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"Schande von Istanbul": Als es zwischen der Türkei und der Schweiz 2005 zu wilden Prügelszenen kam

Dieser Artikel erschien erstmals im Juni 2021.

16. November 2005: Als die Berechtigung zur WM-Teilnahme amtlich war, nahmen die Schweizer Nationalspieler ihre Beine in die Hand, sprinteten kollektiv in Richtung Kabinengang des Sükrü-Saracoglu-Stadions in Istanbul.  

Der türkische Betreuer Mehmet Özdilek stellte Valon Behrami auf dem Weg in die Katakomben ein Bein und wurde im Anschluss von Benjamin Huggel selbst am Oberschenkel getreten, Stephane Grichting trug nach einem Tritt in den Unterleib einen Harnriss davon, Türkei-Innenverteidiger Alpay keilte gegen Eidgenosse Marco Streller aus, Huggel griff Alpay daraufhin ins Genick.

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Im Kabinentrakt ging die Eskalation, die später medial als "Schande von Istanbul" bezeichnet wurde, weiter. Philipp Degen brach ein Interview mit der ARD ab, weil er seinen Kollegen zur Hilfe eilen wollte, als der Kameramann in Richtung der Tumulte schwenkte, wurde ihm von einem Ordner aggressiv auf die Kamera gegriffen. Raphael Wicky sagte: "Sie haben auf uns eingeprügelt", Schweiz-Trainer Köbi Kuhn schwor, es habe "eine Verfolgung bis in die Kabine" stattgefunden. 

Zwei Stunden nach Abpfiff, ging es für die Schweizer zurück ins Teamhotel. Erstmals durfte über das Erreichte gejubelt werden: Eine 2:4-Niederlage am Bosporus hatte der Alpennation für die WM-Qualifikation gereicht, weil sie das Hinspiel nur wenige Tage zuvor 2:0 gewonnen hatte. 

Das Hinspiel als Ursprung der Eskalation

Ebenjenes Hinspiel wurde im Nachgang als Ursprung für die Eskalationen im zweiten Aufeinandertreffen gewertet. Im Berner Stade de Suisse hatten Schweizer Fans während der türkischen Hymne ein gellendes Pfeifkonzert abgeliefert. Ein unschöner Empfang, eine hässliche Provokation.

Im Verlauf der Begegnung kam es wieder zu Nickeligkeiten, die nach Abpfiff bereits in kleineren Handgemengen gipfelten. Türkei-Trainer Fatih Terim blieb daraufhin der Pressekonferenz fern, auf Nachfrage erklärte er, den entsprechenden Raum nicht gefunden zu haben.

Switzerland Turkey 2005 QualifierGetty Images

Für das Rückspiel hatten sich hunderte türkische Fans vorgenommen, den Aufenthalt der Schweizer in einen Höllentrip zu verwandeln.

Schon am Atatürk-Flughafen bedrängten sie den Eidgenossen-Tross, hielten Schilder mit den Worten "Welcome to Hell" oder "Hurensohn Frei" (adressiert an Alex Frei, der im Hinspiel mit Terim aneinandergeraten war) hoch, das Flughafenpersonal ließ sich beim Kontrollieren der Pässe extra lange Zeit, auf dem Weg ins Hotel wurde der Mannschaftsbus mit Eiern, Steinen oder Tomaten beworfen.

Die Stimmung war vor dem Spiel aufgeheizt, danach explodierte der "Hexenkessel" Sükrü-Saracoglu-Stadion, den die türkische Zeitung Hürriyet im Vorfeld prognostiziert hatte. Die Türkei hatte sich nicht für das Turnier in Deutschland qualifiziert, aus Enttäuschung wurde Wut. Vor allem auf den Gegner, der in beiden Aufeinandertreffen auch nicht zimperlich war.

Empfindliche Strafen für Türkei-Profis und Schweizer Huggel

"Wir werden handeln und hart durchgreifen", kündigte der damalige FIFA-Präsident Sepp Blatter an. "Das Fairplay ist mit Füßen getreten worden. Das sage ich nicht als Schweizer, sondern als FIFA-Präsident." Tatsächlich hagelte es im Anschluss etliche Strafen. Der türkische Verband wurde zu einer Geldstrafe von 220.000 Franken verdonnert, die türkischen Spieler Alpay und Emre mussten sechs Spiele aussetzen und 16.000 Franken berappen.

Betreuer Özdilek wurde für ein Jahr aus dem Verkehr gezogen, aufseiten der Schweizer wurden Huggel (sechs Spiele Sperre, 15.500 Franken) und Physiotherapeut Stephan Meyer (zwei Spiele Sperre, 7000 Franken) sanktioniert.

"Mich stört in erster Linie, dass die türkischen Spieler die gleiche Strafe wie ich kassiert haben. Ich finde, sie haben schlimmere Sachen getan", sagte Huggel seinerzeit. Wohl auch aus Frust. Immerhin war ihm die Berechtigung zur WM-Teilnahme entzogen worden.

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