Sinan Kurt: Wo ist das einstige Mega-Talent von Bayern und Gladbach heute?


HINTERGRUND

"Messi und Neymar", sagte Sinan Kurt Anfang 2015 dem YouTube-Kanal des FC Bayern München, gefragt nach seinen Idolen. Damals kam man nicht umhin, es für möglich zu halten, dass dieser 18-Jährige es zumindest ähnlich weit bringen könnte wie der argentinische und der brasilianische Superstar. Immerhin hatte Bayern ein halbes Jahr zuvor, kurz nachdem Kurt volljährig wurde, drei Millionen Euro für den Offensivspieler nach Mönchengladbach überwiesen.

Dass er heute, rund fünfeinhalb Jahre später, mehr als meilenweit von seinen damaligen Ambitionen entfernt ist, hat wohl auch damit zu tun, dass er eine andere Antwort, die er in jenem Kurzinterview gab, wahrscheinlich nicht immer ganz so ernst nahm. Um Profifußballer zu werden, muss man ...? "Hart arbeiten", sagte Kurt und schob ein seufzendes Lächeln hinterher.

Als Teenager stand der Name Sinan Kurt für eines der größten Talente Deutschlands, vielleicht sogar Europas. Auf beiden Flügeln oder auf der Zehn zuhause, glänzte er für die Nachwuchsmannschaften von Gladbach und des DFB. 23 Tore und neun Vorlagen gelangen ihm in der Saison 2012/13 in der U17-Bundesliga West. Der Sprung in die U19 klappte mühelos, auch dort überzeugte er und schien auf seinem Weg nach oben nicht aufzuhalten zu sein.

Nachwuchs-Boss über Sinan Kurt: "Wenn er auf dem Teppich bleibt, ..."

Anfang 2014, mit 17, durfte er zur Belohnung mit Gladbachs Profis ins Winter-Trainingslager, Sky drehte eine Dokumentation über Kurts Weg. "Wenn Sinan auf dem Teppich bleibt, hat er eine große Zukunft vor sich", sagte Roland Virkus, Nachwuchskoordinator bei der Borussia, seinerzeit dem Pay-TV-Sender. Und doch schien er da so eine Vorahnung zu haben: "Aber die Jungs hören eben dann manchmal auch nicht zu und schlagen über die Stränge."

Sinan Kurt Jerome Boateng FC Bayern BundesligaBild: Getty Images

Dass in Kurts Vita heute, mit 24 Jahren, lediglich drei Bundesligaspiele stehen, gibt Virkus' Befürchtungen im Nachhinein recht. Im Sommer 2014 war die Skepsis seines Nachwuchsleiters Kurt aber vermutlich völlig egal.

Ohne eine Bundesliga-Minute für Gladbach bestritten zu haben, verließ er die Fohlen, sein Transfer brach seinerzeit einen Streit zwischen Bayerns damaligem Sportdirektor Matthias Sammer und dessen Gladbacher Pendant Max Eberl los. Drei Millionen Euro legte der FCB für den damals 18-Jährigen auf den Tisch, betonte stets, Kurt behutsam aufbauen zu wollen.

Vor allem die Aussicht, in München mit Pep Guardiola arbeiten zu können, ließ Kurt seine Zelte in Gladbach vorschnell abbrechen. Und immerhin: Im März 2015, immer noch 18, debütierte er für die Bayern in der Bundesliga. Doch danach ging Kurt die Sache bei den Bayern offenbar nicht schnell genug. In der Hinrunde der Saison 2015/16 stand er nicht ein einziges Mal im Bundesliga-Kader, tingelte stattdessen mit der zweiten Mannschaft in der Regionalliga durch die bayerische Provinz.

Sinan Kurt: "Natürlich habe ich nicht alles richtig gemacht"

"Sinan hat das Problem, dass ihm in der Jugend schon alle gesagt haben, was für ein super Spieler er ist", erklärte Matthias Sammer seinerzeit. Auch in der zweiten Mannschaft war Kurt nicht immer Stammspieler - und statt wie noch anderthalb Jahre zuvor von Europas Topklubs gejagt zu werden, stand er nun erstmals an einem Scheideweg in seiner Karriere.

"Natürlich habe ich nicht alles richtig gemacht", räumte Kurt im Herbst 2019 im Bild-Interview ein. "Aber wer macht das mit 18 schon?" Anfang 2016 ließ Bayern den immer noch erst 19-jährigen Linksfuß für 500.000 Euro zu Hertha BSC ziehen. Nach der enttäuschenden Zeit in München wollte Kurt in Berlin einen Neuanfang starten.

Sinan KurtBild: Getty Images

Später sollte er über das Engagement bei der Hertha jedoch der Sport Bild sagen, dass ihm dort "der Spaß am Fußball genommen" wurde. "Ich hatte den Kopf nicht frei, weil ich wusste, dass es keine Ebene zwischen dem Trainer (Pal Dardai, d. Red.) und mir gab." Lediglich fünf Bundesliga-Minuten sollte er in drei Jahren in Berlin absolvieren, Kurts Laufbahn war längst vollkommen ins Stocken geraten.

Sinan Kurt zuletzt Gastspieler bei einem West-Regionalligisten

Im Februar 2019 fasste der frühere deutsche Junioren-Nationalspieler daher den Entschluss, noch einmal mehrere Schritte zurückzugehen und schloss sich dem damaligen österreichischen Zweitligisten WSG Tirol an. "In Österreich gibt es all die Vorurteile nicht, die vor drei, vier Jahren in Deutschland entstanden sind. So ist es einfacher, den Kopf freizubekommen und endlich wieder Fußball zu spielen", erklärte Kurt den Wechsel.

Doch nach fünf Monaten, 13 Einsätzen und nur einem Tor war schon wieder Schluss in Österreich. Seitdem, seit Sommer 2019, ist das ehemalige Top-Talent nun vereinslos. "Man wartet schon auf den erlösenden Anruf und fragt öfter mal nach, ob sich Klubs gemeldet haben", sagte Kurt im Herbst letzten Jahres. Er hält sich meist individuell fit, nahe seiner Heimat in Nordrhein-Westfalen. Beim West-Regionalligisten SV Straelen durfte er zudem zuletzt mittrainieren und als Gastspieler in Testspielen ein wenig Praxis sammeln, auch ein Vertrag dort war kurzzeitig im Gespräch. 

Das schloss Straelens Mittelfeldmann Kevin Weggen, der mit Kurt befreundet ist und auch einfädelte, dass der Ex-Bayern-Profi beim Viertligisten mittrainieren durfte, allerdings im Gespräch mit Reviersport aus: "Aktuell ist er nicht mehr bei uns, weil er persönliche Angelegenheiten erledigen muss. Ich glaube auch nicht, dass er zu uns wechseln wird. Sinan will mindestens 3. Liga spielen, ansonsten wird er wohl ins Ausland gehen."

Trotz der ständigen Enttäuschungen der letzten Jahre hat Kurt mit dem Kapitel Fußball jedenfalls noch nicht abgeschlossen: "Für mich gibt’s nur Fußball. Ich habe so viel investiert, meine halbe Jugend dafür geopfert. Ich denke nicht ans Ende!", betont er.