Thomas Müller, in letzter Zeit ohnehin wieder in allen Belangen erfrischend, brachte die Geschichte dieses dann doch recht abwechslungsreichen 4:2 des FC Bayern München gegen den 1. FC Heidenheim auf den Punkt. "Eigentlich hatten wir alles im Griff, dann eigentlich nicht, dann wieder schon. Schön war, dass wir gut reagiert haben."
Gegen die gewohnt gut organisierten Heidenheimer dank der Extra-Klasse (und eines Standards) ihres Immer-Treffers Harry Kane und seines kongenialen Immer-Vorbereiters Leroy Sané Mitte der ersten Halbzeit souverän 2:0 in Führung zu liegen, dann in der zweiten Halbzeit nach individuellen Fehlern den Ausgleich zu kassieren, und am Ende dank der Tore der eingewechselten Raphaël Guerreiro und Eric Maxim Choupo-Moting noch verdient 4:2 zu gewinnen: Das ist, nun ja, eigentlich zu gut, um zu schimpfen. Aber eben auch eigentlich nicht mehr als okay.
Daher klang Thomas Tuchels Analyse der Partie durchaus nachvollziehbar. "Plötzlich gibt es dann in so einem Spiel für uns nichts mehr zu gewinnen, sondern nur noch zu verlieren. So hat es dann auch ein bisschen ausgeschaut. Wir waren fehlerhaft, waren müde. Ohne der Mannschaft einen Vorwurf zu machen: Wir haben 2:0 geführt, aber haben die Sache unnötig kompliziert gemacht. Die Reaktion danach war super, ich bin froh, dass die Auswechselspieler die Energie und Qualität gebracht haben, die wir auch wollten."
Was Tuchel aber außen vor ließ: Dass die von ihm eingewechselten Spieler zwar am Ende die Tore zum Sieg machten, dass aber zuvor aber nach den Einwechslungen die Statik des Bayern-Spiels gehörig gelitten hatte. Und dass das natürlich auch einiges mit Tuchels Entscheidungen zu tun gehabt hatte.
In der 61. Minute wechselte Tuchel Dayot Upamecano, Serge Gnabry und Thomas Müller aus. Bis auf Müller keine Überraschung, Upamecano und Gnabry sind noch immer angeschlagen, mehr als eine Stunde sollten sie mit ihrer Muskelverletzung respektive Unterarmbruch nicht spielen. Auch mangels Alternativen auf der Bayernbank (Stichpunkt Kadertiefe!) brachte Tuchel für den Innenverteidiger Upamecano den offensiven Linksverteidiger/Achter Raphaël Guerreiro und beorderte ihn ins zentrale Mittelfeld.
Die Viererkette des FC Bayern wurde fortan gebildet vom fachfremden Konrad Laimer rechts (hatte bis dahin den offensiveren Part der Doppelsechs gegeben), dem fachfremden Noussair Mazraoui in der Innenverteidigung (bis dahin rechts in der Kette), dem bis dahin überragenden Innenverteidiger Min-Jae Kim daneben und dem fachfremden Eigentlich-Nie-Spieler Bouna Sarr links in der Kette. Die Bayern hatten in den letzten Wochen (Stichpunkt Kadertiefe!) schon einige höchst experimentelle Viererketten auf dem Platz, doch dieses Experiment ging nicht auf. Auch, weil das zentrale Mittelfeld nun vom bis dahin sehr guten, aber eben immer noch erst 19-jährigen Rookie Aleksandar Pavlovic und dem gerade erst wiedergenesenen offensivdenkenden Raphaël Guerreiro gebildet wurde. Es ist nicht so, dass Heidenheim in den neun Minuten und 20 Sekunden zwischen Umstellung und Ausgleich die Partie komplett an sich gerissen hatte - die Gegentore wurden vor allem durch individuelle Fehler von Eric Maxim Choupo-Moting und vor allem Min-Jae Kim begünstigt - doch das Spiel der Münchner war in dieser Periode ein äußerst instabiles, etwas wildes Gebilde.
"Der Plan war vorher, aggressiv zu wechseln. Um mit einer starken und eingespielten Mannschaft aufhören zu können", erklärte Tuchel, "Ich bin froh, dass wir Energie, Speed und Torhunger von der Bank einwechseln konnten, um uns den Sieg zu holen." Doch einigermaßen eingespielt war seine Hintermannschaft erst, als er in der 75. Minute Linksverteidiger Alphonso Davies einwechselte und ihn auch links in die Viererkette stellte. Bouna Sarr rückte nach rechts, Laimer wieder ins Mittelfeld. Hätten die Bayern das Spiel nicht gedreht - das böse Wort des Verwechselns oder gar Vercoachens wäre sicher einige Male gefallen. So aber konnte Tuchel kein Vorwurf gemacht werden - die Joker stachen ja.