfes des Erfolgs in Paris.
GettyNicht die Weltklasse-Form von Ousmane Dembélé: Das ist der wahre Grund, warum Paris Saint-Germain gegen den FC Arsenal vor dem Einzug ins Finale der Champions League steht
Taktik-Genie Luis Enrique dominiert mit seiner enorm jungen Mannschaft nun nicht nur Frankreich, sondern seit einigen Monaten auch Europa. Der Spanier brachte sein Team nach der schwachen Ligaphase inklusive Niederlagen bei Halbfinal-Gegner Arsenal (0:2), dem FC Bayern München (0:1) und im Prinzenpark gegen Atlético Madrid (1:2) zum richtigen Zeitpunkt auf Betriebstemperatur. Das Aus in der Ligaphase wandte er dabei erst im letzten Spiel nach 0:2-Rückstand gegen Manchester City ab (4:2).
Seit 2023 entrümpelt er das einst eigensinnige Pariser Starensemble nach seinen ganz eigenen Ideen, die bei einigen Experten anfangs auf Verwirrung stoßen - doch der Erfolg zeigt, wie ausgefuchst seine Methoden sind. Enrique ließ sich den besten Kader Europas zusammenkaufen, drehte Dembélés Mentalität um 180 Grad um, lässt die Engländer selbst wie die "Farmer" aussehen - und findet sein Paris ohne Superstar Mbappé besser.
Luis Enrique gefällt sein PSG ohne Einzelkünstler Mbappé besser
Seit der Übernahme durch den katarischen Staatsfond QSI stand der Verein aus der strahlenden Mode-Stadt Paris für Stars, Bling-Bling und Glamour. Von Zlatan Ibrahimovic bis Edinson Cavani und Sergio Ramos bis Neymar, Kylian Mbappé und Lionel Messi. Damit ist seit 2023 und spätestens 2024 durchaus abrupt Schluss. Der Kurswechsel trägt einen Namen: Luis Enrique.
Der am 8. Mai 54 Jahre alt werdende Coach entschied schon vor seiner Amtsernennung am 5. Juli 2023, dass Schluss mit dem Star-Gehabe ist, Präsident Nasser Al-Khelaifi hatte dem zu folgen. "Ich hätte PSG mit Messi, Neymar und Mbappé nicht trainiert", legte Enrique in der biografischen Doku "No tenéis ni **** idea" (deutsch: "Du hast keine sch*** Ahnung") von Movistar+ offen: "Wenn nur die Mannschaft mit dem besten Spieler der Welt Titel gewinnen würde, hätte PSG acht Champions-League-Titel … und sie haben null", stichelte er gegen seinen eigenen Klub. Vorläufiger Höhepunkt der Vereinsgeschichte bleibt bis heute das Finale 2020 unter Thomas Tuchel, das äußerst knapp an den FC Bayern ging (0:1) - bezeichnender Weise dank PSG-Eigengewächs Kingsley Coman.
Dass die Zeiten der Einzelkünstler vorbei sind, bekam auch Mbappé in seiner letzten Saison in Paris zu spüren. Wie Video-Aufnahmen aus der Enrique-Doku zeigen, faltete "Lucho" den französischen Superstar in einer Videositzung wegen seiner dürftigen Defensiv-Bemühungen zusammen: "Ich habe gelesen, dass dir Michael Jordan gefällt. Michael Jordan hat seine Mitspieler bei den Eiern gepackt, verteidigt wie ein H****sohn."
Im Februar 2025 legte der Asturier nach, sein PSG gefalle ihm nun ohne den zu Real Madrid abgewanderten Mbappé besser: "Ich war mutig, als ich letzte Saison gesagt habe, dass wir in Angriff und Verteidigung eine bessere Mannschaft haben. Aber ich sage das auch weiterhin, die Zahlen belegen das." Vor dem Rückspiel gegen Arsenal führte er aus: "Das wichtigste im Sport sind Werte."
Wäre da im Vorjahr nicht das CL-Halbfinal-Aus gegen die schwächer eingeschätzten Dortmunder gewesen, hätte Enrique schon in seinem ersten Jahr in Paris die Lorbeeren geerntet. Auf der Pressekonferenz am Dienstag erklärte er: "Es ist normal in einem Aufbauprozess, dass es im ersten Jahr noch Dinge zu analysieren gibt. Das zweite Jahr ist ein Jahr des klareren Wachstums und des Vertrauens in unsere Ressourcen."
Der spektakuläreste und ausglichenste Kader Europas - nach Enriques Ideen
Ohne Mbappé ließ sich Enrique seine Wünsche nach dem aktuell besten Kader Europas Stück für Stück finalisieren - mit katarischen Millionen versteht sich. 180 Millionen Euro wie einst für Mbappé oder 222 wie bei Neymar legt man in der französischen Hauptstadt allerdings nicht mehr auf den Tisch. Das Grundprinzip: Jede Position wird mit zwei jungen Topspielern besetzt - einzig für Rechtsverteidiger Achraf Hakimi gibt es keinen gleichwertigen Ersatz.
Im Sommer legte Sportdirektor Luis Campos mit Matvey Safonov (als Ersatz für den teils schwächelnden Gianluigi Donnarumma), Willian Pacho von Eintracht Frankfurt als Nebenmann für Marquinhos, Joao Neves fürs den abgewanderten Manuel Ugarte und Désiré Doué für die Flügel nach. Letzteren überzeugte Enrique persönlich von seinem System, der FC Bayern und Vincent Kompany sagten Doué weniger zu.
So stand im Sommer ein scheinbar perfekter Kader zusammen, gerade auf den Flügeln - mit Dembélé, Bradley Barcola und Doué. Doch Enrique war auch das immer noch nicht genug. Und ließ Khvicha Kvaratskhelia aus Neapel kommen - weil sich Barcola und Doué auf dem linken Flügel ebenfalls am wohlsten fühlen, stieß dieser Transfer jedoch auf Verwunderung. Im Sommer war man davon ausgegangen, dass "Kvara" mit dem Doué-Transfer vom Tisch sei. Doch nur Enrique wusste genau, was er tat.
PSGs Stammelf im Überblick (Ersatzspieler in Klammern): Donnarumma (Safonov) - N. Mendes (L. Hernandez), Pacho (Beraldo), Marquinhos (Kimpembe), Hakimi (-) - Ruiz (Mayulu), Neves (Zaire-Emery), Vitinha (Lee) - Kvaratskhelia (Barcola), Dembélé (G. Ramos), Doué (Lee)
Getty ImagesWie Enrique den Angriff um Dembélé umformte: "Meine beste Entscheidung"
Und da kommt Dembélé ins Spiel. Der 27-Jährige war im Oktober 2024 gerade erstmals seit Langem in seiner Karriere verletzungsfrei, erfüllte sein Potenzial jedoch vor allem im Abschluss nicht. So erklärte Ludovic Giuly, einstiger französischer Nationalspieler bei Telefoot: "Er ist ein unfassbarer Dribbler, der beidfüßig und schnell ist. Wenn er auch noch einen guten Abschluss hätte, könnte er um den Ballon d'Or mitspielen."
Im Vorrunden-Duell bei Arsenal fehlte der Dribbelkünstler dann allerdings wegen einer Disziplinar-Maßnahme. "Es gibt ein Problem mit dem Engagement des Spielers für die Mannschaft", erklärte Enrique seine Entscheidung nach dem enorm wichtigen Spiel, das mit 0:2 verloren ging. Auch durch diese umstrittene Maßnahme Enriques ist Dembélé fast über Nacht zu einem völlig neuen Spieler geworden. In den 38 folgenden Einsätzen traf er unglaubliche 33-Mal und legte zwölf weitere auf. "Meine beste Entscheidung war, ihn nicht gegen Arsenal in London spielen zu lassen. Dafür hatten mich alle kritisiert", stellte Enrique seine Genialität zur Schau.
Ein weiterer Knackpunkt, wie Enrique es als erster Trainer seit schaffte, Dembélés volles Potenzial konstant abzurufen, ist seine Umpositionierung: Der Spanier hatte die geniale Idee, den Rechtsaußen in die Mitte des Spielfeldes zu versetzen, wo der Franzose sich tief fallen lässt und selbst angespielt werden kann, statt Vorlagen zu geben. Zudem darf vermutet werden, dass Enrique eine Sitzung à la Mbappé mit Dembélé verbrachte - und ihm eine neue Mentalität im Abschluss verpasste. Dembélés Platz auf rechts wurde so für Barcola und Doué frei, links ist "Kvara" gesetzt - ein genialer Angriff.
Diese neue Sieger-Mentalität, die nun auch Dembélé auszeichnet, zeigte die gesamte Mannschaft in den knappen Spielen gegen Liverpool und Aston Villa im Achtel- bzw. Viertelfinale. Gegen die Reds blieben die Spieler selbst in Anfield cool, im Duell mit dem Team aus Birmingham wurden im Rückspiel sogar bitterböse Remontada-Erinnerungen an 2017 gegen den FC Barcelona (1:6 nach 4:0) oder 2022 gegen Real Madrid (1:3 nach 1:0) überwunden. Nach 27 Minuten hatte PSG mit 2:0 auf der Insel geführt, doch nach 57 Minuten und einem Doppelschlag lag man urplötzlich 2:3 hinten - nur ein weiterer Gegentreffer hätte für eine Verlängerung gefehlt - doch das Team blieb cool.
Ein Grund dafür: Beinahe alle im Verein sprechen mittlerweile Französisch, darunter auch Enrique selbst, der dies zuletzt auch erstmals auf einer Pressekonferenz zum Besten gab. Auch dort zeigt sich, wie gierig Enrique nach Erfolg ist: Die Stimme vor Druck leicht verquickt, brodelt es in ihm, wenn er über seine große Obsession Fußball spricht. Im September sagte er sogar: "Ich würde sofort auf 50 Prozent meines Gehalts verzichten, wenn ich keine Pressekonfernezen mehr machen müsste."
Ligue 1 als Vorteil statt Nachteil - PSG macht Engländer zu den "farmern"
Weil Paris seit der katarischen Übernahme 2011 trotz einem stets starken Kader erst ein einziges Mal das CL-Finale erreichte, musste auch die französische Ligue 1 oft als Grund für die Enttäuschungen in der Königsklasse herhalten. Eine weitere konstante Spitzenmannschaft hat Frankreich nunmal seit Langem nicht zu bieten. So kann sich Paris nicht auf dem Niveau der CL-Gegner einspielen. Die AS Monaco, der OSC Lille, Olympique Marseille, Olympique Lyon und Stade Rennes spielen zwar gut und auch international - aber die Qualität, um in ein CL-Viertelfinale vorzudringen hat aktuell keines der genannten Teams.
Enrique hat sich jedoch nie auf diesen Aspekt eingeschossen. Er fokussiert sich vielmehr auf die positiven Aspekte einer Liga ohne weiteres Weltklasse-Team. Der Spanier kann dadurch die Einsatzzeiten seines breiten Kaders klug und geschickt Woche für Woche dosieren und die Wünsche aller Spieler gut erfüllen - eine Spezialität von ihm. Das ist auch möglich, weil PSG der Titel bereits seit dem 28. Spieltag sicher ist.
Außerdem interessant: Der französische Ligaverband LFP verkleinerte den Wettbewerb 2023 von 20 auf 18 Teams - und bot PSG zwischen den Viertelfinalduellen mit Aston Villa eine Pause in der Ligue 1.
Gerade im Vergleich zu den Engländern mit einer Premier-League-Saison von 38 Spielen plus FA- und League Cup ist das ein Vorteil. Auf dem Weg ins Finale schaltete Paris schließlich bisher drei englische Teams aus: Manchester City, den LFC und Villa. Arsenal kann man am Mittwoch als vierte Mannschaft zurück auf die Insel schicken - und die Engländer wie die "Farmer" aussehen lassen, bzw. wie französische "paysans".
AFPTriple-Experte Enrique könnte seine PSG-Vorgänger alt aussehen lassen
Enrique weiß als einer von wenigen Trainern weltweit, welche Zutaten es für den Triple-Zaubertrank braucht. 2015 gelang ihm die ultimative Krönung bereits mit dem FC Barcelona - natürlich auch und vor allem dank dem Weltklasse-Dreigestirn aus Neymar, Luis Suarez und Lionel Messi.
Eine entsprechende Wiederholung mit seinem jungen Pariser Kader ohne absolute Superstars wäre umso beeindruckender - auch, wenn die beiden nationalen Titel in Frankreich natürlich leichter verdient wären als damals in Spanien. Am 24. Mai erwartet Paris im Finale der Coupe de France übrigens Stade Reims, das Double könnte dann bereits feststehen. Im Finale von München am 31. Mai würde dann Inter Mailand warten.
Enrique könnte dabei den schon so ewig ersehnten Traum von PSG und den Kataris wahr werden lassen und dabei all seine Vorgänger aus der französischen Hauptstadt alt aussehen lassen: Schließlich versuchten sich schon die klangvollen Trainer-Namen Carlo Ancelotti, Unai Emery, Thomas Tuchel und Mauricio Pochettino vergeblich trotz der unerschöpflichen katarischen Geldquellen am Triumph in Europa.

