HINTERGRUND
Parma ist in den letzten 15 Jahren eigentlich nicht als Ort bekannt geworden, an dem Träume sprießen. Zumindest nicht, wenn es um Fußball geht. Der einst so große AC (heute Parma Calcio), der ganze Stolz der knapp 200.000 Einwohner der oberitalienischen Stadt, ist nach einem Durchmarsch aus der Viertklassigkeit zurück in die Serie A immerhin dabei, sich wieder im Oberhaus zu etablieren. Doch vom Glanz der 1990er oder frühen 2000er Jahre, als der junge Gianluigi Buffon oder Weltstars wie Hernan Crespo und Lilian Thuram das gelb-blaue Trikot trugen und national sowie international für Furore sorgten, sind lediglich Erinnerungen geblieben.
In der Saison 2003/04 fing Parmas Absturz so richtig an, Fahrt aufzunehmen. Unter Cesare Prandelli wurde man Fünfter, okay. Aber finanziell waren düstere Zeiten angebrochen. Und die riesige Schuldenlast zwang den Klub, der seither nie wieder unter die Top-5 der italienischen Beletage kommen sollte, zum Verkauf von Top-Spielern wie Adriano oder Adrian Mutu. Die Zukunft, sie war verbaut - und das just in jenen Wochen, als sich in Parmas Nachwuchs zwei Wunderkinder anschickten, die Fußballwelt zu erobern. Zwei, deren Werdegang auf so unterschiedliche Weise ebenso schicksalhaft verlaufen sollte wie der des Vereins, aus dem sie stammen.
Arsene Wenger schwärmt von Arturo Lupoli
Einer der beiden, Arturo Lupoli, sticht damals sogar noch etwas mehr heraus als sein Kumpel Giuseppe Rossi. Lupoli ist das heißeste Eisen, das Italiens Talentschmieden seinerzeit zu bieten haben. Fußballerisch ist er herausragend, sein Torinstinkt sucht auch im weltweiten Vergleich mit den Megatalenten jener Zeit, den Cesc Fabregas' oder Lionel Messis, der exakt am gleichen Tag wie Lupoli das Licht der Welt erblickt hatte, seines Gleichen. "Er ist wie ein Scharfschütze. Wenn du ihm eine Chance gibst, nutzt er sie", sollte Trainer-Ikone Arsene Wenger mal über den Mittelstürmer sagen.
Lupolis Schwäche ist aber schon damals in den Jugendmannschaften Parmas seine Physis. Er ist klein und schmächtig. Und behandelt seinen Körper nicht professionell genug, um ihn später auf das Niveau zu heben, das ihm sein Ballgefühl hätte ermöglichen können.
Lange schafft es Lupoli jedoch, seine Missstände zu kaschieren. Für Italiens U16-Nationalelf trifft er elfmal in neun Spielen, für Parmas U17 erzielt er 2003/04 satte 45 Tore in nur 22 Partien. Dabei immer an seiner Seite als kongenialer Partner: Giuseppe Rossi.
"Mit Giuseppe bin ich aufgewachsen", sagte Lupoli vor einigen Jahren. Auch Rossi war klein, war schmächtig. Doch beide liebten es, zu dribbeln, Tore zu machen, den Gegner in Grund und Boden zu schießen. Ob in Parma oder bei Italiens U-Nationalmannschaften, Lupoli und Rossi stachen ins Auge. Für sie war Parma damals noch ein Ort, an dem Träume sprießen. Große Träume, Träume vom Fußball-Olymp, den sie irgendwann gemeinsam besteigen wollten.
Getty ImagesArturo Lupoli (r.) bei einem seiner wenigen Einsätze für Arsenals Profis"Alle sprachen nur von uns", erinnert sich Lupoli. Dass Parma früher oder später zu klein werden würde, schien klar. Erst recht, als der Parmalat-Konzern, Muttergesellschaft des Klubs, im Sommer 2004 Konkurs anmeldete. Nur ein neues Gesetz verhinderte die Liquidation des AC, der von nun an als FC Parma weiter machte. Allerdings ohne seine beiden Wunderkinder.
Arturo Lupoli und Giuseppe Rossi wechseln nach England
Lupoli und Rossi zog es 2004, gerade 17 Jahre alt, nach England. In die Premier League, das gelobte Land. Lupoli heuerte beim FC Arsenal an, im Norden Londons redeten plötzlich alle vom italienischen Wunderkind. 300.000 Euro legten die Gunners für den Teenager auf den Tisch, 100.000 Euro weniger machte indes Manchester United für Rossi locker. Von Letzterem wurde weniger erwartet - und doch brachte er es letztlich weiter. Und hätte noch viel mehr erreichen können, wäre Verletzungspech nicht sein ständiger Begleiter gewesen.
Bei United schaffte Rossi zwar nie den großen Durchbruch, dafür aber in der alten Heimat Parma, wohin er mit 20 für ein halbes Jahr verliehen wurde. Villarreal schlug danach zu, beim Gelben U-Boot entwickelte sich Rossi zu einem der besten Stürmer in LaLiga, traf über Jahre hinweg stets zweistellig, wurde italienischer A-Nationalspieler.
Doch dann, im Oktober 2011, kam der erste verheerende Schock: Kreuzbandriss. Erst eineinhalb Jahre später kam er zurück, fand bei der Fiorentina zurück zu alter Form. Nur, um sich Anfang 2014 wieder schwer am Kreuzband zu verletzen. Seitdem kam Rossi, ob bei Florenz, Levante, Celta Vigo oder Genoa, nie wieder so richtig in Schwung. Nach eineinhalb Jahren der Vereinslosigkeit heuerte der mittlerweile 33-Jährige vor wenigen Wochen beim MLS-Klub Real Salt Lake an.
"Ohne Verletzungspech wäre Giuseppe einer der sieben oder acht besten Spieler der Welt", lobte der alte Spezi Lupoli 2014, nachdem Rossi seine erste schwere Kreuzbandblessur hinter sich gelassen hatte. "Er hat alles: Technik, linker Fuß, rechter Fuß, Schnelligkeit, alles", fuhr er fort. Lupoli selbst war damals gerade nach einem erfolglosen ersten Halbjahr beim italienischen Zweitligisten Varese zu Honved Budapest nach Ungarn verliehen worden. Seine Karriere war längst gescheitert, der Traum vom Weltruhm längst erloschen. Vom 17-jährigen Wunderkind, das sich Arsenal einst 300.000 Euro kosten ließ, war nichts mehr übrig.
Getty ImagesGiuseppe Rossi erzielte 81 Pflichtspieltore für VillarrealDabei hatte sich das Abenteuer bei den Gunners eigentlich gar nicht so schlecht angelassen. Trotz seiner jungen Jahre fand sich Lupoli schnell zurecht, netzte 2004/05, in seinem ersten Jahr in London, 28-mal in nur 17 Spielen für Arsenals Reserve. Als Belohnung durfte er, immer noch 17, im März 2005 im FA-Cup erstmals für die Profis ran. Er spielte an der Seite von Patrick Vieira oder Ashley Cole, spürte, dass Arsene Wenger seine fußballerischen Fähigkeiten schätzte.
Doch der französische Coach legte schon damals den Finger in die Wunde. "Er ist sehr jung, man muss ihm Zeit geben, sich zu entwickeln. Aber physisch hinkt er selbst in seiner Altersgruppe hinterher", warnte Wenger, nachdem Lupoli 2005 in einem Vorbereitungsspiel gegen Ajax den Siegtreffer markiert hatte. Talent war immer da, doch Lupoli fehlte es an Biss, um es bei Arsenal zu packen. In seiner zweiten Saison folgten vier Einsätze im League Cup und die acht einzigen Premier-League-Minuten für die Gunners, ehe er an Derby County verliehen und 2007 schließlich ablösefrei an die Fiorentina abgegeben wurde.
Man glaubte bei Arsenal nicht mehr an den Youngster, den man drei Jahre vorher mit so vielen Hoffnungen auf die Insel gelotst hatte. Bei Italiens Junioren, inzwischen in der U21, war er statt Star nur noch Mitläufer. Die anderen, ob Kumpel Rossi, ob Claudio Marchisio oder Sebastian Giovinco, sie hatten ihn überholt. Und für Lupoli ging es fortan schleichend bergab, auch Fremdbestimmung markierte sein Scheitern. So hätte er 2007 die Chance gehabt, zum damaligen Zweitligisten Napoli statt nach Florenz zu wechseln. "Ich war mit Napoli einig, das damals auf dem Weg zur Zweitligameisterschaft und zurück in die Serie A war. Die Klubbosse wollten mich unbedingt, aber ein paar schwierige Faktoren zwangen mich, nach Florenz zu gehen. Das werde ich immer bereuen."
Statt mit Neapel für Furore zu sorgen, war Lupoli in Florenz komplett außen vor, wurde dreimal verliehen und schließlich mit 22 an den Zweitligisten Ascoli verkauft. Immerhin war er zeitweise, ob 2008/09 per Leihe in England bei Norwich, später dann bei Ascoli oder Grosseto, ein mittelmäßig erfolgreicher Zweitligaprofi. Doch Glanz und Gloria stellten sich für Lupoli, dem sie in Parma an der Seite von Rossi einst eine so rosige Zukunft prophezeiten, nie ein.
Rossi machte großes Verletzungspech einen Strich durch die Rechnung. Bei Lupoli war es die fehlende Bereitschaft, sich auch körperlich auf höchstes Niveau zu bringen. Was dem heute 30-Jährigen bleibt, sind die alten Zeitungsartikel, die vom Wunderkind berichten, das aus Parma auszieht, um die Premier League zu erobern. Dem der große Wurf aber verwehrt blieb, der heute für Vitus Verona in Italiens dritter Liga kickt. Und dem vielleicht ja zum Verhängnis wurde, das auch Lionel Messi am 24. Juni 1987 auf die Welt kam. Zwei Wunderkinder an einem Tag wären dann wohl doch des Guten zu viel gewesen.
