HINTERGRUND
Am Ende wurde er sogar mit Standing Ovations gefeiert. 66 Minuten waren gespielt, da erhoben sich die Zuschauer im Neckarstadion aus den roten Sitzschalen angesichts der Auswechslung des besten Spielers an diesem berauschenden Montagabend. Das Publikum spendete kollektiv Beifall. Beifall für Timo Werner. Für jenen jungen Mann also, der in Stuttgart geboren ist, einst beim VfB gekickt hatte und zuletzt so massiv ausgepfiffen und bepöbelt worden war.
Analyse: DFB-Elf überrollt Norwegen
Beim Nazi-Eklat in Prag war der Stürmer von RB Leipzig drei Tage zuvor mit den leider schon typischen Gesängen verunglimpft worden. Es war jener Song, der bereits vergangene Saison nach Werners Schwalbe im Spiel gegen Schalke durch zahlreiche Bundesliga-Stadien hallte. Den sich ein professioneller Ballermann-Brüllaffe in leicht abgewandelter Form zu eigen gemacht hatte, um sein primitives Publikum die fehlenden beiden Buchstaben ergänzen zu lassen.
Am Montagabend allerdings war davon beim 6:0-Kantersieg der deutschen Nationalmannschaft gegen Norwegen nichts zu hören - im Gegenteil. Werner, der zurzeit beste deutsche Stürmer, wurde beklatscht, besungen und gefeiert. Schon während des Spiels hatte es aufmunternde Timo-Werner-Sprechchöre gegeben.
"Das war eine fröhliche, stimmungsvolle Atmosphäre, ein Fußballabend, wie man ihn sich wünscht", schwärmte Reinhard Grindel. "Ich bin beeindruckt von dem feinen Gespür, das das Publikum im Umgang mit Timo Werner hatte", lobte der DFB-Präsident. Auch Bundestrainer Joachim Löw zeigte sich angetan von der "tollen Stimmung": "Es hat wirklich Spaß gemacht. Das zeigt die Schönheit des Fußballs. Es war das erste Heimspiel seit längerer Zeit, und man hat im Vorfeld schon gemerkt, dass die Fans heiß waren, die Mannschaft zu sehen."
Werner bei schwäbischen Festspielen in der Hauptrolle
Letztendlich war es ein Abend nach Maß. Fürs DFB-Team, aber vor allem für Timo Werner. Die deutsche Elf zeigte vom Start weg eine zielstrebige, kreativ ansprechende und dominante Leistung.
Löw hatte seine Startelf im Vergleich zum glücklichen 2:1-Erfolg gegen Tschechien auf drei Positionen verändert, ließ zudem mit Vierer- statt Dreierkette spielen. Bei aller Spielfreude lag der Hauptgrund für die Leistungssteigerung allerdings im teilweise desolaten Gegner aus Norwegen. "Wir haben unser Spiel korrigiert und die Räume konsequenter besetzt. Der größte Unterschied war aber, dass Tschechien am Freitag viel, viel besser verteidigt hat und uns gar nicht in die gefährlichen Räume hat kommen lassen. Norwegen hat uns heute auch machen lassen", analysierte Thomas Müller.
Löws System gegen Tschechien: Ein Modell ohne Zukunft
"Nach dem Tschechien-Spiel wollten wir einen anderen Spirit in die Mannschaft tragen, vor allem im letzten Drittel mehr Wege gehen, die Räume besser besetzen und die letzte Reihe konsequenter überspielen. Das ist uns gelungen, da waren wahnsinnig gute Bewegungen dabei. Der ballführende Spieler hatte immer zwei, drei Anspielstationen", freute sich indes Löw.
Letztendlich war all das auch Timo Werner geschuldet. Er hatte die Hauptrolle gespielt bei den schwäbischen Festspielen in Stuttgart. Mit Sami Khedira, Antonio Rüdiger, Sebastian Rudy, Joshua Kimmich, Mario Gomez und eben Werner waren gleich sechs ehemalige VfB-Akteure an alter Wirkungsstätte aufgelaufen. Werner erzielte zwei Treffer selbst und initiierte einen weiteren.
"So macht es doppelt Spaß"
"Er macht das, was dem Gegner extrem weh tut und extrem schwer zu verteidigen ist, weil er diesen brutalen Zug zum Tor hat und diese Schnelligkeit. Seine Wege sind schon klasse. Er läuft ständig quer, tief und so weiter, das ist für unser Kombinationsspiel sehr gut, da kann man die Bälle hinter die Abwehr spielen", sagte Löw. Als "Rakete" bezeichnete er seinen Emporkömmling später in der Mixed Zone.
In acht Länderspielen hat der erst 21-jährige Werner nun stolze sechs Tore erzielt. Aktuell hat er die Nase vorn im Konkurrenzkampf mit Gomez, ist Löws Nummer eins im Hinblick auf die WM 2018 in Russland. "Ich freue mich, dass ich auch in der Nationalmannschaft in dieser Häufigkeit treffe", grinste Werner etwas verlegen.
Noch mehr grinste er jedoch angesichts der positiven Reaktionen des Publikums. "Da kann ich mich nur bei den Fans bedanken. Das war wirklich klasse, wie sie mich unterstützt haben. Mir bedeutet das sehr viel, gerade weil Stuttgart meine Heimat ist. So macht das Fußballspielen doppelt Spaß", sagte Werner mit leuchtenden Augen.
Es ist lange her, dass dieser junge Mann ein Stadion derart glücklich verlassen hat.
