HINTERGRUND
"Jetzt bin ich dran", sagte Uli Hoeneß und nahm seinen Platz vor dem Mikrofon ein. Nachdem der Präsident am Freitagabend auf der Jahreshauptversammlung des FC Bayern München pflichtbewusst einige Zahlen und Fakten vorgetragen hatte, legte er Zettel und Stift beiseite. Hoeneß richtete seinen Blick jetzt in Richtung der 1459 anwesenden Mitglieder und sprach von der Nacht von Paris.
Bayern in Gladbach: Heynckes' unverhoffte Rückkehr
"Es war die Nacht von Paris", sagte er, "die diesen Verein hat aufwachen lassen. In dieser Nacht hat der gesamte Vorstand die Weichen gestellt für das, was wir jetzt in den letzten sechs Wochen erlebt haben."
Damals beschlossen die Bosse nach der 0:3-Pleite im Champions-League-Spiel bei PSG die Entlassung von Trainer Carlo Ancelotti. Mit der anschließenden Rückkehr von Jupp Heynckes habe eine "Stimmungsänderung" stattgefunden, sagte Hoeneß. "Seither", erinnerte er stolz, "haben wir neun Spiele gemacht und alle neun gewonnen." Das Publikum hatte er längst auf seiner Seite.
Teamnews: So könnte Bayern in Gladbach spielen
Es sei wieder ein ganz anderer Geist da, der FC Bayern sei mal wieder in einem wunderbaren Zustand, in einem Glückszustand. "Alle", sagte Hoeneß, "schweben nur noch." Heynckes habe längst bewiesen, was man mit Disziplin und vorbildhaftem Verhalten erreichen könne. Aber auch Sportdirektor Hasan Salihamidzic habe mit seiner immer guten Laune und seinem Fließ erheblich dazu beigetragen, dass die Stimmung im Verein derzeit so gut sei.
"Es passt kein Blatt Papier mehr zwischen uns"
"Was diese Nacht außerdem erreicht hat, ist, dass Karl-Heinz und ich wieder zusammengefunden haben", berichtete Hoeneß. Nach seiner Zeit im Gefängnis sei es nicht so einfach gewesen, "meine Integration auf die Reihe zu bekommen." Nun aber mache es wieder Spaß, man arbeite wieder ganz eng zusammen, "es passt kein Blatt Papier mehr zwischen uns."
Der Freitagabend war ein Abend der guten Nachrichten, ein Abend der guten Laune. So turbulent wie vor einem Jahr bei Hoeneß' Rückkehr ging es zwar nicht zu, nicht einmal annähernd, anerkennenden Applaus spendeten die Mitglieder aber wieder und wieder.
Beifall gab es etwa bei der Präsentation der Rekordzahlen. 640,5 Millionen Euro Umsatz machte der FC Bayern, das Eigenkapital beträgt 445,8 Millionen Euro und die Anzahl der Mitglieder stieg auf 290.000. Beifall gab es, als Karl-Heinz Rummenigge verkündete, dass der an Juventus Turin ausgeliehene Douglas Costa kommenden Sommer für insgesamt 46 Millionen Euro fest zum italienischen Serienmeister wechseln werde. Und Beifall gab es auch, als über das neue Nachwuchsleistungszentrum, den sogenannten FC Bayern Campus, referiert wurde.
Noch mehr Beifall hätte es wohl im Nachhinein gegeben, als die rund dreieinhalbstündige Veranstaltung schon zu Ende war. Da schritt ein gut gelaunter Hoeneß in die kleine Interviewzone im Audi Dome und erklärte ziemlich überraschend, dass es möglich sei, mit Heynckes über den Sommer hinaus zusammenzuarbeiten. Überraschend war das insofern, da der Trainer das bereits mehrfach ausgeschlossen hatte.
Nur einer spricht über Ancelotti
Wie Hoeneß über Heynckes sprach und wie er mit keinem Wort dessen Vorgänger Ancelotti erwähnte, zeigte auch, wie unzufrieden er mit dem Italiener gewesen ist. Ancelotti war eben ein Rummenigge-Mann, und so war es kaum verwunderlich, dass der Vorstandsboss seinen alten Kumpel sehr wohl erwähnte. "Ich möchte mich bei Carlo Ancelotti bedanken, er ist ein guter Mensch und ein sehr guter Trainer. Wir sind mit ihm Meister geworden, doch manchmal passen ein erfolgreicher Trainer und ein erfolgreicher Verein leider nicht zusammen", erklärte er. Die Entscheidung, den Coach so früh in der Saison zu entlassen, sei "keine einfache, aber eine professionell notwendige" gewesen. "Als ich Carlo die Entscheidung mitgeteilt habe, sagte er: 'Okay, du bist nicht mehr mein Boss, aber du bleibst mein Freund.' So etwas ist sehr selten, denke ich", sagte Rummenigge und dankte Ancelotti ein weiteres Mal.
Getty ImagesWie sehr die vielleicht bitterste Pleite aus der Ära Ancelotti noch immer an Rummenigge nagt, wurde kurz darauf deutlich. "Ich möchte es ganz bewusst noch einmal wiederholen: Wir sind (im Viertelfinal-Rückspiel der Champions League) in Madrid beschissen worden", wütete der 62-Jährige. Er äußerte damit zum x-ten Mal seinen Unmut, den er noch in der Nacht nach dem Ausscheiden losgetreten und in den darauffolgenden Tagen und Wochen nimmermüde erneuert hatte. Dieses Spiel sei auch ein Grund, "warum ich mich für den Videoassistenten einsetze", verriet Rummenigge.
Wir gegen den Rest der Welt
Überhaupt war der Freitagabend auch ein Abend der Sticheleien und der Schwarzweißmalerei. Hoeneß etwa wetterte gegen Paris Saint-Germain, Manchester City und all die anderen neureichen Klubs, die immer aggressiver auf dem Transfermarkt agieren. "Es ist schwer, weil wir nicht mehr gegen Vereine spielen, sondern gegen ganze Staaten. Wir spielen gegen Katar, Abu Dhabi, russische Oligarchen und amerikanische Hedgefonds. Und wenn Abu Dhabi und Katar mal kurz den Ölhahn aufdrehen, sind wieder 100 Millionen da. Da können wir nicht mithalten."
"Kreativ und geschickt" werde man deshalb in München arbeiten müssen, den Wahnsinn auf dem Transfermarkt wolle man ja bekanntlich nicht mitmachen. "Der FC Bayern wird weiter seriös und solide wirtschaften", versprach auch Rummenigge und forderte gleichzeitig: "Die UEFA muss eine Kontrolle der Einnahmen und Ausgaben installieren, es muss eine neue Version des Financial Fairplay her, Financial Fairplay 2.0." Ziel müsse es sein, die Ströme nach Fair Value zu bewerten. Kein Klub dürfe mehr Ausgaben als Einnahmen haben. Dadurch verspreche er sich "eine Art Chancengleichheit für die europäischen Wettbewerbe. Das ist eine Herkulesaufgabe, die muss von der UEFA wahrgenommen werden."
Gestichelt wurde aber auch gegen Matthias Sammer (Rummenigge: "Hasan ist engagiert, strukturiert und fleißig wie eine Biene. Er ist - nach Uli Hoeneß - der fleißigste Sportdirektor, den ich beim FC Bayern erlebt habe"), gegen 1860 München (Rummenigge: "In der Allianz Arena geht auf Knopfdruck sogar das Licht an. Das ist nicht in jedem Stadion so"), gegen RB Leipzig (Rummenigge: "Leipzig hat - glaube ich - 20 stimmberechtigte Mitglieder. Allein unser Kids Club hat 44.000 Mitglieder") und gegen all die anderen. "Gerhard Mayer-Vorfelder hat mal gesagt: Bei Bayern München schießen immer drei Kanonen: Beckenbauer, Rummenigge und Hoeneß. Eine schießt immer und trifft. Heute hat sich das verändert: Es schießt eine Kanone, die heißt Karl-Heinz Rummenigge. Und Hasan und ich stehen voll hinter ihm und reichen die Kugeln. Das heißt die, die mit uns Ärger haben wollen, werden wieder aufpassen müssen. Herr Grindel lässt grüßen", sagte Hoeneß.
Es war die mitunter befremdliche Geschichte von Gut und Böse, die Hoeneß und Rummenigge am Freitag predigten. Auf der einen Seite der FC Bayern in der Opferrolle, auf der anderen die böse Konkurrenz. Wir gegen den Rest der Welt.
Dass der FC Bayern ebenfalls von den katarischen Millionen profitiert, dass er in dem umstrittenen Wüstenstaat Trainingslager abhält und den Hamad International Airport auf seinem Trikot bewirbt, erwähnte am Freitagabend niemand. Dass Sammer in München nicht durch Faulheit aufgefallen ist, dass Rummenigge nach dem DFB-Pokalspiel bei RB Leipzig noch gesagt hatte, es mache keinen Sinn, immer über den Schiedsrichter zu diskutieren, dass Viktor Kassai in Madrid nicht nur den FC Bayern benachteiligt hatte, wurde genauso verschwiegen. Es passte nicht ins Programm.


