Ulreich BayernGetty

FC Bayern bei PSG: Weit mehr als eine Niederlage


HINTERGRUND

Hasan Salihamidzic wollte gar nicht aufblicken. Mit gesenktem Kopf saß er da in der Nacht zum Donnerstag zwischen Uli Hoeneß und Carlo Ancelotti. Mit leerem Blick starrte er auf die weiße Tischdecke, auf das Besteck, die Servietten und die vielen Gläser. Er kaute vor sich hin und wirkte dabei, als wäre er eigentlich ganz woanders. Uli Hoeneß' Blick ging ebenfalls ins Leere. Er nahm sicherheitshalber einen großen Schluck Weißwein, während Karl-Heinz Rummenigge seine kurze, aber knackige Rede auf dem traditionellen Bankett im Hotel du Collectionneur hielt.

Analyse: PSG zeigt schwachen Bayern die Grenzen auf

"Das war eine ganz bittere Niederlage. Eine Niederlage, über die es zu sprechen gilt, die es zu analysieren gilt und aus der wir auch in Klartextform Konsequenzen ziehen müssen", sagte Rummenigge nach dem 0:3 des FC Bayern München im Champions-League-Spiel bei Paris Saint-Germain. 

"Das, was wir heute Abend gesehen haben, war nicht Bayern München. Ich glaube, da sind wir uns alle einig", führte er aus. Der deutsche Rekordmeister müsse "nach diesem Spiel wieder die Kurve kriegen", sich wieder "als FC Bayern präsentieren" und wieder zeigen, "dass wir eine Mannschaft sind, die in den letzten Jahren in Europa und auch national für Furore gesorgt hat".

Ulreich: "Habe ein ordentliches Spiel gemacht"

Denn genau das hätte man beinahe vergessen können nach dieser womöglich noch folgenschweren Partie von Paris. Die Bayern waren so unterlegen wie schon lange nicht mehr. Letztendlich hatten sie sogar Glück, dass das Ergebnis einigermaßen glimpflich ausfiel. Zumindest angesichts dessen, dass Neymar, Edinson Cavani und Co. am Mittwochabend noch ein, zwei, vielleicht sogar drei Tore mehr hätten erzielen können. Letztendlich beließen es die Gastgeber bei drei Treffern, die aber auch reichen sollten, um die bitterste Niederlage der Ära Carlo Ancelotti herbeizuführen.

Hilflos wie selten zuvor

"Das", sagte Arjen Robben hinterher mit finsterer Miene, "ist man nicht gewohnt." Dann sagte er es noch einmal, eingeordnet in seinen persönlichen Gesamtkontext, um seinen Worten noch mehr Nachdruck zu verleihen. "Ich bin meine neunte Saison hier, aber das ist man nicht gewohnt." Er meinte vor allem die Deutlichkeit der Pleite, die sich ihren Weg auch bis ins Ergebnis gebahnt hat, die sich aber noch viel mehr auf dem Platz niedergeschlagen hatte. Auf solch eine Art und Weise hergespielt zu werden, das kennen die Bayern kaum. So deutlich haben sie nur zweimal in den vergangenen acht Jahren auf internationaler Bühne verloren: 2014 gegen Real Madrid (0:4) und 2015 gegen den FC Barcelona (0:3), derart hilflos wie im Prinzenpark waren sie allerdings selbst in diesen Spielen nicht aufgetreten.

Arjen Robben Bayern MunichGetty

Immer wieder wurde Paris gefährlich, immer wieder stürmte das schnelle Offensivtrio auf Sven Ulreich zu, nicht selten in Überzahlsituationen. Das bayrische Mittelfeld war überfordert, die Abwehrreihe erst recht, einzig Joshua Kimmich zeigte eine halbwegs ordentliche Leistung. Die Bayern machten in der Interviewzone den frühen Gegentreffer von Dani Alves aus der zweiten Minute als hauptursächlich für die erschreckende Vorstellung aus, das war allerdings viel zu einfach. Die Probleme begannen schon rund eine Stunde vor dem Anpfiff bei der Aufstellung. 

Ancelotti hatte sich dazu entschlossen, auf Jerome Boateng, Franck Ribery, Mats Hummels und Robben zu verzichten. Das war auf jeden Fall überraschend und eigentlich auch total wahnsinnig. Dass der noch nicht gänzlich fitte Boateng und der zuletzt nicht gerade atemberaubend auftretende Ribery auf der Tribüne respektive auf der Bank saßen, dafür ließen sich noch triftige Gründe finden. Dass allerdings der Defensivstabilisator Hummels sowie der Unruheherd Robben keinen Platz in der Startelf fanden, war doch extrem verblüffend. Ausschließlich taktische Gründe habe diese Ausrichtung gehabt, erklärte Ancelotti später. Er wollte viel Kontrolle und viel Ballbesitz, er wollte das Zentrum verdichten, aber all das verpuffte.

PSG brauchte nicht mal eine Top-Leistung

Die Bayern hatten nach dem 0:1 zwar zwischenzeitlich eine gute Phase, eine sehr gute sogar, klare Chancen erspielten sie sich aber nicht. Die besten Möglichkeiten hatten Thomas Müller nach einer schnell ausgeführten Ecke, Javi Martinez mit einem Fernschuss (19.) und Robert Lewandowski per Freistoß in der Schlussphase. Ansonsten wurde es nur auf der Gegenseite gefährlich. Cavani (31.) und Neymar (63.) erzielten die Treffer zwei und drei, allein die beiden ließen zudem noch vier weitere Hochkaräter liegen. "Wir haben nicht gut gespielt und die Pariser zu Kontersituationen eingeladen. Dabei haben wir viele Möglichkeiten zugelassen, die sie teilweise gar nicht genutzt haben", erinnerte sich Sven Ulreich, der bei den ersten beiden Gegentoren selbst nicht völlig ohne Schuld war.

Besonders problematisch war aus Bayern-Sicht die Tatsache, dass PSG nicht einmal eine richtig gute Leistung brauchte, um den FC Bayern klar zu besiegen und streckenweise vorzuführen. "Paris hat sich vorne einfach auf die individuelle Klasse verlassen. Das hat dann auch irgendwo gereicht", ärgerte sich Müller. Nach dem 0:1 sei zwar auch in der gegnerischen Hälfte "relativ viel Platz gegen ziemlich passive Pariser" gewesen, "wir haben diese Räume aber nicht zwingend genutzt", erklärte er weiter. 

Ansonsten waren einige Aussagen nahezu deckungsgleich mit jenen, die man schon eine ganze Zeit lang zu hören bekommt nach Bayern-Spielen. Ancelotti etwa sprach wieder einmal von fehlender Balance, Kimmich von der richtigen Körpersprache und Robben von Zusammenhalt. Zur Aufstellung dagegen wollten die Spieler nichts sagen, taten das zwischen den Zeilen aber teilweise trotzdem. "Ich werde darüber nichts sagen, da ist jedes Wort zu viel", meinte etwa Robben. Kimmich erklärte indes auf Nachfrage zum anfänglichen Fehlen von Ribery und Robben: "Klar sind beide Riesenspieler, die hier eine Riesenkarriere hingelegt haben. Als der Arjen reingekommen ist, ging dann auch nochmal was über rechts. Natürlich sind das Spieler, an denen man sich als junger Spieler orientieren kann und die einem gut tun auf dem Platz." Kimmich merkte zwar auch an, dass man "nicht umsonst einen so breiten Kader mit so vielen Weltklassespielern" habe und erklärte zudem, dass "keiner auf dem Platz gestanden" habe, "der nicht das Niveau hat, um hier zu spielen", vermutlich tat er das aber primär, weil er ein sehr höflicher Bursche ist.

"Es ist nicht zu übersehen, dass sich etwas ändern muss", sagte Kimmich noch in aller Deutlichkeit. Die Niederlage von Paris hat schonungslos offengelegt, wie drastisch sich die Kräfteverhältnisse im europäischen Fußball gerade verschieben, und zwar nicht zugunsten der Bayern. Dass Rummenigge Konsequenzen in Klartextform ankündigt, ist ein deutliches Zeichen dafür, wie ernst die Lage ist. Robben würde das jetzt nochmal verstärken. Sie ist sehr ernst. 

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