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U21-EM - Erkenntnisse zum Finaleinzug des DFB-Teams: Matchplan von Stefan Kuntz geht voll auf

Die deutsche U21-Nationalmannschaft steht erneut im Finale der EM, nach der Leistung beim 2:1 im Halbfinale gegen die Niederlande völlig verdient. Während der Matchplan von Trainer Stefan Kuntz perfekt aufging, zahlte der Jüngste im Kader das in ihn gesetzte Vertrauen eindrucksvoll zurück. Die Erkenntnisse zum DFB-Sieg.

1. Kuntz-Matchplan geht auf - positives Zeichen in düsteren DFB-Zeiten

Erst sprang er Co-Trainer Antonio di Salvo nach dem Schlusspfiff euphorisch in die Arme, sodass sich dieser "Quetschungen im Brustbereich" zuzog, wie Stefan Kuntz mit einem Lächeln anmerkte. Dann starrte er minutenlang gedankenversunken auf den Rasen, ehe er mit seiner Mannschaft den Sieg gegen die Niederlande bejubelte. Für den Coach des DFB-Nachwuchses ist der dritte Finaleinzug in Folge ein ganz besonderer.

"Man macht sich viele Gedanken über das Spiel, der ganze Druck geht so ein bisschen weg", beschrieb Kuntz die Szenen, um im Anschluss von seinen Jungs zu schwärmen: "Wir haben ein wirklich tolles Spiel gezeigt, vor allem in der ersten Halbzeit. Es freut mich von Herzen, dass wird das heute geschafft haben."

Stefan Kuntz Germany NetherlandsGetty Images

Auch ohne die ganz großen Namen legte der deutsche Nachwuchs einen erfrischenden Auftritt hin und siegte hochverdient - lediglich eine ausbaufähige Chancenverwertung sorgte dafür, dass nach dem Anschlusstreffer von Oranje-Verteidiger Schuurs in der Schlussphase nochmal kollektives Zittern angesagt war.

Neben (teils notgedrungenen) personellen Veränderungen sorgten ebenfalls taktische Anpassungen für den Erfolg, der bereits in den ersten knapp acht Minuten in die Wege geleitet war. Neben Florian Wirtz wurde auch die Positionierung von Mergim Berisha im Vergleich zum Dänemark-Spiel angepasst, durch die Rückkehr von Niklas Dorsch nach Gelbsperre verbesserte sich im Dreiermittelfeld die Balance.

"Über Arne Maier haben wir einen anderen Spielaufbau gewählt. Das ist alles aufgegangen", sagte Kuntz. Innenverteidiger Nico Schlotterbeck kam sogar zur überraschenden Erkenntnis: "Ich hatte nicht so viel zu tun, weil die Jungs davor viel weggenommen haben. Es war nicht so anstrengend für mich."

Die U21 betrieb Werbung für den DFB - ein Umstand, auf den Kuntz unbedingt hinweisen wollte: "Ich muss ganz ehrlich mal sagen: Wir sind Mitarbeiter des DFB. Zu recht oder zu unrecht gab es eine Menge auf die Ohren, aber wir - die Jungs und der Staff - sind auch der DFB und das heute war klasse."

Die Spieler, hervorgegangen aus den Amateurvereinen und weiter ausgebildet in den Nachwuchsleistungszentren, seien neben Fritz Keller, Friedrich Curtius oder Rainer Koch ebenso Gesichter des deutschen Fußballverbandes. Und haben dessen Außenwirkung nach düsteren Monaten zumindest etwas aufgehellt.

2. Dorsch, Berisha, Schlotterbeck: DFB-Siegeszug als Teamerfolg

Spanien, Niederlande, Frankreich, Italien - das waren die vier U21-Nationalmannschaften, die vor Beginn der EM den höchsten Marktwert aufwiesen (Quelle: transfermarkt.de). Nach dem Aus der Spanier und Niederländer im Halbfinale findet das Endspiel ohne Beteiligung eines Teams aus dem genannten Quartett statt - ein Zeichen dafür, dass bei den nur selten eingespielten U-Mannschaften die Qualitäten als Team ein nicht zu unterschätzender Faktor sind.

"Im Grunde steckt in jedem Spieler eine einzelne Geschichte. Es ist keiner dabei, der enttäuscht. Die Jungs haben alle zurückgezahlt", erklärte Kuntz nach dem 2:1 völlig berechtigt. Nur in wenigen Phasen, insbesondere in den 15 Minuten nach der Pause, nahm das Team den Fuß vom Gas, was aufgrund des immensen Laufpensums nur menschlich war. Patzte jemand, sprangen die Kollegen in die Bresche.

Beispielhaft lässt sich dies über Rückkehrer Dorsch sagen, der zu den besten Deutschen zählte. Mit seiner Zweikampfstärke sowie den Qualitäten in der Spielverlagerung ist er unersetzlich. Neunmal eroberte er den Ball, vier erfolgreiche Tackles gelangen ihm, über 90 Prozent seiner Pässe fanden einen Adressaten - umso bemerkenswerter, da darunter auch zahlreiche riskante Pässe in die Tiefe waren.

Nur einmal patzte er schwerwiegend, als ein waghalsiger Querpass in der Nachspielzeit eine letzte Flanke von Kluivert begünstigte. Doch Amos Pieper war im Zentrum zur Stelle und bereinigte die Situation kompromisslos. Wenige Sekunden später sollte Schluss sein, abgesehen von einem Abseitstor vom niederländischen Torjäger Myron Boadu sowie einer riskanten Szene von DFB-Keeper Finn Dahmen im Eins-gegen-Eins gegen Boadu wurde es nach dem 1:2 nicht mehr brenzlig.

Niklas Dorsch Justin Kluivert Germany NetherlandsGetty Images

Gleiches wie für Dorsch gilt für Berisha, der im Halbfinale bereits zum dritten und vierten Mal im Turnierverlauf das Aluminium traf und sich laut Kuntz den "goldenenen Torpfosten" von der UEFA verdient habe. Dennoch blieb er am Drücker, verzeichnete insgesamt fünf Torschüsse und brachte alle Pässe in der gegnerischen Hälfte an den Mann.

Mit Josha Vagnoman, Maier, Schlotterbeck und David Raum stand der Einsatz von gleich vier Defensivspielern vor dem Anpfiff auf der Kippe, im Falle des HSV-Profis sprach Kuntz gar von einem "Ganzkörperkrampf". Für letzteren bisher so wichtigen Akteur reichte es gegen die Niederlande nur für einen Platz auf der Bank, viele Spieler stießen nach einer kräftezehrenden Saison in ihren Vereinen mit den letzten Kraftreserven zur Auswahl.

Umso wichtiger, dass sich Kuntz auf jeden einzelnen Spieler verlassen konnte, bis auf Düsseldorfs Shinta Appelkamp standen bereits alle im Kader befindlichen Feldspieler auf dem Rasen. Dies sei "schön zu sehen, weil es dann noch mehr ein Gesamterfolg ist". Seltene defensive Unsicherheiten bei hohen Bällen wurden im Teamverband bereinigt, Orange, immerhin mit der zweitbesten Offensive des laufenden Turniers ausgestattet, kam kaum zu klaren Aktionen vor dem DFB-Tor.

Ob die Mannschaft ein Limit habe, wurde Schlotterbeck gefragt. Seine Antwort: "Ich glaube nicht."

3. Wirtz zahlt Vorschusslorbeeren doppelt und dreifach zurück

Auf der einen Seite der mit Abstand jüngste Spieler des deutschen Kaders, auf der anderen Seite bereits 47 Profispiele für Bayer Leverkusen auf dem Buckel - alle Augen waren auf Florian Wirtz gerichtet, der Druck entsprechend groß. Zählte er in der EM-Gruppenphase zum Aufgebot der A-Nationalmannschaft und stand entsprechend nicht zur Verfügung, ließ sein Auftritt gegen Dänemark viel Luft nach oben.

Nun lieferte er ab: Nach 29 Sekunden fand ihn Lukas Nmecha mit einem traumhaften Außenristpass am Fünfer - das schnellste Tor der U21-EM-Historie sowie der erste Treffer des 18-Jährigen im DFB-Dress. Sieben Zeigerumdrehungen später setzte er sich nach Baku-Zuspiel spielend leicht gegen Abwehrchef Botman durch und brachte Deutschland endgültig auf Siegkurs.

"Das freut mich für ihn. Er ist mit vielen Vorschusslorbeeren hergekommen und noch nicht so lange dabei. Heute hat er zurückgezahlt", sagte ein sichtlich zufriedener Nationaltrainer. Es sei "natürlich schwer für einen so jungen Mann", der "auch noch nicht so gut integriert ist".

Schwankungen in den Leistungen sind in diesem Alter unvermeidbar, wie auch die Auftritte für die Werkself verdeutlichen. Nach einem starken Start in die gerade beendete Saison durchschritt er auch Täler, zu einer Corona-Erkrankung gesellte sich auch noch die Zusatzbelastung durch die Abiturprüfung.

FLORIAN WIRTZ GERMANY UNDER 21 03062021Getty Images

"Es lastet einfach enorm viel Druck auf einem. Deswegen bin ich echt froh, dass ich diesen Rucksack endlich absetzen kann", sagte er im ran-Interview über die zurückliegende Zeit, das "bisschen Hoffnung", welches er auf eine Nominierung für die EM der A-Nationalmannschaft hatte, wolle er in positive Energie für die U21 umwandeln.

Um für die notwendige Akklimatisierung zu sorgen, führte Kuntz "viele Gespräche" mit dem Youngster, um "herauszufinden, wo er sich wohler fühlt". In der Folge wurde "eine kleine Umstellung vorgenommen", um es Wirtz so einfach wie möglich zu machen, seine Stärken gewinnbringend einzusetzen. Mit Erfolg!

Bevor das DFB-Team nun am Sonntag gegen Portugal um den dritten EM-Titel nach 2009 und 2017 spielt, gelte es, zumindest für kurze Zeit den tollen Sieg gegen die Niederlande zu genießen. Und gegen die Portugiesen ist zusätzlich noch eine Rechnung offen: Alle drei bisherigen Spiele bei einer Europameisterschaft wurden verloren. Das 0:5 im Halbfinale 2015 ist bis heute sogar die höchste Niederlage der U21-Geschichte.

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