Man United Mainoo Amorim gfxGetty/GOAL

"Er versteht den Klub nicht": Ein Eigengewächs ist bei Manchester United Opfer von Ruben Amorims Beharrlichkeit

Zuerst sortierte Ruben Amorim ManUnited-Eigengewächs Marcus Rashford aus. Die Anhängerschaft war zwar enttäuscht, aber meckerte nicht allzu viel daran herum - schließlich hatten Leistung und Einsatz des Offensivspielers nicht mehr gestimmt. Dann sortierte Amorim auch noch Alejandro Garnacho aus. Und erneut verstanden die Fans diesen Schritt, weil die Attitüde des Spielers nicht passte. Doch nun lässt Amorim auch noch Kobbie Mainoo außen vor - und der Fan-Aufschrei in England ist groß.

In seinem allerersten Interview als Trainer Uniteds hatte der Trainer gesagt: "Das Wichtigste ist das Zugehörigkeitsgefühl zum Verein. Und in dieser Hinsicht haben wir eine lange Tradition. Ich halte das für wichtig. Wenn ich als Spieler oder Teamkollege von Manchester United darüber nachdenke, geht es nicht um ein System oder eine Formation, sondern um den Charakter der Spieler, die Art und Weise, wie sie den Verein sehen. Das Wichtigste für mich ist im Moment, die Prinzipien, die Identität und den Charakter zu schaffen, die wir in der Vergangenheit hatten."

Fragt man einen beliebigen United-Fan nach der Identität des Vereins, werden zwei Themen genannt: mutiger, offensiver Fußball und junge Spieler, insbesondere aus der eigenen Jugend. Amorim hat beiden Prinzipien wenig Priorität eingeräumt. Mainoo ist der einzige Spieler im Kader, der aus der Akademie kommt und bereits sein Debüt feierte. Sein Halbbruder Jordan Mainoo-Hames machte mit einer übertriebenen Aktion auf diesen Umstand aufmerksam: Beim 4:4 gegen Bournemouth am Montag trug er ein T-Shirt mit dem Aufdruck "Free Kobbie Mainoo" und zeigte dies auch seinen rund 700.000 Followern auf Instagram - Mainoo wurde erst spät eingewechselt, stand noch kein einziges Mal in der Startelf. Ein großer Knall bahnt sich an.

  • Manchester United v Sunderland - Premier LeagueGetty Images Sport

    Zwölf Minuten pro Spiel

    Als sich Mainoo beim Heimspiel Anfang Dezember gegen die Wolverhampton Wanderers aufwärmte, erhielt er tosenden Applaus von den Fans. Erst in der 78. Minute wurde er während einer 3:1-Führung gegen den Tabellenletzten eingewechselt. Das sagt alles darüber aus, wie viel Amorim von dem 20-Jährigen hält.

    Bei den Wolves durfte das Talent vor rund zwei Jahren noch über 90 Minuten ran - und erzielte in der letzten Minute das umjubelte Siegtor nach einem schönen Dribbling. Damals war der Hype um Mainoo groß, nachdem er sein erstes Premier-League-Tor erzielt hatte, gefolgt von einem atemberaubenden Schuss gegen Liverpool und dem unglaublichen Siegtreffer im FA-Cup-Finale gegen Manchester City.

    Mainoos schneller Aufstieg in die englische Nationalmannschaft, für die er bei der EM 2024 sechsmal eingesetzt wurde, schien seine Stärke zu untermauern. Doch aktuell befindet er sich erstmals in seiner Profi-Karriere am Scheideweg. Im Schnitt kommt er nur auf zwölf Minuten Spielzeit.

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  • Amorim schaut nicht auf Namen oder Herkunft

    Amorim setzte Mainoo in acht seiner ersten 13 Premier-League-Spiele als Trainer ein, meist als defensiven Mittelfeldspieler neben Manuel Ugarte. Am meisten Aufsehen erregte Amorim, als er ihn gegen Crystal Palace als falsche Neun aufstellte. United verlor mit 0:2. Danach verletzte sich Mainoo im Training und fiel zwei Monate lang aus. Als er zurückkehrte, hatte Casemiro seinen Platz im Mittelfeld zurückerobert und Mainoo kam nur noch zum Einsatz, wenn Amorim Spieler für die K.o.-Runden der Europa League 2024/25 schonen wollte.

    Mainoos brillantes Tor im Viertelfinal-Rückspiel gegen Olympique Lyon (5:4) in der 120. Minute hielt United im Wettbewerb. Im Finale wurde Mainoo in der Nachspielzeit eingewechselt. In den ersten beiden PL-Spielen der neuen Saison erhielt Mainoo keinerlei Spielzeit, seitdem kam er auf elf Einwechslungen. 

    Als Mainoos Name in einer Pressekonferenz nach dem schwachen 1:1 gegen West Ham erwähnt wurde, lachte Amorim leise. "Ich verstehe, was Sie sagen - Sie lieben Kobbie, er hat für England gespielt. Aber das bedeutet nicht, dass ich Kobbie aufstellen muss, wenn ich der Meinung bin, dass ich Kobbie nicht aufstellen sollte. Es ist meine Entscheidung. Ich will einfach nur gewinnen, ich schaue nicht darauf, wer es ist, das ist mir egal. Ich versuche nur, die besten Spieler auf den Platz zu bringen."

  • FBL-ENG-PR-MAN UTD-SUNDERLANDAFP

    Britische Presse richtet sich gegen Amorim

    Amorim übersah jedoch einen entscheidenden Punkt: Es spielt sehr wohl eine Rolle, dass Mainoo der einzige verbliebene Nachwuchsspieler ist und kaum noch spielen darf. Dies führte zu einer hitzigen Diskussion zwischen dem Trainer und dem BBC-Journalisten Simon Stone, der Amorim unterstellte, er "vertraue" den Nachwuchsspielern nicht. "Warum?", fragte der Trainer gereizt, woraufhin ihm entgegnet wurde: "Weil Sie nie einen Spieler aus dem Nachwuchs aufstellen." Doch Amorim nannte Mainoo, er würde ihn ja schließlich spielen lassen.

    Der 18-jährige Nachwuchsspieler Shea Lacey stand zuletzt einige Male im Kader, eingesetzt wurde er jedoch nicht. Amorim wurde auch auf ihn angesprochen und anwortete verdutzt, dass Amad Diallo und Bryan Mbeumo zuverlässigere Optionen seien als der unerprobte Teenager.  

    Zur Verteidigung Amorims muss man sagen, dass er weit weniger Spiele hat, in denen er jungen Spielern eine Chance geben kann, als in der letzten Saison, als Chido Obi, Toby Collyer, Tyler Fredricson und Harry Amass alle ihre Chance bekamen. Mainoo hatte sich zwar bereits bewährt, ist aber ein Opfer von Amorims starrem System und seiner Beharrlichkeit, mit zwei zentralen, defensiven Mittelfeldspielern zu spielen. So kämpft Mainoo auch mit Bruno Fernandes um einen Platz - dem besten Spieler des Teams, der selten verletzt ist.

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  • Wolverhampton Wanderers v Manchester United - Premier LeagueGetty Images Sport

    ManUnited-Legende rät Mainoo zu Winter-Wechsel

    Amorim konnte auch keine Zusicherung geben, dass Mainoo mehr Spielzeit bekommen werde, wenn die Außenstürmer Mbeumo und Diallo zum Afrika-Cup (21. Dezember bis 18. Januar in Marokko) reisen. Eine naheliegende Lösung wäre zwar, Fernandes weiter vorne einzusetzen und dafür Mainoo spielen zu lassen. Aber es ist wahrscheinlicher, dass Mason Mount mehr Spielzeit erhält und Mainoo weiterhin in die Röhre guckt. Damit Mainoo seine Karriere wieder in Gang bringen kann, ist eine Leihe ab Januar 2026 unumgänglich. 

    Rio Ferdinand allerdings, einstiger Verteidiger bei ManUnited, rät Mainoo zu einem festen Wechsel: "Wenn ich mich in Kobbie Mainoo hineinversetze, würde ich gehen. Er hat gerade 18 Monate seiner Karriere bei Manchester United verschwendet. Er ist wahrscheinlich sechs Monate länger dort geblieben, als er hätte bleiben sollen. Er hätte einfach gehen sollen. Ich denke, sein Berater und vor allem seine Familie müssen ihn schützen."

    So sieht das offensichtlich auch sein Halbbruder Mainoo-Hames und forderte mit dem Aufdruck "Free Kobbie Mainoo" mehr Spielzeit - oder einen Wechsel. Selbst wenn die Aufschrift auf seinem T-Shirt nur metaphorisch gewählt ist, ist die Wortwahl unangebracht - schließlich wird der Schriftzug "Free ..." sonst nur bei zu Unrecht inhaftierten oder angegriffenen Personen, Gruppen oder Ländern verwendet und nicht bei einem noch in der Entwicklung steckenden Fußballer, der aufgrund der Expertise eines Trainers etwas weniger spielt.

  • Manchester United v West Ham United - Premier LeagueGetty Images Sport

    Scholes über Amorim: "Er versteht den Klub nicht"

    Auch Ex-ManUnited-Star Paul Scholes reagierte emotional auf eine Behauptung Amorims, der Mainoo als "Stammspieler" betitelt hatte. "Bullshit", schrieb er dazu auf Instagram. "Der Junge wird ruiniert, weil er in einer Mannschaft spielt, die ein Fußballspiel nicht kontrollieren kann. Ich hasse es, wenn einheimische Spieler den Verein verlassen, aber es ist wahrscheinlich das Beste für ihn, genug ist genug."

    Scholes löschte seine Kommentare, bekräftigte jedoch seine Meinung in der neuesten Folge des Podcasts "The Good, The Bad and the Football": "Man müsste ihm raten, zu gehen. Wenn er mich anrufen und sagen würde: 'Ich glaube, Chelsea ist an mir interessiert, was denkst du?‘, würde ich sagen: 'Auf jeden Fall!'"

    Für Scholes ist die Mainoo-Saga sogar nur ein Grund dafür, dass Amorim nicht der richtige Trainer für United ist. "Ich glaube nicht, dass der Trainer diesen Verein versteht, Punkt", sagte er. "Ich glaube einfach nicht, dass er der richtige Mann ist. Bei ManUnited geht es mehr als alles andere um Risiko und Unterhaltung, um Fans, die zu Hause sitzen und bereit sind, loszulegen, um dribbelnde Flügelspieler, um Torschüsse."

    Der Engländer findet: "Da ist nichts. Er hat gegen West Ham vier Verteidiger aufgestellt. Wenn wir 1:0 in Führung gehen, muss man zwei, drei, vier Tore schießen. Er versteht es einfach nicht, ich glaube, niemand im Verein versteht ManUnited."

  • FBL-ENG-PR-MAN CITY-MAN UTDAFP

    Spielt Mainoo auch 2026 noch für ManUnited?

    Scholes fügte hinzu: "Bei United liebt man natürlich einheimische Spieler, warum also lässt Jason Wilcox (Sportlicher Leiter), Omar Berrada (Geschäftsführer), zu, dass der Trainer ein einheimisches Talent so behandelt? Wenn man jede Woche gewinnt und an der Tabellenspitze steht, ja." Nach 16 Spieltagen befindet sich United immerhin auf Rang sechs der Premier League.

    Amorim hätte nur sehr wenige Kritiker, wenn er den Aufstieg von United an die Spitze mit wenig Einfluss einheimischer Spieler begleiten würde. In schwierigen Zeiten kann es die Wunden lindern, wenn in der Akademie ausgebildete Spieler in die Mannschaft kommen, wie es Mainoo und Garnacho in der schwierigen zweiten Saison von Erik ten Hag getan haben.

    Neue Bewährungsproben warten nun rund um Weihnachten bei Aston Villa (21.12.) und gegen Newcastle United (26.12.), ohne Diallo und Mbeumo. Ob Mainoo auch im neuen Jahr noch zum Kader gehört, wird das bald anstehende Transferfenster zeigen. Ein dramatischer Abgang, fluchende Ex-ManUnited-Spieler und eine kritische britische Öffentlichkeit kristallisieren sich immer deutlicher heraus.

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