Ex-Bundestrainer Joachim Löw hat eingeräumt, dass er beim historisch schlechten Abschneiden der deutschen Nationalmannschaft eventuell Mesut Özil und Ilkay Gündogan nicht zur WM 2018 nach Russland hätte mitnehmen sollen.
Getty Images"Das erste Mal in, dass ich das Gefühl bei einem Turnier hatte, dass die Mannschaft nicht mehr so geschlossen war": Joachim Löw erinnert sich an die historisch schlechte WM 2018
WAS WURDE GESAGT?
"Wir hatten schon noch ein paar gute Jahre (nach dem Gewinn des WM-Titels 2014, d. Red.). 2016 waren wir im Halbfinale der EM und haben unglücklich verloren, 2017 haben wir den Confed Cup gewonnen. Und vor der WM 2018 waren wir ungeschlagen in der WM-Qualifikation. Wir haben glaube ich zehn von zehn Spielen gewonnen. Und dann kam einen Tag vor der Kadernominierung dieses Thema um das Foto von Gündogan und Özil mit Erdogan auf", sagte Löw am Sonntag in der Sport1-Sendung "Doppelpass" und betonte: "Möglicherweise wäre es besser gewesen, auf sie zu verzichten. Aber wir haben dann eigentlich gesagt, dass wir die Spieler, die jetzt so unter Beschuss sind, stärken müssen. Nur war es dann so, dass weder Ilkay und Mesut dann Leistungen gebracht haben, die uns geholfen haben."
Letztlich schied das DFB-Team, wohlgemerkt als amtierender Titelträger, nach Niederlagen gegen Mexiko und Südkorea erstmals in der Geschichte in der Gruppenphase einer Weltmeisterschaft aus. "Ilkay hat bittere Tränen in der Kabine geweint und Mesut war natürlich demoralisiert. Er hat auch diese Anfeindungen zu spüren bekommen", erzählte Löw: "Es war das erste Mal in meiner Zeit, dass ich das Gefühl bei einem Turnier hatte, dass die Mannschaft nicht mehr so geschlossen war, dass es eine gewisse Spaltung gab."
gettyWAS IST DER HINTERGRUND?
Ein Blick in die Vergangenheit: Gündögan und Özil hatten kurz vor WM-Nominierung für mächtig Aufsehen gesorgt, weil sie auf einem Foto mit dem höchst umstrittenen Türkei-Präsidenten Recep Erdogan posierten. Die beiden Deutsch-Türken mussten in der Folge heftige Kritik einstecken. Der damalige DFB-Präsident Reinhard Grindel sprach anschließend von einem Fehler, mahnte aber einen maßvollen Umgang mit dem Thema an. Kurz darauf kam es sogar zu einem Treffen mit Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und einem klärenden Gespräch mit der DFB-Spitze. Wie sich beide intern erklärten, erfuhr die Öffentlichkeit nicht.
Die Diskussion ebbte jedoch nicht ab. Bei einem Testspiel gegen Österreich kassierten Özil und Gündogan vereinzelt Pfiffe. Letzterer gab wenige Tage später ein Interview. "Wir haben aufgrund unserer türkischen Wurzeln noch einen sehr starken Bezug zur Türkei. Das heißt aber nicht, dass wir jemals behauptet hätten, Herr Steinmeier sei nicht unser Bundespräsident oder Frau Merkel nicht unsere Bundeskanzlerin", sagte Gündogan. Özil, der weiterhin schwieg, und er hätten niemals "ein politisches Statement" setzen wollen. Doch auch beim zweiten Testspiel in Leverkusen gegen Saudi-Arabien hagelte es ein Pfeifkonzert.
"Was hätten wir noch mehr machen sollen? Ich bin der Meinung, wir haben sehr viel gemacht - und jetzt reicht es dann auch", versuchte der damalige Teammanager Oliver Bierhoff rund eine Woche vor WM-Start noch vergeblich den Wind aus den Segeln zu nehmen. Ligapräsident Reinhard Rauball übte derweil Kritik am Krisenmanagement des DFB. "Das Thema ist in der Tat unterschätzt worden", sagte er: "Und ich glaube auch, dass man es nicht alleine mit den Maßnahmen und Erklärungen, die bisher erfolgt sind, aus der Welt schaffen kann." Kapitän Manuel Neuer gestand: "Am Anfang hat das schon ein bisschen gestört in der Mannschaft, war sogar belastend."
Nach dem bitteren WM-Aus äußerte sich Bierhoff dann anders. "Wir haben Spieler bei der deutschen Nationalmannschaft bislang noch nie zu etwas gezwungen, sondern immer versucht, sie für eine Sache zu überzeugen. Das ist uns bei Mesut nicht gelungen. Und insofern hätte man überlegen müssen, ob man sportlich auf ihn verzichtet", sagte er. Kurz darauf ruderte er jedoch zurück. Es sei kein Fehler gewesen, Özil mit zur WM zu nehmen.
Dennoch blieb die Debatte bestehen, ehe Grindel sogar eine öffentliche Erklärung von Özil einforderte. Diese folgte erst am 22. Juli, rund ein Monat nach der Südkorea-Pleite. "Mit schwerem Herzen und nach langer Überlegung werde ich wegen der jüngsten Ereignisse nicht mehr für Deutschland auf internationaler Ebene spielen, so lange ich dieses Gefühl von Rassismus und Respektlosigkeit verspüre", teilte er auf seinen sozialen Kanälen mit.
IMAGO / Laci PerenyiWIE GING ES WEITER?
Dabei blieb es auch. Özil trug nach dem Südkorea-Spiel nie wieder den Adler auf der Brust. Auch auf Vereinsebene lief es nicht mehr. Zunächst spielte er beim FC Arsenal kaum noch, mit dem Amtsantritt von Mikel Arteta Ende 2019 dann gar nicht mehr. Anfang 2021 war das Kapitel dann beendet. Özil wechselte in die Türkei, doch weder bei Fenerbahce Istanbul noch bei Basaksehir kam er nochmal an seine Leistungen aus alten Tagen heran. 2023 zog er endgültig den Schlussstrich.
Gündogan, der sich anders als Özil zu den Werten des DFB bekannte, blieb hingegen Nationalspieler und wurde im September 2023 der erste Kapitän mit Migrationshintergrund. Mit der Binde um den Arm führte er Deutschland bei der Heim-EM an und beendete seine DFB-Karriere nach dem Turnier. Zudem feierte er große Erfolge bei Manchester City und ist seit diesem Sommer Spieler von Galatasaray Istanbul. Im Starensemble von Gala ist der inzwischen 34-Jährige Stammspieler.