Man mag es sich nur schwer vorstellen. Ist ein Ball im Spiel, kann Lionel Messi doch nichts und niemand auf diesem Planeten verunsichern. Fakt. Jeder hat die Bilder im Kopf, wie der fünffache Weltfußballer aus Argentinien seine Gegenspieler reihenweise austanzt, das eigentlich Komplizierte kinderleicht aussehen lässt. Weil er an der Kugel einfach alles kann, sie streichelt, sie immer unter Kontrolle hat, sie liebt. Billy Wingrove weiß das freilich auch - und gerade deswegen erlebte der professionelle Fußball-Freestyler aus London vor einigen Jahren bizarre Momente.
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Im Auftrag eines bekannten Computer-Spiels sollte Wingrove, der mit dem Ball die wildesten Dinge anstellt, schier unvorstellbare Kombinationen ausfeilt, im Camp Nou ein Promo-Video drehen. Sein angedachter Partner, der mit ihm zaubern und ein paar Tricks zum Besten geben sollte: natürlich Barca-Superstar Messi. Ganz so einfach gestaltete sich die Zusammenarbeit aber nicht.
"Er sagte: 'Ich habe das Video von diesem Jungen gesehen, als er mit Ronaldinho arbeitete. Er ist besser als Ronaldinho und ich weiß, dass Ronaldinho besser ist als ich'", erinnert sich Wingrove. Tatsächlich: Messi hatte kalte Füße. Die Folge: Das Script für den Spot musste komplett umgeschrieben, schließlich so dargestellt werden, dass Wingrove und Messi nie zur gleichen Zeit im Bild waren, der Argentinier lediglich ein paar 0-8-15-Jonglier-Moves einstreute. "Es war das größte Kompliment der Welt. Aber gleichzeitig war es herzzereißend. Ich wollte ihn nicht bloßstellen", sagte Wingrove im Rückblick, betonte aber, dass Messi später stets respektvoll mit ihm umging.
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Sieht man den heute 33-jährigen Engländer zum ersten Mal, tippt man wahrscheinlich nie darauf, welch überbordendes Potenzial in ihm steckt. Schlank, fast hager, blasser Teint, Allerweltsgesicht - wie einer, der einem Weltstar Respekt einflößt, kommt er jedenfalls nicht daher. Dieses Bild ändert sich aber rasch, sobald man Wingrove eine Pille vor die Füße legt. Ballgefühl- und -kontrolle in Vollendung, offenbar unerschöpflicher Einfallsreichtum, ein Höchstmaß an Technik. Schaut man ihm zu, geht dem Fußball-Liebhaber das Herz auf.
Von Denilson und Davids inspiriert
Gleiches gilt für denjenigen, der gefühlt immer an Wingroves Seite ist: Jeremy Lynch. Beide bewegen sich, was Freestyle-Skills angeht, quasi auf gleichem Niveau, Lynch ist in punkto Kreativität vielleicht der noch etwas bessere. 2008 trat er mit seinen Kunststücken bei der populären TV-Show "Britain's Got Talent" auf, hievte sich damit in die Herzen eines Millionen-Publikums.
Im Jahr 2000 hatte Lynch die Liebe zum Freestyle-Fußball entdeckt. Das Video einer Nike-Werbung mit Edgar Davids und Denilson, zwei seiner Vorbilder, ließ seine Leidenschaft entflammen. "Ich hatte immer einen kreativen Geist", sagte der gebürtige Londoner jüngst dem Recorder. "Ich träume sogar manchmal von Tricks, wache auf und probiere sie aus. Das funktioniert."
Und wie das funktioniert. In den Sozialen Medien sind die Briten, die sich Anfang 2010 zum Duo "The F2 Freestylers" zusammenschlossen und damit längst eine Marke etabliert haben, eine ganz große Nummer. 3,2 Millionen Abonnenten auf Instagram, deren 4,6 Millionen auf ihrem Youtube-Channel, den sie mit Skill-Videos aller Art füttern. Auch als Einzelkünstler sind sie inzwischen in aller Munde. Wingrove hat etwa auf Twitter mehr als 70.000 Follower, Lynch folgen auf Instagram sogar 115.000 Menschen.

Auf ihrem Gebiet sind sie ohnehin unangefochten führend. Und mit dem Who-is-Who des Weltfußballs mittlerweile per Du, drehten bereits gemeinsam mit Cristiano Ronaldo, Eden Hazard, Robinho, Neymar, Juan Mata, Nani, Ronaldinho oder Gareth Bale, ließen die Ausnahmekönner zumeist nicht ganz so gut aussehen. Aus Lynchs Sicht der Beste unter ihnen? Neymar. "Er sprüht vor purer Klasse. Wir haben einen halben Tag mit ihm verbracht, er war authentisch und demütig. Er ist ein eher schüchterner Typ - man würde niemals denken, dass er einer der besten Fußballer der Welt ist."
"Das motivierte mich, noch mehr zu trainieren"
Doch welche Geschichte steckt eigentlich hinter den zwei Hochbegabten, die mit ihren Fähigkeiten derart begeistern können?
Wingrove wurde im Dezember 1982 in London geboren, sein Vater war Profi bei Tottenham. Kein Wunder, dass Billy glühender Anhänger der Spurs ist, am Profi-Fußball schnupperte er trotz seiner technischen Fähigkeiten aber nie so richtig. Stattdessen forcierte er relativ früh seine Freestyle-Karriere, ähnlich wie Lynch inspiriert von Nikes Werbekampagne Anfang der 2000er Jahre. "Ich sah diesen Typen, der Mr. Woo hieß. Er war der Erste, der Freestyle-Fußball professionell betrieb. Das motivierte mich, noch mehr zu trainieren", erzählte Wingrove einst Forever Sports.
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Seit 2003 ist er Freestyle-Profi, rund um die WM 2006 hatte er seine ersten ganz großen Auftritte, war zudem 2005 der erste Freestyler, der einen Vertrag bei einem Profi-Verein unterschrieb, seitdem für seinen Herzensklub Tottenham vor allem zu Zwecken der Verbesserung des Merchandisings arbeitet.
Auf seinen heutigen Kompagnon Lynch traf er erstmals 2008. Jener strebte als Jugendlicher eigentlich eine Profi-Karriere an, spielte, wie Wingrove in London geboren und aufgewachsen, in der Jugend des FC Arsenal. Als 15-Jähriger sortierten die Gunners ihn aber aus. Sein Hobby hat Lynch, heute 28 Jahre alt, dennoch zum Beruf gemacht.
Symbiose verschiedener Elemente
Die Stärke der F2 Freestylers liegt derweil vor allem in dem einfachen Fakt, dass sie zu zweit sind. Viele ihrer Kombos aus Tricks und Raffinessen performen sie synchron, perfektionieren diese stetig. "Niemand hatte zuvor ein durchchoreographiertes Duo gesehen, das synchron seine Skills präsentiert, diese mit Musik, Licht- und Soundeffekten mischt", betont Wingrove die Anfangsidee.
Vor allem das Musikalische spielte eine große Rolle, verstehen sich The F2 doch in erster Linie als Entertainer. "Als wir uns zusammentaten, haben wir uns gefragt: 'Wer ist der beste Entertainer aller Zeiten?' Wir waren uns schnell einig, dass es Michael Jackson sein muss, auch die amerikanische Tanz-Kombo Jabbawockeez begeisterte uns. Wir haben also Youtube-Videos studiert, die besten Elemente jener Künstler aufgesogen und sie mit dem gemischt, was wir machen", erklärt Lynch.
Inzwischen wurde aus einer Idee längst eine Erfolgsstory. Bei der Ballon-d'Or-Gala 2010 ließen sie die Elite des beliebtesten Sports der Welt staunen - eine Performance, die ihren Aufstieg weiter forcierte. Heutzutage gehören derlei riesige Shows - wenngleich sowohl Wingrove als auch Lynch zuletzt verletzungsbedingt eine Pause einlegen mussten - beinahe zum Alltag.
Das Video, das sie Mitte dieses Jahres mit den Jungs des FC Barcelona drehten, dürfte für The F2 aber immer noch etwas ganz Besonderes gewesen sein. Vor allem, weil neben Pique, Arda oder Luis Suarez auch Messi mitwirkte. Für Wingrove schloss sich so irgendwie ein Kreis. Damit aufhören, mit der Kugel zu zaubern und sich gegenseitig hochzuschaukeln, werden er und Lynch aber nicht. Vermutlich werden sie das nie tun ...
