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Sergio Ramos bei Real Madrid: Der sanfte Krieger


HINTERGRUND

Was für die einen verachtenswerte Quälerei ist, ist für die anderen Show, Spektakel und oder sogar kulturelle Identität. Während in Spanien der Stierkampf inzwischen in weiten Teilen des Landes verboten ist, hat er einen höchst prominenten Fan. Noch immer. Denn bereits als Kind, in der Gluthitze Andalusiens, träumte ein kleiner Junge davon, eines Tages selbst als Matador in der Arena zu stehen, die Massen ihm zujubelnd, in Angesicht mit einem schnaubenden, schwarzen Stier.

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Dass der Junge, der in Camas aufwuchs, sich nie das Gewand der in Spanien wie Helden verehrten Matadoren überzog und stattdessen heute Woche für Woche ein Fußballtrikot, lag an seiner Mutter, die ihn überredete, seinen Traum nicht zu erfüllen, weil der Kampf mit den gehörnten Tieren so gefährlich ist. Man muss Paqui, so ihr Name, dafür danken. Denn so schenkte sie dem Fußball einen der besten Verteidiger aller Zeiten. Einen Welt-, Europameister und zweifachen Champions-League-Sieger. Sein Name: Sergio Ramos.

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Die Faszination des Stierkampf hat ihn dennoch nie losgelassen. Große Siege wie den EM-Titel 2012 feierte Ramos gerne im Stil eines Matadors. Er liebt das Adrenalin am Duell Mann gegen Stier, diese Alles-oder-nichts-Momente. Denn er war immer selbst einer, der gerne viel riskiert. Der keine halben Sachen macht. Genau das macht ihn zum aktuell vielleicht besten Abwehmann der Welt. Defensiv ist er berüchtigt für seine gnadenlosen Tacklings. Offensiv ist er gut wie nie. In 35 Pflichtspielen hat er zehn Tore erzielt – eine Quote, auf die so mancher Stürmer stolz wäre. 30 Jahre alt ist er inzwischen. Und alle Welt zittert vor ihm, wenn er im Strafraum hochsteigt.

"Er hat mich übertroffen", sagte Fabio Cannavaro kürzlich in einem Interview mit Cadena Ser. Und er muss es wissen, war er doch so etwas wie ein Lehrmeister für Ramos, damals, vor knapp zehn Jahren. Vom Italiener lernte Ramos, das Ungestüme in sich besser zu kanalisieren. Zwar ist er auch heute nicht frei von emotional gesteuerten Unbedachtheiten, er ist heute aber voll auf der Höhe, wenn es darauf ankommt. Er ist nicht nur der Prototyp eines Leaders, sondern auch längst eine lebende Legende. Er war es, der 2014 gegen Atletico den Ausgleich erköpfte, der La Decima möglich machte.

Und er ist es, dessen Emotionalität gemeinsam mit der Klasse Ronaldos und dem strategischen Geschick von Kroos und Modric die Säule dieser so besonderen Mannschaft bildet, die sich anschickt Meisterschaft und Champions League zu gewinnen.

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Dass Ramos heute der Mann für die besonderen Momente ist, liegt auch an seiner Kindheit. "Mein Großvater und mein Vater haben mir immer gesagt, dass es immer Hoffnung gibt - selbst, wenn nur noch eine Sekunde zu spielen ist", sagt er. Und: "Wenn du mit gutem Beispiel vorangehen willst, musst du gut spielen, hart arbeiten und immer alles geben", so Ramos. "Du musst das den jungen Spielern im Team vorleben, damit du dasselbe von ihnen erwarten kannst. Ich bin sehr glücklich, die Chance zu haben, ein solches Team zu führen."

Und genau das tut er. Jedes Spiel wieder. "Als Führungsspieler muss man sich kritischen Situationen stellen und natürlich im Team akzeptiert sein. Er muss seine Mitspieler erreichen können, sie mitreißen. Gerade bei Rückständen muss er voran gehen", sagt Werner Mickler, renommierter Sportpsychologe, gegenüber Goal – eine Beschreibung wie maßgeschneidert für Ramos.

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Der 30-Jährige, der einst als 19-Jähriger für 30 Millionen Euro zu Real wechselte, gilt allenthalben als Draufgänger. Als einer, der auf dem Platz Gelbe Karten sammelt wie andere Einsätze (bereits 185 Gelbe Karten und 21 Platzverweise) und daneben ein Rockstar des 21. Jahrhunderts ist. Ihm wurden Affären mit einigen der schönsten Frauen Spaniens nachgesagt. Er ist jemand, der seine Meinung sagt. Immer. So griff er nach dem Verkauf von Mesut Özil offen die Vereinsführung an und trug unter seinem ein Trikot des Deutschen. "Ich werde nie schweigen, weil ich für meine Ideen sterbe", sagt Ramos.

Hinter dem Crunchtime-Monster, dem wilden und charismatischen Anführer, dem Männlichkeitssymbol, steckt eine andere Seite von Ramos. Eine sanftere, die auf Demut, Heimatverwurzelung aufbaut. Denn er hat nie vergessen, wo er herkommt, betont, dass er "andalusisches Blut“ hat. Es gab einen Moment im Leben des Sergio Ramos, der vieles für ihn verändert hat. Seine Sicht auf das Leben, aber auch ihn selbst. Seit jenem 28. August 2007 ist er ein anderer Mensch.

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Damals starb Antonio Puerta, einer seiner engsten Freunde und Star des FC Sevilla, nachdem er auf dem Platz zusammengebrochen war. Enge Vertraute berichten, wie Ramos damals am Boden zerstört war. Bei allen großen Erfolgen wie etwa seinen beiden Europameister- und seinem Weltmeistertitel trug er bei der Siegerehrung ein T-Shirt mit dem Bild seines verstorbenen Freundes und den Schriftzug "Siempre con nosotros", "Immer bei uns."

Noch heute steht er in engem Kontakt mit Puertas Witwe, die zum Zeitpunkt des Todes ihres Mannes hochschwanger war. Er setzt sich für Projekte zum Gemeinwohl ein, besucht Krankenhäuser. Es ist Ramos wichtig, etwas zurückzugeben. Denn seit dem schweren Schicksalsschlag 2007 weiß er, wie viel Glück er hat. So wird er, sollten die Königlichen Anfang Juni den Henkelpott in den Nachthimmel von Cardiff recken, wieder an seinen toten Freund denken, der immer bei ihm ist.

Denn Ramos ist beides, demütiger Mann, der das Einfache liebt, und Superstar und Ikone. Er ist ein nachdenklicher Typ und gleichzeitig einer, der auf dem Platz furchteinflößend ist. Einer, der wie ein Stierkämpfer niemals Angst verspürt, für den es immer wieder bei Anpfiff heißt: Alles oder nichts.

"Aber auf eine bestimmte Art und Weise habe ich eine Verbindung zu dieser Welt, denn meine Familie und die Leute aus meinem Dorf waren alle große Stierkampf-Fans. Du wirst damit geboren", sagt er. "Und wenn ich auf dem Feld stehe und alles vergesse, dann habe ich tatsächlich das Gefühl, ich habe die Qualitäten eines Matadors."

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