GFX Jonathan Tah Antonio RudigerGetty Images / GOAL

"Ich weiß, dass es eklig ist": Jonathan Tah verrät, was Antonio Rüdiger von Real Madrid perfekt beherrscht

Herr Tah, auch wenn Sie immer noch erst 28 Jahre alt sind, spielen Sie gefühlt schon immer in der Bundesliga (tatsächlich feierte Tah sein Debüt am 24.8.2013, Anm.d.Red.). Es gibt nur fünf Spieler, die mehr Partien für Bayer Leverkusen absolviert haben als Sie. Kommt es noch vor, dass Sie sich denken: Diese und jene Eigenschaft von einem Spieler hätte ich auch gern? 

Jonathan Tah: Klar, es gibt immer Dinge, die man sich abschauen kann, und da spielt es keine Rolle, ob der Spieler jung oder alt ist oder ob er auf meiner Position spielt oder nicht. Ich mag das 'Beginner’s Mindset': Nie denken, dass du ganz oben angekommen bist und nichts mehr lernen kannst. Deswegen schaue ich immer, wer bestimmte Dinge vielleicht gerade besser macht als ich.  

Gilt das vor allem für den Fußball oder generell? 

Tah: Am meisten auf dem Platz, aber nicht nur. Man muss natürlich immer für sich selbst definieren: Wer bin ich und wer will ich sein? Oder auch: Wer bin ich und was will ich nach außen geben? Natürlich festigt sich das immer mehr mit dem Alter, aber das heißt nicht, dass man mit geschlossenen Augen durchs Leben gehen darf. Wenn ich mir zum Beispiel Toni Rüdiger und seine Mindgames anschaue - die feiere ich total und sind für jeden Gegner unangenehm. Und das sind Dinge, die man auf jeden Fall auch für sein eigenes Spiel ein bisschen mitnehmen kann. 

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    Tah über Rüdiger: "Toni macht das in Perfektion"

    Sie spielen neben Rüdiger in der Nationalmannschaft. Versuchen Sie, ihn da ein bisschen nachzuahmen?  

    Tah: Nicht nachahmen und auch nicht auf seine Art und Weise. Aber ich weiß halt, wie eklig das für einen Stürmer ist, wenn er die ganze Zeit das Gefühl hat, dass ihm einer im Nacken hängt oder ihm irgendwas ins Ohr sagt. Ich weiß, dass es eklig ist. Toni macht das in Perfektion. Und klar nimmst du das dann auch mit und machst das auch. Es ist nicht so, dass ich das von ihm abgeguckt hätte, aber es sensibilisiert dich für diese Dinge, wenn du siehst, dass er es einfach jedes Mal macht und er so erfolgreich dabei ist. Und dann denkst du dir: Okay, vielleicht kann ich es auch wieder mehr machen.

    Ist es schon mal vorgekommen, dass Sie Mitleid hatten mit einem Stürmer, der gegen Rüdiger spielen musste und haben Sie sich vielleicht sogar für Rüdigers Mindgames bei ihm entschuldigt?  

    Tah: Überhaupt nicht! Ich glaube, dass es für jeden Stürmer, gegen den wir zusammen gespielt haben, richtig ekelhaft war. Wenn ich neben Toni spiele, dann weiß ich, dass ich einen Loco (spanisch für Verrückten, Anm.d.Red.) neben mir habe. Also bin ich dann auch loco und wir bereiten den Stürmern gemeinsam einen richtig schweren Tag. 

    Als es bei der Nationalmannschaft im Sommer darum ging, wer Manuel Neuer als Kapitän nachfolgt, wurden auch Sie ins Gespräch gebracht. Bei Leverkusen sind Sie Vize-Kapitän und Sprachrohr zum Schiedsrichter, in den Junioren-Nationalmannschaften waren Sie auch immer Spielführer. Was macht für Sie Leadership aus - auf dem Feld und in einer Mannschaft?

    Tah: Zunächst mal ist es extrem wichtig, dass es Leader gibt - auf dem Platz und in der Kabine. Ohne geht es nicht. Dabei ist es am wichtigsten, dass man bei sich selbst anfängt und für sich selbst Verantwortung übernimmt. Und dann kann man das auf andere übertragen und anderen etwas mitgeben.

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  • SV Werder Bremen v Bayer 04 Leverkusen - BundesligaGetty Images Sport

    Der ruhige Tah? "Wenn es laut wird, wird es richtig laut!"

    Auch im Sinne von Selbstkritik? 

    Tah: Total. Du kannst nicht von anderen etwas einfordern, was du selber nicht machst. Wenn ich zum Beispiel finde, dass wir nicht aggressiv genug spielen, dann ist es nicht so, dass ich den anderen sage, sie sollen aggressiver spielen. Sondern ich versuche dann in allen meinen Zweikämpfen aktiver und aggressiver zu sein, damit alle anderen auf dem Platz sehen, dass das der Modus ist, in den wir jetzt wieder reinkommen müssen. Das ist so meine Art, wie ich versuche zu führen.

    Also auch die Fehler anderer ansprechen?

    Tah: Immer über Fehler sprechen. Fußball ist ein Fehlerspiel und indem wir darüber reden, sehen wir, was wir in der nächsten Situation besser machen können. Wir brauchen Fehler, um besser zu werden. 

    Sie reden hier mit einer relativ leisen Stimme. Ist das allgemein Ihre Tonlage, der Jona-Sound sozusagen? 

    Tah: Ehrlich gesagt habe ich noch nie gehört, dass ich leise rede. Deswegen würde ich das nicht als den Jona-Sound bezeichnen. Der ist oft ruhig und gelassen, aber nicht leise. 

    Macht das einen Unterschied für Sie?

    Tah: Leise ist für mich jemand, der sich vielleicht nicht traut, laut zu reden. Ich würde sagen, dass ich eine ruhige Stimme habe. Aber ich kann sehr laut werden. Und wenn es laut wird, dann wird es richtig laut. Das kommt auch öfter mal vor. Entweder, wenn ich sauer bin, wenn ich eine geile Aktion habe oder wir ein Spiel gewinnen.  

    Mussten Sie sich diese Ruhe erst angewöhnen? 

    Tah: Nein, das bin einfach ich. Ich spüre in mir eine gewisse Gelassenheit. Das hat vielleicht etwas damit zu tun, wo ich herkomme und wie ich aufgewachsen bin. Ich denke mir einfach: Warum soll ich mich stressen? Ich bin so dankbar für das, was ich erleben darf und will das einfach genießen. 

  • "Natürlich auch crazy": Der Tah-Hype in Hamburg

    Noch bevor Sie Profi wurden, wurden Sie in einer Doku auf Ihrem Weg begleitet. Und noch vor Ihrem Debüt reflektieren Sie in dieser Langzeitreportage, dass Sie auf dem Boden bleiben müssten. Wenn Sie Ihrem 17-jährigen Ich heute etwas sagen könnten, was es vielleicht anders machen sollte in dieser frühen Zeit Ihrer Karriere: Was wäre das?

    Tah: Tu das, was du für richtig hältst und hör nicht so viel auf das, was von außen geredet wird von Menschen, die in deinem Leben keine Bedeutung haben. Blende das aus und fokussiere dich auf das, was du willst.

    Welche Menschen meinen Sie da?

    Tah: Medien, Menschen im Fußball allgemein. Im Fußball hat ja jeder seine eigene Meinung und kann sie auch überall und jederzeit äußern. Das war für so einen jungen Menschen nicht einfach und das ist auch heute für junge Menschen sicher nicht einfach, damit umzugehen und zu filtern, was ist eigentlich wichtig? Was sollte ich mir anschauen? Was sollte ich einfach komplett weglassen? Mein erster Instagram-Post war tatsächlich nach meinem ersten Pflichtspiel von Anfang an gegen Werder Bremen mit 17 Jahren. Facebook gab es schon vorher, aber das war die Zeit, in der dann jeder seinen Senf zu allem dazu geben konnte. 

    In Hamburg herrschte damals ein ziemlicher Hype um Sie, irgendwann stand plötzlich sogar Ihr Vertrag in der Zeitung. Gab es einen Moment, an dem Sie gedacht haben: Worauf habe ich mich hier nur eingelassen?

    Tah: Nein, das gab es nie. Alles wurde immer überstrahlt von dem überwältigenden Gefühl, dass ich das alles erleben durfte. Klar: Mein Vertrag wurde geleakt. Dann hat irgendjemand irgendwas über meinen Vater erzählt und irgendwelche Berater haben irgendwas behauptet. Natürlich war diese Zeit auch crazy. Ich bin ja damals noch zur Schule gegangen und da dachte ich mir schon, was meine Lehrer wohl über mich denken müssen, wenn ich hier im Unterricht sitze und in der Zeitung steht, wie viel Geld ich angeblich verdiene. Aber ich durfte Fußballprofi werden, das war das Wichtigste. 

    Hat es dann geholfen, in der kommenden Saison nach Düsseldorf in die 2. Liga ausgeliehen zu werden? 

    Tah: Total, auch wenn ich das in dem Moment nicht so wahrgenommen habe. Für mich war das damals erst mal eine Leihe in die 2. Liga. Aber rückblickend war es einfach gut für mich, aus Hamburg wegzugehen. Hamburg ist eine riesige Stadt, meine Heimat, und es lag so viel Aufmerksamkeit auf meiner Person, es ist so viel auf mich einprasselt. In Düsseldorf konnte ich mich komplett auf Fußball konzentrieren. Es hat auch keinen interessiert, dass ich dort damals gespielt habe. Das war zumindest mein Gefühl. Und das tat in dem Moment richtig gut.

    Auch beim HSV hat es nicht interessiert? 

    Tah: Da gab es nicht wirklich viel Kontakt und ich hatte zumindest nicht das Gefühl, dass sie das so sehr verfolgen würden oder mir das Gefühl geben wollten: 'Wir freuen uns, wenn du wieder da bist'. Es war eher ein: 'Okay, der ist jetzt da und irgendwann kommt er vielleicht wieder, vielleicht auch nicht'. Und es war dann ja auch so, dass ich dann nicht wieder gekommen bin.

  • Jonathan Tah Germany Euro 2024Getty

    Der lange Weg ins DFB-Team: Tah über "Momente des Zweifelns"

    Sie haben mit 20 bei einem 2:3 gegen England Ihr Debüt für die DFB-Elf gefeiert. Doch Sie hätten sogar schon drei Jahre vorher Nationalspieler werden können. 

    Tah: Kurz vor der WM 2014 kam die Nationalmannschaft der Elfenbeinküste auf mich zu. Das war erst einmal auch eine Riesen-Ehre für mich, weil ich mich durch meinen Vater schon auch verbunden zur Elfenbeinküste fühle. Es war ein schönes Gefühl für mich und es waren damals auch krasse Spieler dort: Didier Drogba, die Touré-Brüder … Aber ich bin in Deutschland aufgewachsen, habe alle Jugend-Nationalmannschaften durchlaufen und war und bin dankbar für diese Ausbildung, die ich hier hatte. Und ich hatte auch den Glauben daran, dass ich in der deutschen Nationalmannschaft spielen könnte. Hätte ich diesen Glauben nicht gehabt, hätte ich vermutlich länger über das Angebot der Elfenbeinküste nachgedacht. Aber ich habe auf Deutschland gewartet und zwei Jahre später kam Deutschland dann ja auch. 

    Sie wurden 2016 für die EM nachnominiert, nachdem sich Rüdiger das Kreuzband gerissen hatte, spielten in Frankreich aber nicht. Dann wurden Sie erst wieder 2024 für ein Turnier eingeladen. Gab es zwischendurch Momente, in denen Sie vielleicht sogar gedacht haben, doch nicht ganz so gut zu sein? 

    Tah: Ich würde lügen, wenn ich behaupten würde, dass es keine Momente des Zweifelns gegeben hätte. Ich glaube aber, das gehört dazu. Aber es gab nie einen Moment, an dem ich gedacht hätte, das reicht nicht oder ich bin nicht gut genug. Meine Nominierung 2016 kam überraschend. Aber danach war es natürlich schon mein Anspruch, weiter nominiert zu werden. Dass das dann nicht passierte, hat mich tatsächlich extrem gepusht. Natürlich war ich im ersten Moment enttäuscht und traurig, aber am Ende hat es dazu geführt, dass ich noch besser geworden bin. Dass ich jetzt bei der Heim-EM dabei sein konnte, hat mich extrem gefreut - auch, weil das immer mein Ziel war, da dabei zu sein und auf dem Platz zu stehen. Du glaubst daran, du visualisiert das und wenn du es dir vorstellen kannst, dann kannst du es auch erreichen.

  • So beschäftigt sich Tah abseits des Fußballs

    Sie machen neben dem Fußball relativ viele Sachen, haben in Start-Ups investiert, sind im Immobiliengeschäft. Machen Sie das zum Geldverdienen oder um sich mit Dingen zu beschäftigen, die nicht Sport sind?

    Tah: Beides. Es macht mir extrem viel Spaß, mich auch mit Dingen außerhalb des Fußballs zu beschäftigen. Auch um herauszufinden, was ich eigentlich nach der Karriere machen möchte. Aber natürlich geht es auch darum, das Geld clever und gut anzulegen.

    Machen Sie das alles alleine?

    Tah: Nein. Aber ich bin schon jemand, der sich sehr viel auf sich selbst verlässt - was manchmal gut ist und manchmal auch nicht so gut. Ich probiere schon viel selber aus, versuche sehr viel zu lernen. Lese sehr viel oder schaue mir Videos an. Aber es gibt natürlich auch Menschen, die mich ein bisschen mehr in diese Businesswelt hineingebracht haben.

    Schon mal Geld verloren beim Investieren? 

    Tah: Bisher nicht wirklich. Kann aber natürlich immer passieren.