Zu Beginn der Saison 2023/24 knirschte es gewaltig rund um den AFC Bournemouth. Jetzt schwebt man im siebten Himmel – und träumt vom internationalen Geschäft. Der jüngste Beleg: Ein 5:0-Kantersieg gegen das andere große Überraschungsteam der Premier League: Nottingham. Über den beeindruckenden Aufstieg von Bournemouth.
Getty ImagesBärenstarke Erfolgsserie eines Überraschungsklubs: In der Premier League mutiert ein Abstiegskandidat zu einem Anwärter auf die Champions League
AFC Bournemouth: Eine überraschende Trainerentlassung
Doch erstmal alles auf Anfang: Hatte sich der Klub im Sommer 2023 übernommen? Hatte man seine eigenen Möglichkeiten, derart überschätzt, dass man das, was man hatte einfach so wegwarf?
Trainer Gary O'Neil sicherte den "Cherries" in einer ordentlichen Rückrunde den Klassenerhalt in der Premier League – und musste am Ende der Saison dennoch gehen. Ersetzt wurde der Engländer durch Andoni Iraola. Der Spanier hatte die Aufmerksamkeit vieler Klubs auf sich gezogen, weil er mit Rayo Vallecano gute Ergebnisse erzielte.
Nicht wenige Experten in England bewerteten diesen Schritt des AFC Bournemouth als risikoreich. Statt den vermeintlichen Platz für sich selbst zu kennen, so der Tenor, strebte man nach etwas Unerreichbarem. Zunächst wurden die Kritiker bestätigt.
Iraola legte einen Horrorstart hin. In seinen ersten 14 Partien gelangen ihm nur drei Siege – zwei davon im EFL Cup gegen Zweitligisten, der andere in der Premier League gegen Aufsteiger Burnley.
"Unter Druck", titelte die Daily Mail. Und die Sun schrieb, dass Iraola der erste Trainer sein könnte, der in der Premier-League-Saison entlassen wird. Etwas mehr als ein Jahr später ist der Baske der Trainer einer der größten Überraschungen der Saison – und es ist immer noch Bournemouth.
Getty ImagesTrainer Andoni Iarola dreht die Krise in einen Lauf
Wie nah die "Cherries" wirklich dran waren, ihn zu entlassen, bleibt ein Geheimnis. Schnell zeigte sich aber schon in der vergangenen Saison, dass es eine gute Entscheidung war, nicht zur voreilig zu handeln. Sicher profitierte man auch davon, dass das Umfeld nicht das eines Spitzenklubs ist und der Druck somit überschaubar war.
Dennoch nahm die Nervosität zu. Umso wichtiger, dass Bournemouth aus den folgenden 14 Partien nur noch drei verlor und immerhin acht gewann. Und auch danach lief es weiter gut. In der Premier League arbeitete man sich aus der Abstiegszone vor auf den zwölften Tabellenplatz.
In dieser Saison steht man im Moment auf dem siebten Rang und träumt spätestens nach dem zuletzt furiosen 4:1-Auswärtssieg in Newcastle sowie dem 2:2 bei Chelsea so langsam von einer Europapokalteilnahme. Seit nun elf Pflichtspielen ist Bournemouth ungeschlagen. Siege gegen Arsenal (2:0), Manchester City (2:1), Tottenham (1:0), Manchester United (3:0) und das Unentschieden bei Aston Villa (1:1) unterstreichen die Ambitionen.
Attraktiver Fußball! Der AFC Bournemouth begeistert die Premier League
Bournemouth spielt einen sehr athletischen, temporeichen und aggressiven Fußball. Iraola legt großen Wert auf ein gut organisiertes, aber hohes Pressing und schnelles Gegenpressing nach Ballverlusten. Laut The Analyst kommen die "Cherries" auf die zweitmeisten abgefangenen Pässe der Liga (213). Mit 62 Tacklings im Angriffsdrittel stehen sie nach Angaben von FBref auf dem sechsten Rang – nahezu gleichauf mit hochpressenden Mannschaften wie Brighton oder Manchester City.
Und noch ein dritter Wert unterstreicht das druckvolle Spiel von Bournemouth: Nur 9,06 Pässe erlauben sie ihren Gegnern im Schnitt in deren Spielaufbau, bis eine Defensivaktion erfolgt (via understat). Nur Tottenham (8,68) und Arsenal (8,59) stehen hier vor ihnen. Sogar Tabellenführer Liverpool hat mit 9,18 einen knapp höheren Wert.
Das ist nicht weniger als beeindruckend für ein Team, das vor nicht allzu langer Zeit noch gegen den Abstieg spielte. Die taktische Präzision und der Glaube daran, diesen Stil gegen jeden Gegner auf jedem Niveau durchsetzen zu können, sind der Schlüssel zum Erfolg.
Getty Images SportVermeintlich gescheitert! Justin Kluivert ist der Star des Teams
Zusätzlich dazu hat Bournemouth in den letzten Jahren aber auch clever eingekauft. Das Paradebeispiel dafür ist die Verpflichtung von Justin Kluvert in der Saison 2023/24. Der heute 25-Jährige galt bereits als gescheitertes Talent. Nach einer guten Zeit bei seinem Jugendverein Ajax wechselte er für 17,25 Millionen Euro zur AS Rom, setzte sich aber nicht durch.
Es folgten eher weniger erfolgreiche Leihen zu RB Leipzig, Nizza und Valencia. Dennoch ergriff Bournemouth die Chance, ihn für eine relativ moderate Ablöse zu verpflichten. In mittlerweile 59 Pflichtspielen kommt Kluivert auf 20 Tore und sechs Assists. Allein in dieser Saison traf er in 23 Partien schon elfmal und bereitete vier weitere Treffer vor.
Sein Tempo, seine technischen Fähigkeiten und seine gute Aggressivität gegen den Ball passen perfekt ins offensiv ausgerichtete System. In Bournemouth bekommt er das Vertrauen, das Leipzig und andere ihm nicht schenkten und zahlt das mit Leistungen zurück.
Auch Tyler Adams, der im Mittelfeld immer wieder gute Impulse gibt, oder der ausgeliehene Kepa Arrizabalaga, der seine Karriere langsam wieder in Schwung bringt, waren gute Beispiele für kluge Transfers.
AFC Bournemouth: "Hit and Miss" in der Transferpolitik
Insgesamt hat man sich in der Kaderplanung zunehmend dazu entschieden, jungen Talenten eine Chance zu geben, die in ihren jungen Zwanzigern sind und vielleicht hier und da etwas Startschwierigkeiten in ihrer Karriere hatten. Gleichzeitig unterstützt man den Trainer mit Spielertypen, die gut in das sehr athletische und dynamische System passen.
Zur Wahrheit gehört aber auch, dass Bournemouth wie nahezu jeder englische Klub andere finanzielle Mittel hat als vergleichbare Teams in anderen Ligen. Die Transferausgaben der letzten beiden Spielzeiten lagen bei 127,29 Millionen Euro und bei 113,87 Millionen Euro. Wohingegen nur rund 67 Millionen Euro durch Verkäufe eingenommen wurden.
Die Transferpolitik ist entsprechend auch durch "Hit and Miss" geprägt. Hamed Junior Traoré kam im Sommer 2023 für rund 25 Millionen Euro von US Sassuolo, absolvierte bisher aber nur 610 Minuten für Bournemouth und wurde dann an den AJ Auxerre verliehen, wo er bisher immerhin in 15 Partien siebenmal traf.
Auch der Transfer von Alex Scott ist bisher von überschaubarem Erfolg geprägt. Der 21-Jährige kostete ebenfalls rund 25 Millionen Euro, kam in seiner ersten Saison auf passable 1.384 Minuten und begann diese Saison als Rotationsspieler mit Kurzeinsätzen. Dann zog er sich einen Meniskusriss zu. Aber auch abseits vom Verletzungspech waren seine Leistungen eher wechselhaft.
Für Mittelstürmer Evanilson überwiesen die "Cherries" rund 37 Millionen Euro an den FC Porto. In seinen 21 Pflichtspieleinsätzen zeigte er durchaus solide Leistungen, traf fünfmal. Doch für die Preisklasse hatte man sich wohl etwas mehr erhofft. Zu allem Überfluss verletzte sich der 25-Jährige schwer, brach sich den Fuß.
Getty Images SportGeht es jetzt nach Europa?
Es ist nicht alles Gold, was beim AFC Bournemouth glänzt und die finanziellen Möglichkeiten helfen dabei, den einen oder anderen unglücklichen Transfer in den Hintergrund rücken zu lassen. Aber dennoch leisten das Trainerteam und die Kaderplaner viel.
Bournemouth spielt nicht nur attraktiven und begeisternden Fußball, sondern im Moment auch noch sehr erfolgreichen. Und wie heißt es oft? Der Gewinner hat recht.
Nach anfänglichen Problemen sind die "Cherries" ein gutes Beispiel dafür, dass sich Mut manchmal auszahlt. Es war sehr mutig, einen Trainer zu entlassen, der das Mindestziel erreicht hat. In der Hoffnung, dass mit den richtigen Handgriffen noch mehr geht. Es ging mehr und auch die Geduld, nach initialer Krise an Iraola festzuhalten, zahlte sich aus.
Übernommen hat man sich bei Bournemouth ganz offensichtlich nicht. Und vielleicht krönt man die bisher überragende Saison am Ende sogar mit einer Qualifikation für einen europäischen Wettbewerb.

