Ryan GauldGetty Images

Sporting-Talent Ryan Gauld: Vom Winde verweht


HINTERGRUND

Im Osten Schottlands liegt Brechin, eine verschlafene Kleinstadt mit nicht einmal 10.000 Einwohnern. Backsteinhäuser schmiegen sich aneinander. Alte Gemäuer, die mit der schnelllebigen, globalisierten Welt nichts gemein haben und eher einer Harry-Potter-Kulisse entsprungen zu sein scheinen als der realen Welt, prägen das Bild. Die drei einflussreichsten Persönlichkeiten der Stadt sind alle schon lange tot und nie würde man auf die Idee kommen, dass hier Anfang des 21. Jahrhunderts ein unscheinbarer, schmächtiger Knabe Fußball spielte, der das ganze Land in Aufruhr versetzte. Er könnte der erste schottische Fußballer seit den Ikonen Kenny Dalglish und Dennis Law werden, der den Sprung in die Weltspitze schaffen würde, so die Hoffnung. Sein Name: Ryan Gauld.

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Obwohl schon immer kleiner als seine Mitspieler, hatten sie bei Brechin City, damals im Jahr 2006, ein echtes Jahrhunderttalent. Mühelos ließ er Gegenspieler stehen, wich eingesprungenen Tacklings aus wie eine Antilope behäbigen und uralten Löwen. Sein linker Fuß zwirbelte die Bälle schon damals ins Tor und wegen der Bewegungen und der Schusstechnik kamen die ersten Vergleiche auf: Wie Lionel Messi spiele Gauld. Auch wenn ein Vergleich mit dem Argentinier natürlich anmaßend war, waren sich alle sicher, dass Gauld es bis ganz nach oben schaffen würde.

Liverpool und ManUnited wollten Gauld

Auch die Top-Klubs, die versammelt vorstellig wurden, um Gauld zu sich zu holen. Liverpool, wo einst Dalglish zur Legende wurde, Manchester United, wo Law zum Star wurde. Nahezu jeder englische Top-Klub schickte seine Delegation nach Brechin. Außerdem natürlich: Die schottischen Big Player Celtic und die Glasgow Rangers. Gauld aber sagte ihnen allen ab. Er wollte sich lieber in Ruhe entwickeln. Ohne den Hype, ohne ständige Aufmerksamkeit. Und so wechselte er 2006, einem Jahr, in dem ein großes Turnier wieder einmal ohne Schottland stattgefunden hatte, zu Dundee United.

Er reifte, lernte, sich auch gegen großgewachsene Verteidiger durchzusetzen, die deutlich besser waren, als die Gegenspieler in der Provinz, auf die Gauld im Brechin-Trikot traf. Mit 16 kam er zum ersten Mal für die erste Mannschaft zum Einsatz. Es wirkte fast skurril, wie da einer, der auch gut und gerne erst 13 sein hätte können, mit den Profis auf dem Platz stand.

Ryan GauldGetty Images

"Sachen am Ball, die ich noch nie gesehen habe"

"Ja, er war klein und körperlich noch nicht so weit", sagt sein damaliger Trainer Peter Houston. "Aber wenn man ihm im Training beim Fußballspielen zusah, dann konnte man gar nicht anders, als ihn für den Profikader zu nominieren. Der machte am Ball Sachen, die ich noch nie gesehen habe." Nach der Saison 2012/13, in der er, noch immer minderjährig, als Joker zum Einsatz kam, und sein erstes Tor erzielte, wurde er 2013/14 mit 18 Jahren Stammspieler. Es war die Saison, die den 1,68-Meter-Jungen endgültig vom Wunderkind zum ganz real hochbegehrten Talent machte. Denn natürlich fehlte die Konstanz und noch immer sah er aus wie ein Kind, das bei den Erwachsenen mitspielen darf. Aber es gab da auch diese Spiele, in denen er unfassbar agierte.

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So wie gegen Partick Thistle, als er beim 4:0 alle Tore vorbereitete. Und das immerhin in der ersten Liga Schottlands. "Seine Übersicht ist fantastisch. Sein Fußball-Hirn ist schon viel weiter als sein Körper, viel weiter, als alles was ich bisher gesehen habe", schwärmte Houstons Nachfolger auf der Dundee-Bank, Jackie McNamara.

Am Ende hatte er acht Tore und elf Assists auf dem Konto und war Star der schottischen U-Nationalmannschaften. Alles schien angerichtet zu sein für die große Karriere, die man ihm schon als Elfjährigem prophezeit hatte. Real Madrid klopfte an, erneut versuchten es United und Liverpool. Gauld aber blieb seiner Linie treu und traf eine Entscheidung, die ihm die beste für seine Karriere zu sein schien. So wechselte er 2014, mit 18, für rund 2,7 Millionen Euro zu Sporting nach Lissabon.

Bei Sporting gescheitert

"Sporting hat schon viele Talente sehr gut geformt. Ich möchte hier den nächsten Schritt machen und mich in der ersten Mannschaft etablieren", sagte Gauld damals. Und alles schien dafür zu sprechen, dass ihm in der Hauptstadt Portugals genau das gelingen würde. Schließlich ist die erste Liga dort nicht zu gut, um spielerisch erst einmal eine Weile zu brauchen, und schmächtige Typen wie Gauld hat sie auch zuhauf. Und doch hat er bis zum heutigen Tage lediglich siebenmal für die Profis gespielt. Ein Tor gelang ihm dabei nicht. Was ist passiert?

Zunächst einmal war das Niveau bei Sporting dann doch deutlich höher als in Schottland. Viele Verteidiger waren es gewohnt, gegen trickreiche, wendige Dribbler zu spielen, die es in Portugal deutlich häufiger gibt als im Norden der britischen Insel. Zudem sollte sich Gauld zunächst einmal bei Sporting B beweisen. Als halblinker Achter im 4-3-3 tat er sich aber schwerer als erwartet. Er traf in Portugals 2. Liga auf diverse clevere Teams, die genau wussten, wie sie ihm das Leben schwer machen können. Ebenfalls erschwerend: Sportings Nachwuchs setzt traditionell auf striktes Positionsspiel. Für einen Freigeist, der bei Dundee auf der Zehn frei walten und schalten konnte, nicht einfach.

Ryan Gauld - Sporting LisboaAFP PHOTO/ PATRICIA DE MELO MOREIRA (Photo credit should read PATRICIA DE MELO MOREIRA/AFP/Getty Images)

Schelte, Leihe, Rechtsstreit

Acht Tore gelangen ihm in über 70 Spielen für die B-Mannschaft. Bei den Profis durfte er zwar mittrainieren, zu Einsätzen reichte es aber meist nicht. Und so ging Zeit ins Land, Gauld fiel mit zwei Platzverweisen auf, die er sich frustriert einhandelte, und für die er eine Schelte von seinem Trainer kassierte.

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In der vergangenen Saison wurde er dann an Vitoria Setubal verliehen, um den nächsten Schritt zu machen. Als er gerade, nach einer beschwerlichen Anfangszeit, Fuß zu fassen schien, zum ersten Mal drei Startelfeinsätze in Folge absolvierte, wollte ihn Sporting im Winter dann unbedingt zurückholen. Denn das B-Team steckte in ernsten Schwierigkeiten und bis zum Hals im Tabellenkeller. Gauld kam zurück und mit ihm in der Startelf verlor man nur noch eine Partie.

Währenddessen entstand das nächste Hindernis. Denn Setubal klagte zusammen mit einigen Teams, die nach Gaulds Rückkehr gegen Sporting verloren hatten. Er habe Vertragsbruch begangen, so der Vorwurf. Teilweise bekamen sie recht, Gauld wurde gesperrt, musste im Saisonendspurt zusehen.

Zukunft? Offen!

Im Dezember wurde er 21, nun ist er erst einmal in den Urlaub gefahren. Nach Hause, dorthin, wo alles angefangen hat. Er hat auch in Brechin vorbeigeschaut, dieser kleinen Stadt, in der sein Stern vor über zehn Jahren aufging, und die so fern von der großen Fußballwelt ist. Wie es jetzt weiter geht, ist offen. "Fußball mit der ersten Mannschaft ist das Ziel. Ich habe meine drei Jahre hier sehr genossen. Es lief vielleicht nicht alles nach Plan und so, wie ich gehofft hatte, aber ich genieße es, hier zu leben", sagte Gauld BBC Schottland. Man wird sehen, ob er es noch schafft, endlich richtig im Profifußball anzukommen.

Schwer wird es ohne Zweifel, hat Sporting doch längst neue Talente. Sieht man Gauld beim Fußballspielen zu, dann weiß man es aber sofort wieder: den Grund, warum noch immer viele Schotten hoffen, dass er noch der Spieler wird, den man einst in ihm sah. Denn wie er den Ball streichelt, wie er Dinge sieht, die anderen verborgen bleiben, kommt man nicht umhin, aufrichtig zu hoffen, dass sein Traum noch nicht zu Ende ist. Und dass er seine Fähigkeiten auch eines Tages auf der ganz großen Bühne zeigen darf.

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