GER ONLY Thomas BrdaricImago Images / Matthias Koch

"So etwas habe ich noch nie erlebt": Wie sich Ex-Nationalspieler Thomas Brdaric in Albanien zum Startrainer aufschwingt


HINTERGRUND


In Shkodra herrscht aktuell riesige Euphorie, wenn es um Fußball geht. Genauer gesagt, wenn es um den dort ansässigen Traditionsklub KF Vllaznia geht. Das war schon lange nicht mehr so, vergangene Saison wäre man beinahe aus der ersten albanischen Liga abgestiegen. Seit Thomas Brdaric im August 2020 neuer Trainer wurde, ging es aber mit enormer Geschwindigkeit bergauf.

"Ich bin stolz und überwältigt von der Euphorie, die hier in Shkodra um unser Team herrscht. Wir haben eine ganze Stadt aufgeweckt", sagte der achtmalige deutsche Nationalspieler Anfang Februar der Sport Bild. Mit dem Team aus der gut 112.000 Einwohner zählenden Stadt im Norden Albaniens führt Brdaric aktuell die heimische Liga an, vier Punkte Vorsprung hat man nach 20 Spieltagen auf Verfolger FK Partizani.

"Wir sind im Moment das Aushängeschild der Liga, werden gejagt - wie der FC Bayern in Deutschland", erklärte Brdaric, mahnte jedoch auch: "Aber es ist die Kunst und ein harter Weg, diesen Zustand jetzt bis zum Saisonende zu halten. Gelingt uns das, wäre es der reine Wahnsinn."

Albanien: Führt Thomas Brdaric Vllaznia zum ersten Meistertitel seit 20 Jahren?

Die Spielzeit 2019/20 hatte Vllaznia noch als Achter abgeschlossen, seit 2011 war der neunmalige albanische Meister nie besser als Rang sechs platziert. Brdaric hat den Erfolg zurückgebracht, auch dank ihm dürfen die Fans vom ersten Meistertitel seit 2001 und damit auch von der Teilnahme an der Champions-League-Qualifikation träumen.

Thomas Brdaric Germany 2004Getty ImagesBild: Getty Images

"Als wir zuletzt auswärts mit 1:0 bei Bylis Balsh gewonnen hatten, empfingen uns Fans in 500 Autos an der Stadtgrenze und eskortierten uns mit Hupkonzerten durch Shkodra bis zum Stadion", erzählte der 46-jährige Deutsche. "So etwas habe ich noch nie erlebt, das war außergewöhnlich. Es war mir schon fast ein wenig unangenehm, weil wir noch nichts erreicht haben."

Brdaric, der einst für den VfB Stuttgart, Fortuna Düsseldorf, Bayer Leverkusen, Hannover 96 und den VfL Wolfsburg 204 Bundesligaspiele absolvierte (54 Tore), heuerte im August letzten Jahres bei Vllaznia an. In Deutschland war er als Trainer zuvor nie über die Regionalliga hinausgekommen, mit der TSG Neustrelitz scheiterte er 2014 mal knapp am Aufstieg in die 3. Liga. Seitdem coachte er Wolfsburg II, den TSV Steinbach, den nordmazedonischen Erstligisten Shkendija Tetovo, TeBe Berlin und zuletzt Rot-Weiß Erfurt.

Der Job in Shkodra, wo er noch bis Ende Juni unter Vertrag steht, könnte ihm nun als Sprungbrett für höhere Aufgaben dienen. "Jeder von uns kann Vllaznia als Trampolin für höhere Aufgaben und den Sprung in größere Ligen nutzen", sagte Brdaric und meint damit auch seine Spieler, zu denen unter anderem sein 20-jähriger Sohn Tim zählt, den er Anfang des Jahres vom Oberligisten 1. FC Monheim zu Vllaznia holte.

Thomas Brdaric über WG mit Sohn Tim: "Abends schauen wir internationalen Fußball und Bundesliga"

"Ich spreche Tim wie jeden anderen meiner Spieler an. Im Training blende ich komplett aus, dass er mein Sohn ist", betonte Brdaric. Auf seinen ersten Einsatz für Vllaznia muss der Sprössling, der unter anderem bei Wolfsburg und Düsseldorf ausgebildet wurde, auch noch warten, zuletzt stand er immerhin dreimal im Kader. "Tim ist für uns ein Perspektivspieler, den wir noch an das Profi-Geschäft heranführen müssen. Ich versuche ihm eine Stütze zu sein, so dass er seine Ziele erreichen kann."

Sohn und Papa Brdraric wohnen in Shkodra sogar zusammen, teilen sich ein Appartement mitten in der Stadt. "Wir gewöhnen uns daran, im Ausland gemeinsam die nächsten Schritte zu gehen. Abends sitzen wir auf der Couch und schauen uns internationalen Fußball und natürlich auch die Bundesliga an", erzählt Brdaric. "Oder wir genießen die wundervolle Natur hier. Ich liebe es, am Shkodra-See in Restaurants zu sitzen und dort frischen Fisch zu essen."

Gewöhnen musste sich Brdaric, der in 22 Pflichtspielen bis dato einen Punkteschnitt von 2,14 vorweisen kann, in Albanien vor allem an die Trainingsbedingungen. "Es ist schwierig, weil du hier keine professionellen Plätze wie in den größeren Ligen Europas hast. Es ist alles halbgar", schilderte er. "Ein paar Stadien, wie unseres und das in Tirana, sind vergleichbar mit denen in der Bundesliga. Aber es gibt auch welche, da fühlst du dich wie in einer anderen Welt: ein Sportplatz mit einer kleinen Tribüne. In den Kabinen gibt es nur das Nötigste."

Thomas Brdaric lässt sich von Klopp und Guardiola inspirieren

Beklagen will sich Brdaric, der in seinen acht Länderspielen für die DFB-Elf ein Tor erzielen konnte (im Oktober 2004 in einem Freundschaftsspiel gegen den Iran), deshalb allerdings nicht: "Manchmal muss man unangenehme Wege gehen, um nach vorne zu kommen. Mein Job hier ist eine Herausforderung, mit schwierigen Bedingungen klarzukommen. Das härtet mich ab, die Begeisterung und Zustimmung lassen mich wachsen."

Als Trainer-Inspirationen nennt Brdaric unter anderem Ralf Rangnick (trainierte ihn in Hannover) und Christoph Daum (einer seiner Trainer in Leverkusen), aktuell schaue er sich vor allem "die Spiele von Liverpools Jürgen Klopp und ManCitys Pep Guardiola, sie inspirieren mich. Den beiden würde ich auch gerne mal im Training über die Schulter schauen."

Zunächst konzentriert sich Brdaric allerdings voll darauf, Vllaznia möglicherweise erstmals seit 20 Jahren wieder zum albanischen Meistertitel zu führen, damit endgültig ein Held in Shkodra zu werden - und das in bester Gesellschaft: "Für die Fußball-Fans hier ist der deutsche Fußball das Maß aller Dinge. Shkodra ist das 17. deutsche Bundesland (lacht). Die Leute sind verrückt nach Deutschland, nach der Nationalmannschaft. Thomas Müller oder Manuel Neuer sind hier Helden."

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