Für Tuchel muss es ein Genuss gewesen sein, die zweite Halbzeit anzuschauen. Während viele Fans vermutlich ungeduldig auf das 2:0 gewartet haben und es im einen oder anderen Wohnzimmer womöglich Kritik daran gab, dass Bayern nicht klarer auf das nächste Tor spielte, machten die Bayern genau das, was der Trainer sehen will.
"Wir mussten kontrolliert bleiben und Spielkontrolle nicht mit Langsamkeit verwechseln", sagte Tuchel über die zweite Hälfte: "Wir waren sehr flüssig im Aufbauspiel, sehr variabel und trotzdem immer sehr diszipliniert auf unseren Positionen, es war kein Harakiri dabei und deshalb war es sehr, sehr gut." Kein Harakiri, viel Disziplin - Schlüsselworte in der Philosophie des Bayern-Trainers.
In den vergangenen Jahren hätten die Bayern dieses Spiel vermutlich entweder mit vielen Toren und mindestens einem Gegentor gewonnen - oder sie wären für die Chancenverwertung im ersten Durchgang bestraft worden, weil sie ins offene Messer laufen. In Köln blieben sie geduldig, gleichzeitig aber konzentriert. Nie mehr Risiko als nötig.
Es gab jüngst Kritik daran, dass sich die Bayern unter Tuchel nicht weiterentwickelt hätten. Unter anderem dieses Spiel ist der Gegenbeweis. Auch weil man offensiv mehr als nur einen Plan hatte. Schon im Vorfeld kündigte Tuchel an, dass er Eric Maxim Choupo-Moting aufgestellt habe, weil er den einen oder anderen langen Ball erwarte. So kam es auch.
Bayern spielte nicht nur flach und ansehnlich hinten heraus, sondern war sich auch nicht zu schade, die sich öffnenden Räume vorne mit langen Schlägen zu bespielen. Allein aus diesen Situationen hätten zwei oder drei Tore mehr fallen können. Hinzu kommt, dass das Tor von Kane bereits das achte Kontertor der Bayern war.
Kontern mit fast 70 Prozent Ballbesitz? Unter Tuchel eine Waffe - und deshalb möglich, weil nicht in jeder Situation hoch gepresst wird, sondern der Gegner auch mal gelockt wird. "Der Glaube wächst", erklärte der Trainer mit einem Lächeln im Gesicht, warum es plötzlich besser läuft. So plötzlich, das ist Teil der ganzen Geschichte, kommt das nicht. Die Ansätze waren immer da.
"Das Dortmund-Spiel war schon ein kleines Schlüsselspiel, dass wir dort so dominant spielen konnten wie heute hier", so Tuchel weiter. Es scheint, als wäre er in München angekommen. Viele werden am Samstagmorgen das Ergebnis sehen und schlussfolgern, dass das wenig spektakulär ist. Doch Kane hat es in seiner Analyse auf den Punkt getroffen: Es war ein sehr wichtiger Sieg. Einer, der den Bayern viel Selbstvertrauen geben dürfte.