Unerwartet ungeschlagen: Wie Francesco Farioli OGC Nizza zum Titelkandidaten in der Ligue 1 macht

Sieben Spieltage sind seit dem Beginn der neuen Saison in der Ligue 1 vergangen. Wer zuletzt lange im Urlaub war und die Ergebnisse nicht verfolgt hat, wird sich beim Blick auf die Tabelle die Augen reiben. An der Spitze steht die AS Monaco, gefolgt von Brest, Reims und Nizza, das als einziges Team der Liga noch ungeschlagen ist. Lens als 15. krebst unten im Klassement herum - und Lyon ist sogar Tabellenletzter. Eine verkehrte Welt.

Der OGC Nizza erwischte einen Top-Start, im Gegensatz zu allem, was die Experten vorhergesagt hatten. Man muss 21 Jahre zurückblicken, um einen besseren OGC-Start zu finden. Damals angeführt von Everson, Diawara und Abardonado blieben die Aiglons (Adler) bis zum achten Spieltag an der Spitze. "Das erinnert mich an die guten alten Zeiten", erzählt uns der Deutsche Gernot Rohr, der damalige Trainer der Mannschaft. Es ist nicht sicher, ob das aktuelle "Gym" (OGC heißt Olympique Gym Club, Anm. d. Red.) lange im oberen Tabellendrittel durchhalten wird. Aber es gibt viele Gründe dafür.

Unter dem italienischen Trainer Francesco Farioli haben die Aiglons bislang beeindruckende Leistungen gezeigt. Sie haben nicht nur eine Reihe guter Ergebnisse erzielt, sondern auch schon zwei große Mannschaften zu Hause geschlagen, Paris Saint-Germain (3:2) und die AS Monaco (1:0). Das ist alles andere als Zufall, sondern vielmehr der Verdienst der Spieler, die im Vergleich zur letzten Saison nicht wiederzuerkennen sind, und des 34-jährigen Trainers. Der Italiener, der noch nie zuvor in einer großen Liga gecoacht hatte, holte schon so viel aus der Mannschaft heraus, wie es keinem seiner fünf Vorgänger gelungen war. Gelernt hat Francesco Farioli von Brightons Erfolgscoach Roberto De Zerbi - und er wird mit Julian Nagelsmann verglichen.

Aber was ist Francesco Fariolis Erfolgsrezept?

  • Francesco Farioli OGC Nice Ligue 1Getty

    Die Spielweise des OGC Nizza grundlegend verändert

    Nizza spielt in dieser Saison mit einer defensiven Absicherung und hat nicht gerade oft den Ball - weiß ihn aber gut zu nutzen, wenn er in den eigenen Reihen ist. Das gilt vor allem für das Herausspielen von Chancen und für Konter. Gernot Rohr, Ex-Trainer des OGC Nizza, weiß, warum die Adler so schwer zu schlagen sind. "Sie sind gut organisiert, gut aufgestellt, mit einem effektiven, aber dennoch intensiven Pressing. Das verlangt den Spielern viel ab", erklärte er GOAL.

    Frédéric Antonetti, ein weiterer ehemaliger Trainer des Gym, stimmt Rohr zu. Er erkennt die gute Arbeit von Farioli an, hebt aber auch die Qualität der Spieler hervor: "Sie haben diese Saison einen guten Kader. Die Mannschaft spielt gut zusammen und kann sowohl gute Angriffe als auch Konter fahren. Sie ist hinten stark, hat gute Stürmer und ist ziemlich komplett. Nizza hat im Kader die erkannten Mängel korrigiert. Die Korrekturen waren richtig und deshalb kann das Team jetzt jedem Probleme bereiten. Aber man muss auch abwarten, wie lange das noch gelingt."

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  • OGN Nice StadiumGetty Images

    Wie sich Francesco Farioli im Eiltempo an die Ligue 1 anpasste

    Rund um das Stadion Allianz Riviera wurde also alles sorgfältig vorbereitet, um einen guten Start in die Saison 2023/24 hinzulegen. Aber Farioli ist trotzdem zumindest für einige Verbesserungen verantwortlich. Denn es ist nicht jedem ausländischen Trainer vergönnt, in die Ligue 1 zu kommen und auf Anhieb gute Ergebnisse zu erzielen - und das auch noch mit einer Mannschaft, die nicht zwingend ins obere Tabellendrittel gehört. Antonetti stimmt zu: "Er hat Qualitäten, das ist klar. Er hat einen guten Kader zur Verfügung. Es ist nicht einfach, einen Trainer nach so kurzer Zeit zu beurteilen, aber der Start ist vielversprechend."

    Rohr gab zu, dass er Farioli vor seinem Wechsel nach Frankreich nicht kannte. Aber das heißt nicht, dass er von dessen Leistungen überrascht ist. "Wenn man gute Arbeit leistet und die richtigen Leute um sich herum hat, kann man gute Ergebnisse erzielen. Aber das ist erst noch der Anfang." Wäre ein älterer französischer Trainer genauso erfolgreich gewesen? "Vielleicht. Eigentlich geht es bei einem Trainer um Qualitäten und Fähigkeiten, unabhängig von der Nationalität und dem Alter."

    Und diese Qualitäten hat Farioli zweifellos. Spieler Zinédine Ferhat lobt: "Er kommt aus Italien und wie jeder italienische Trainer ist er taktisch sehr gut. Seine Trainingseinheiten sind in dieser Hinsicht auf einem sehr hohen Niveau. Aber er schränkt uns bei unseren Einzelaktionen nicht ein. Er gibt uns die nötige Freiheit auf dem Platz. Und er will lieber den Ball haben, als ihn dem Gegner überlassen. Das ist nicht unbedingt das, was dann gegen PSG und Monaco passiert ist. Aber es beweist, dass er sich auch an die Umstände und die Spielweise der großen Vereine gut anpassen kann."

  • Marcin Bulka Nice Ligue 1Getty

    Farioli gleicht Unerfahrenheit durch Nähe zu den Spielern aus

    Jung zu sein bedeutet zwangsläufig, dass man noch nicht so viel Erfahrung gesammelt hat wie andere. Es ist also keine Beleidigung, wenn man Farioli als Trainer-Neuling bezeichnet.

    Man darf aber auch nicht vergessen, dass er eine Art Coaching-Crashkurs absolviert hat, als er als Co von Roberto De Zerbi bei Sassuolo auf der Bank saß. Außerdem hat es auch Vorteile, fast genauso alt wie die Spieler zu sein. "Er tauscht sich viel mit den Spielern aus und ist ein großer Fußballfan. Menschlich ist er großartig", bestätigt Ferhat. Rohr sieht darin einen weiteren Grund für den Höhenflug des OGC: "Die menschliche Führung ist entscheidend."

    Die Kehrseite der Medaille, wenn man als Trainer (zu) jung ist: mögliche Probleme bei der Autorität. Das ist vor wenigen Monaten möglicherweise auch dem ebenfalls sehr jungen Julian Nagelsmann beim FC Bayern München zum Verhängnis geworden. Kann Farioli in die gleiche Falle tappen? Ferhat ist sich sicher, dass dies nicht passieren wird. "Ich glaube nicht, dass er Probleme mit seiner Autorität haben wird. Er hat die Nähe zu den Spielern, aber nur wenn es um den Job geht. Abgesehen davon, nein. Er hält dann eine gewisse Distanz."

  • Farioli NiceGetty Images

    OGC Nizza: Negativen Druck verhindern

    Die Klub-Bosse in Nizza dürfen sich für den Erfolg der Verpflichtung Fariolis auf die Schultern klopfen. Sie haben es ausnahmsweise einmal geschafft, in der Transferperiode erfolgreich zu sein, die richtige Trainerwahl zu treffen und ein Umfeld zu schaffen, das gute Leistungen begünstigt.

    Zu Beginn der Ära des britischen Investors Sir Jim Ratcliffe hatte sich der Verein auf dem Weg nach oben schon viel weiter gesehen, als man eigentlich war. Man hatte die Champions League vor Augen, doch mittlerweile achtet man in Nizza genau darauf, den Druck auf die Mannschaft nicht zu groß werden zu lassen.

    "Wir haben unsere Ambitionen heruntergeschraubt", sagte Präsident Jean-Pierre Rivère in der Sommerpause.

    "Das nimmt den Spielern sicher eine Last von den Schultern. Es ist immer gut, nur der Außenseiter zu sein und sich auf sein Spiel zu konzentrieren", erklärte Rohr. "Außerdem spielen sie nicht international und treffen auf Mannschaften, die mit ihren Gedanken vielleicht manchmal schon woanders sind. So wie es bei PSG vor dem Spiel gegen Dortmund der Fall war."

    "Ja, sie spielen sicherlich befreiter auf", stimmt auch Antonetti zu. Aber für ein endgültiges Urteil ist es im Fall Nizza immer noch viel zu früh. Es liegt noch ein langer Weg vor dem Farioli-Team - und es kann immer noch passieren, dass es nach dem guten Auftakt schnell nach unten geht. Vor 21 Jahren belegte der OGC, nachdem er nach am 21. Spieltag noch Tabellenführer war, letztlich nur den zehnten Platz. Auch wenn in Nizza aktuell nicht groß geträumt wird, würden Farioli und seine Mannschaft am Ende der Saison sicherlich gerne ein bisschen besser abschneiden als das Nizza aus der Saison 2002/03.