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Stefan Schnoor: "Wolfsburg hat mehr zu verlieren als der HSV"


INTERVIEW

Wenn es nach ihm geht, muss am Ende keiner von beiden in die Relegation. Stefan Schnoor, von 1992 bis 1996 für den Hamburger SV und von 2001 bis 2006 für den VfL Wolfsburg aktiv, hofft auf einen glimpflichen Ausgang der Saison seiner Ex-Klubs. Für Goal analysiert der TV-Experte die Ausgangslage vor dem "Endspiel" im Volksparkstadion.

Herr Schnoor, der HSV muss das Spiel gegen Wolfsburg gewinnen, um den direkten Klassenerhalt zu feiern. Ist der Druck damit automatisch größer als für die Wölfe?

Stefan Schnoor: Ich glaube, dass der Druck beim VfL Wolfsburg größer ist. Sie haben in diesem Spiel mehr zu verlieren. Der HSV hingegen steht die gesamte Saison unten drin und ist mit der Situation vertraut. Dass sie sich ein Endspiel erkämpft haben, das sie gewinnen müssen, um drin zu bleiben, kann noch einmal zusätzliche Kräfte freisetzen.

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Seit dem 2:1 über die TSG Hoffenheim am 28. Spieltag hat der HSV kein Spiel mehr gewonnen und nur zwei Punkte geholt. Wie erklären Sie sich diesen Leisttungseinbruch?

Schnoor: Weil der HSV gegen defensiv spielende Teams wie Darmstadt, Ingolstadt oder Augsburg nicht in der Lage ist, das Spiel zu machen.

Dann kommt der VfL Wolfsburg ja gerade zur rechten Zeit.

Schnoor: Es gibt in dieser Phase keine dankbaren Gegner. Aber ich glaube schon, dass der VfL dem HSV mehr Räume bieten wird. Sie werden versuchen, mitzuspielen.

Sie erwarten also nicht, dass die Wolfsburger sich hinten reinstellen? Ein Unentschieden würde ihnen schließlich reichen.

Schnoor: Nein, das wäre in dieser Situation auch nicht wirklich clever. Denn es kann immer mal passieren, dass ein Ball irgendwie durchrutscht. Dann liegst du zurück und musst dem Ergebnis hinterher laufen.

Können Sie etwas mit der Erklärung der HSV-Verantwortlichen anfangen, die in der Schwächephase der letzten Wochen eine gewisse "Kopfmüdigkeit" festgestellt haben wollen?

Schnoor: Nein, überhaupt nicht. Das ist eine der größten Ausreden, die ich je gehört habe. Natürlich ist die Situation verbunden mit großer Anspannung und sehr viel Druck. Aber trotzdem kann ich diese Erklärung nicht gelten lassen.

Wie ordnen Sie das 1:1 beim FC Schalke ein? Hat der HSV überzeugt oder waren die Schalker nur nicht clever genug, um das Spiel frühzeitig zu entscheiden?

Schnoor: Viele große Chancen hatte der FC Schalke jedenfalls nicht. Der HSV hingegen hat es im Rahmen seiner Möglichkeiten besonders in der zweiten Halbzeit gut gemacht und sich den Ausgleich erspielt.

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Glauben Sie, dass der HSV dem Druck im letzten Spiel gewachsen ist?

Schnoor: Immer wenn es darauf ankam und der Druck besonders groß war, hat der HSV seine Leisungen gebracht und gepunktet. Daher sehe ich die Konstellation vor dem Spiel gegen Wolfsburg als großes Plus.

Vor der Saison haben die Hamburger zwischen 40 und 50 Millionen Euro für Neuzugänge ausgegeben. Im schlimmsten Fall heißt das Saisonergebnis Relegation. Warum schießt Geld ausgerechnet in Hamburg keine Tore?

Schnoor: Man muss hinterfragen, ob immer das Maximum aus dieser Mannschaft herausgeholt wurde, die zweifellos über individuelle Qualität verfügt. Hier sehe ich die größten Ansatzpunkte. Auch Markus Gisdol wird sich kritisch hinterfragen müssen, ob er bei Aufstellungen und Einwechslungen taktische Fehler begangen hat. Diese Themen werden in der Analyse nach der Saison angesprochen werden müssen.

Beim VfL Wolfsburg sieht es nicht viel anders aus. Der Kader ist gespickt mit teuren Stars, trotzdem wurden die Ziele deutlich verfehlt. Wie konnte es dazu kommen?

Schnoor: Aus der Ferne ist das nicht einfach zu beurteilen. Allerdings glaube ich, dass die Mannschaft charakterlich falsch zusammengestellt ist. Wenn es läuft, blühen einzelne Spieler mit ihren Fähigkeiten auf. Aber wenn es nicht läuft und der Wind von vorne kommt, habe ich keinen gesehen - Mario Gomez mal ausgenommen - der die Ärmel hochkrempelt. Ein Beispiel: Ich kann mit Luiz Gustavo doch nicht jemanden zum Kapitän machen, der in nahezu jeder Transferperiode weg will. Führungsspieler kann man nicht bestimmen. Hierarchien entwicklen sich von innen heraus. Darüber hinaus erkenne ich beim VfL nicht, dass Leute gefördert werden, die sich mit dem Verein und der Stadt identifizieren.

Die Unterstützung der Fans im eigenen Stadion galt für den HSV in der Vergangenheit stets als großer Trumpf. Ist es für die Gegner wirklich so viel schwerer, wenn er gegen 50.000 im Rücken antreten muss?

Schnoor: Jeder Spielertyp reagiert darauf anders. Mich persönlich haben Pfiffe gegnerischer Fans immer gepusht. Dann wusste, dass ich etwas richtig gemacht habe. Für den HSV ist es ein Vorteil, wenn das Publikum sie nach vorne peitscht. Andererseits kann es in die Hose gehen, wenn sie nach zehn Minuten zurück liegen und ihnen nichts gelingt. Dann zeigt sich, wer ein Mann ist und damit klar kommt.

Sind die Spieler heutzutage sensibler als früher?

Schnoor: Ja, aber das liegt auch an den Verantwortlichen der Vereine. Man will keine echten Typen mehr. Wo gibt es denn noch kritische Interviews von Spielern, die wirklich sagen, was sie denken? Jeder Verein hat eine riesige Medienabteilung, um Aussagen wegzustreichen, zu korrigieren oder abzumildern. Alles wird relativiert und verweichlicht. Und so spielen die Jungs dann teilweise auch. Sie trauen sich nicht mehr, Entscheidungen zu treffen, weil ihnen fast alles abgenommen wird.

Wie stehen Sie in diesem Zusammenhang zur Suspendierung von Johan Djourou?

Schnoor: Wir wissen nicht genau, was intern vorgefallen ist. Aber sollte diese Suspendierung nur aufgrund eines kritischen Interviews vollzogen worden sein, halte ich das für fragwürdig. Wäre ich in dieser Situation Trainer gewesen, hätte ich dem Spieler die Möglichkeit eingeräumt, mich in einem Spiel davon zu überzeugen, dass ich falsch lag und ihm zu Unrecht die Kapitänsbinde weg genommen habe. Denn nur so wüsste er, woran er bei mir wirklich ist. Klar ist doch: Es muss in einer Mannschaft auch mal Reibereien geben. Zu versuchen, eine Stimmung zu erzeugen, in der sich alle lieb haben, führt zu nichts.

Wie geht das Spiel aus?

Schnoor: Ich hoffe auf einen Sieg des HSV bei gleichzeitiger Niederlage des FC Augsburg gegen Hoffenheim, sodass sich der HSV und Wolfsburg retten.

Was muss sich nach der Saison bei beiden Vereinen verändern?

Schnoor: Seit Jahren wird beim HSV von einem Umbruch gesprochen, aber Ende kommt fast immer dasselbe Ergebnis heraus. Also müssen die Verantwortlichen auch mal den Mut aufbringen, es wirklich anders zu machen und auf Spieler zu setzen, die sich für den Verein zerreißen und nicht nur den größten Vertag ihres Lebens unterzeichnen wollen.

Und beim VfL?

Schnoor: Da ist es nicht anders. Der Verein braucht Spieler mit Identifikation. Man muss nicht immer die besten Fußballer haben, um eine gute Mannschaft zusammen zu stellen. Es braucht Typen mit Charakter und Herz. Der VfL hat sich in den letzten Jahren immer mehr von seinen Grundwerten entfernt. Wolfsburg ist eine Stadt der Arbeiter, versucht aber Champagner-Fußball anzubieten. Das passt nicht. Sowohl beim HSV als auch beim VfL sehnen sich die Leute nach einer Mannschaft, für die es sich lohnt, ins Stadion zu fahren. Sie müssen nicht jedes Spiel gewinnen, aber sie müssen zeigen, wie sehr sie für ihren Verein brennen. Deshalb besteht für beide Vereine nach der Saison unabhängig vom Ausgang des Spiels Redebedarf.

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