Pressekonferenzen nach Spielende sind in der Regel unspektakuläre Veranstaltungen. Die Trainer geben ein Statement ab, beantworten zwei, drei Fragen, die sie bereits in der sogenannten "Mixed Zone" von mehreren Reportern der TV-Sender gestellt bekommen haben, um zum gefühlt zehnten Mal die gleichen Antworten zu geben. Nach dem 2:1-Sieg des Hamburger SV über die TSG Hoffenheim am vergangenen Wochenende gab es jedoch offenbar eine Frage, die noch nicht gestellt wurde. Und für eine überraschend emotionale Reaktion von Markus Gisdol sorgte.
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Eine Journalistin wollte wissen, ob die größte Gefahr der kommenden Wochen darin liege, die Spannung innerhalb der Mannschaft hochzuhalten. Immerhin hat es Gisdols Team nach einer erfolgreichen Phase geschafft, die Abstiegsränge zu verlassen und den Abstand auf den Relegationsplatz auf vier Punkte auszubauen. Verständlich, wenn der eine oder andere Spieler nun ein wenig durchatmet. Gisdols Antwort: "Glauben Sie, dass wir in einer Situation sind, wo wir irgendwie Spannung verlieren könnten? Also, bei aller Liebe, dieses Thema können Sie ganz schnell zumachen. Hier wird keiner Spannung verlieren, das ist ganz sicher."
Gisdol wirkte angefressen
Die Reaktion des 47-jährigen Cheftrainers wirkte nicht nur ein wenig schroff, sondern gleichzeitig wie ein Versprechen. Lässt auch nur einer ein paar Prozentpunkte nach oder versprüht den Hauch von Überheblichkeit, darf er sich einer deutlich Ansage Gisdols sicher sein. Dass er selbst vor großen Namen keinen Halt macht, wenn er glaubt, sie stören das Betriebsklima, ist an den Beispielen Emir Spahic und Johan Djourou deutlich geworden. Der eine flog Anfang des Jahres aus der Mannschaft, der andere verlor Kapitänsamt und Stammplatz. Machen Spieler den Eindruck, ihre eigenen Interessen stünden über denen des gesamten Teams, macht Gisdol kurzen Prozess mit ihnen.
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Die These des drohenden Spannungsabfalls hat dennoch ihre Berechtigung und könnte seine Reaktion erklären. Denn dieser Verein und sein Umfeld, häufig in alten Zeiten schwelgend, neigen schon nach einer kurzen Phase des Erfolges in Euphorie zu verfallen und in der Mannschaft mehr sehen zu wollen, als sie tatsächlich zu leisten imstande ist. Gisdols Vorgänger Bruno Labbadia wurde jenes Phänomen zum Verhängnis, als nach einer vermeintlich sicheren letzten Saison mit dem zehnten Tabellenplatz und ein paar vielversprechenden Transfers im Anschluss schon wieder von Europa die Rede war. Obwohl jede Trainings- und Testspielleistung auf das exakte Gegenteil hindeutete.
Nach dem Derby kommen die schwersten Spiele
Der Hang zur Selbstüberschätzung und Glorifizierung durchschnittlicher Leistungen macht allerdings auch vor der Kabine nicht halt. "Wir haben die Qualität für die Top acht", prognostizierte beispielsweise Filip Kostic vor dem Start der Rückrunde, um anschließend mit zwei Niederlagen gegen den VfL Wolfsburg (0:1) und den FC Ingolstadt (1:3) zu starten. Mit Europa hatten die Leistungen des HSV nicht im Entferntesten etwas zu tun. Trotz des holprigen Starts ist es Gisdol in kurzer Zeit gelungen, die Mannschaft wieder in den Griff zu bekommen und in der Rückrunde 20 Punkte zu sammeln - genau so viele wie der kommende Gegner Werder Bremen. Geht es allein nach diesen Zahlen, darf man sogar von einem Spitzenspiel sprechen, das für Gisdol gerade recht kommt.
Ein Spannungsabfall vor einem Nordderby wird nämlich kaum möglich sein. Dazu ist die Stimmung innerhalb der Stadt viel zu aufgeheizt. Spieler und Trainer werden bei jeder Gelegenheit darauf hingewiesen, dass es für die treue Anhängerschaft am Sonntag um mehr als nur drei Punkte geht. Mehr Motivation und Vorfreude geht eigentlich nicht. Aber was kommt danach? Darmstadt, Augsburg, Mainz: Spiele, die nicht nur aufgrund ihrer fehlenden Attraktivität keinen besonderen Reiz auslösen, sondern den HSV auch erstmals seit langer Zeit wieder in die Lage versetzen, der Favorit zu sein. Für Gisdols Mannschaft eine ungewohnte Erfahrung. Wie sie damit klar kommt? Ausgang offen.




