Endlich ein echter Ersatz für Robert Lewandowski! Harry Kane könnte das fehlende Puzzlestück für Bayern München sein, die Champions League zu gewinnen

Die Rote Karte von Thomas Tuchel in der Schlussphase des Viertelfinal-Rückspiels der Champions League gegen Manchester City kam nicht überraschend. Während der vorangegangenen 86 Minuten in der Allianz Arena hatte er kaum eine Sekunde lang aufgehört zu schimpfen.

Tuchels Wut richtete sich gegen den Schiedsrichter, doch in Wahrheit waren seine Spieler die wahre Quelle seiner Frustration. Dayot Upamecano hatte sich im Laufe der beiden Spiele als kompletter Unsicherheitsfaktor erwiesen, als er im Hinspiel in Manchester mit einem unbedrängten Fehlpass ein Tor verschuldete und in München einen Elfmeter verursachte, weil er in beiden Spielen mit dem Pressing von City und Erling Haalands Kombination aus Tempo und Kraft nicht zurechtkam.

Was Tuchel und den Bayern in diesen Viertelfinalspielen jedoch wirklich zum Verhängnis wurde, war die Unfähigkeit seiner Spieler, den Ballbesitz in Tore umzumünzen, und zwar in beiden Partien. Zur Wahrheit dieses Viertelfinals gehört nämlich auch: Die Bayern hatten nicht nur mehr Ballbesitz, sondern auch mehr Abschlüsse als die Mannschaft von Pep Guardiola (31:24), ebenso viele Torschüsse (11 pro Mannschaft) und waren über weite Strecken beider Spiele die bessere und dominantere Mannschaft - und verloren trotzdem in der Addition beider Ergebnisse mit 1:4.

"Ich versuche, meinen Spielern nicht zu erlauben, sich auf das Ergebnis zu konzentrieren", sagte Tuchel nach der 0:3-Niederlage im Etihad-Stadion. "Ich denke, es ist kein verdientes Ergebnis, es sagt nichts über die Geschichte dieses Spiels aus. Wir haben mit Persönlichkeit, Mut und viel Qualität gespielt. Aber wir haben nicht die Belohnung bekommen, die wir verdient hätten. Es fühlt sich nicht wie ein 0:3 an, aber es ist ein 0:3. Es ist also eine große Aufgabe, das Blatt zu wenden."

Dennoch hätte ihnen das in München gelingen können, wenn Angreifer wie Leroy Sané mal das Tor getroffen hätten.

  • Robert Lewandowski Bayern Champions League trophy 2020Getty Images

    Der Verlust von Robert Lewandowski und das Elend von Sadio Mané

    In dieser Hinsicht hatte Erling Haaland tatsächlich den Unterschied zwischen den beiden Mannschaften gemacht. Die eine Mannschaft hatte einen Weltklasse-Mittelstürmer in der Spitze, die andere einen halbwegs fitten Eric-Maxim Choupo-Moting, der in der letzten Saison mit nur 17 Toren in 30 Partien (Serge Gnabry benötigte für seine 17 Treffer 47 Spiele) bester Torschütze der Bayern war.

    Während also nach dem Ausscheiden größtenteils darüber diskutiert wurde, dass der überraschende Wechsel auf der Trainerbank von Julian Nagelsmann zu Thomas Tuchel nichts gebracht hatte, bestand das eigentliche Problem der Bayern darin, im Sommer Robert Lewandowski durch Sadio Mané ersetzt zu haben. Natürlich konnte damals niemand vorhersehen, dass dieser mehr auf seine Mannschaftskameraden als auf das Tor zielen würde, aber es war dennoch eine schlechte Entscheidung von Ex-Sportdirektor Hasan Salihamidzic.

    Mané hatte sich während seiner Zeit in Liverpool den Ruf eines Weltklasse-Angreifers und zuverlässigen Torjägers erworben, war aber nie so torgefährlich wie Mohamed Salah. Es war klar, dass er nicht komplett in die Fußstapfen von Robert Lewandowski treten würde, der in seiner letzten Saison in Deutschland in nur 46 Spielen 50 Tore erzielt hatte. Doch Mané half eben auch seinen Mitspielern nicht, mehr Tore zu erzielen. Auch deswegen konnte Lewandowski nicht mal im Kollektiv ersetzt werden.

    Natürlich ist Lewandowskis Torquote wahnsinnig gut und natürlich können nur sehr wenige Mittelstürmer auf der Welt da auch nur annähernd mithalten. Aber Harry Kane könnte es. Ganz ehrlich. Er ist so gut.

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  • Harry Kane Tottenham Leeds 2022-23Getty

    Harry Kane ist ein kompletter Mittelstürmer

    Lewandowski ist natürlich ein reiner Torjäger, eine klassische Nummer 9, die im Strafraum richtig aufdreht. Kane ist jedoch in der Lage, sowohl Tore zu schießen als auch selbst welche vorzubereiten, ein unterschätzter Spielmacher. Deshalb war auch Real Madrid an ihm interessiert, bevor Kylian Mbappé ihnen ein weiteres "Komm und hol mich" zurief.

    In der Tat gibt es wirklich keinen besseren Ersatz für Karim Benzema als Kane. Er kommt dem Franzosen im heutigen Spiel am nächsten. Keiner von beiden ist besonders schnell, aber sie gehören zur seltenen Spezies on cleveren Mittelstürmern, die im letzten Drittel des Spielfelds fast alles beherrschen.

    Sie sind gleichzeitig uneigennützig und zielstrebig, bereit, hart für ihre Mitspieler zu arbeiten und sich tief fallen zu lassen, um das Spiel anzukurbeln. Und gleichzeitig sind sie darauf bedacht, jeden einzelnen Pass oder jede Flanke in den Strafraum zu erreichen, was sie zu einem Albtraum für jeden Gegenspieler macht.

  • JAMAL MUSIALA BAYERN MÜNCHEN BUNDESLIGA 27052023Getty Images

    Eine perfekter Spieler für den FC Bayern

    Es bedarf also nicht viel Kreativität, um sich vorzustellen, wie Kane bei den Bayern aufblühen könnte. Die Bayern verfügen über eine Fülle von jungen und talentierten offensiven Mittelfeldspielern und schnellen Flügeln, die, zumindest theoretisch, wunderbar mit einem so erfahrenen und mobilen Stürmer zusammenarbeiten würden. Kane wäre ein weiterer hervorragender Dreh- und Angelpunkt im Angriff, aber eben auch einer, der jederzeit aufs Tor schießen könnte.

    Zum jetzigen Zeitpunkt scheint es sicher, dass aus dem Trio Leroy Sané, Serge Gnabry und Sadio Mané mindestens einer - wenn nicht sogar zwei - in diesem Sommer verkauft werden, vor allem wenn Kane für eine wahrscheinlich beträchtliche Summe kommt.

    Aber die Vorstellung, dass Kane von fantastischen Dribblern wie Jamal Musiala und Kingsley Coman unterstützt wird, sollte den Bayern-Fans das Herz höher schlagen lassen.

  • Harry Kane Tottenham 2022-23Getty

    Kane könnte die Bundesliga komplett rocken

    Kane ist derzeit der zweitbeste Torschütze in der Geschichte der Premier League. Sollte er in England bleiben, selbst bei den kriselnden Spurs, würde er diesen Rekord zweifellos innerhalb von drei Spielzeiten von Alan Shearer übernehmen. Kein Wunder, dass Shearer Kane gerne beim FC Bayern sehen würde.

    Der Kapitän der englischen Nationalelf ist so treffsicher, dass er in der vergangenen Saison von seinen Großchancen zwölf Prozent mehr verwertete als Haaland (Kane machte aus 52,54 Prozent seiner Großchancen ein Tor) und in 38 Spielen für die achtbeste Mannschaft Englands 30 Tore in der Premier League erzielte - und damit nur sechs weniger als der Norweger.

    Das ist unter den gegebenen Umständen eine wirklich erstaunliche Leistung, und man muss sich fragen, wie viele Tore er wohl für eine Bayern-Mannschaft schießen würde, die sich unter Tuchel in diesem Sommer entwickeln dürfte.

  • Lothar Matthaus 2021Getty Images

    Kane wirklich "zu alt und teuer für Bayern?"

    Natürlich gibt es angesichts des Alters von Kane und seiner Verletzungshistorie berechtigte Bedenken bezüglich der Ablösesumme. Weil er nur noch einen Monat von seinem 30. Geburtstag entfernt ist, glaubt Lothar Matthäus zum Beispiel, dass Kane "zu alt und zu teuer für die Bayern" ist. Zumal Bayern bisher noch nie annähernd 100 Millionen Euro Ablöse für einen Spieler ausgegeben hat. Und Kane ist körperlich nicht so stark wie ein Lewandowski.

    Allerdings hat er in jeder der letzten drei Spielzeiten 49 oder mehr Spiele für die Spurs bestritten, und es ist nicht so, dass Schnelligkeit jemals ein zentraler Bestandteil seines Spiels gewesen wäre. Kane ist ein Spieler, der sich auf seine Bewegungsintelligenz und seine Abschlusspräzision verlässt. Er könnte es seinem Idol Teddy Sheringham gleichtun und bis ins ganz hohe Alter noch Tore schießen. Sheringham war weit über 40, als er seine Karriere 2008 beendete.

  • Harry KaneGetty

    Anwärter auf den europäischen Thron

    Wenn es den Bayern außerdem noch gelingt, Innenverteidiger Min-jae Kim von Napoli zu verpflichten, sähe ihre Startaufstellung plötzlich wieder jene eines potenziellen Champions-League-Siegers aus. Erst recht, wenn dann noch ein guter defensiver Mittelfeldspieler verpflichtet wird, damit Joshua Kimmich weiter vorne spielen kann.

    Die Verpflichtung Kanes ist jedoch der Schlüssel. Wir wissen, dass er am liebsten in England bleiben würde. Wir wissen, dass er den Premier-League-Rekord anstrebt. Vor allem aber wissen wir, dass er endlich Titel gewinnen will - und der nächste Bundesligatitel scheint für eine Mannschaft, die jetzt elfmal in Serie die Meisterschaft geholt hat, eigentlich nur eine Formsache.

    Tuchel und die Bayern haben natürlich viel höhere Ziele als das. Mit Kane an der Spitze hätten sie sicherlich keine Angst davor, in der nächsten Saison in der Champions League auf Haaland oder City zu treffen; im Gegenteil, sie würden es genießen.