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Sefyu: Rap statt Arsenal


HINTERGRUND

Frankreich ist im Sommer 1998 ein Land voller Euphorie und Frohsinn. Ob französischer, ob arabischer oder westafrikanischer Herkunft, ob weiß oder schwarz - alle liegen sich in den Armen, schwenken blau-weiß-rote Fahnen. Spaltung, Angst vor Andersartigkeit oder Missgunst sind dieser Tage wie vom Erdboden verschluckt. Mit einer Mannschaft, angeführt vom algerischstämmigen Zinedine Zidane oder dem auf Guadeloupe geborenen Lilian Thuram, hat Frankreich gerade die WM im eigenen Land gewonnen.

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Mittendrin im Freudentaumel, mittendrin in Paris: Ein 17-jähriger Junge mit senegalesischen Wurzeln namens Youssef Soukouna. Heute kennt man ihn als Sefyu, als einen der erfolgreichsten Rapper, die Frankreich neben Booba und Co. je hervorgebracht hat. Doch damals ist er kurz davor, voll auf die Karte Fußball zu setzen.

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Ein Scout des großen FC Arsenal entdeckt ihn bei einem Spiel. "Dann ging alles ganz schnell", erinnerte sich Sefyu vor einigen Jahren bei lavoixdessports.com . "Ich bin nach London gereist, habe Arsene Wenger getroffen. Es war kurz nach der WM '98, französische Spieler waren en vogue." Aus einer Karriere bei den Gunners, in der Premier League oder irgendeiner anderen Liga sollte für ihn aber nichts werden.

Zeitsprung. Zurück in die frühen 90er Jahre. Sefyu wächst im berüchtigten Departement 93, in Seine-Saint-Denis, am Rande von Paris auf. Trainingsanzüge sind hier die Abendgarderobe, Kriminalität bestimmt den Alltag. Luftlinie ist es aus den Banlieues ein Katzensprung zum Eiffelturm, zu den Champs Elysees und all den glamourösen Orten der französischen Hauptstadt. Im Geiste sind Jungs wie Sefyu, die dort groß werden, davon aber ganz weit entfernt. Vor allem im "Neuf-Trois", im Bezirk 93. Wer von dort kommt, hat automatisch mit Vorurteilen zu kämpfen, hat meist nicht viel übrig für "Paname", wie sie Paris hier nennen.

Glück hat, wer Talent hat. Und Sefyu hat ziemlich viel davon. Rap und Fußball sind die beiden Dinge, die ihn auszeichnen, mit denen er sich im Block behaupten kann. Und Fußball wird schon ganz früh sein Lebensmittelpunkt. Er spielt für seinen Vorortklub CSL Aulnay und jeden Tag auf den Straßen, Hinterhöfen und Bolzplätzen der Banlieue. Alle Jungs haben dabei nur ein Ziel: Profi werden, raus aus der grauen Hochhauswelt.

Aufgewachsen mit späteren Nationalspielern

Einige von denen, mit denen Sefyu damals kickt, schaffen es auch. Die früheren Nationalspieler Lassana und Alou Diarra zählten und zählen zu seinen Kumpels, ebenso wie der ehemalige Marseille- und Fenerbahce-Stürmer Mamadou Niang. "Wir sind miteinander aufgewachsen", sagte Sefyu im Juice -Interview. "Sie alle sind noch heute Freunde von mir. Diarra (Alou, d. Red.) ist ein echter Profi – keine Partys, keine Clubs, gesundes Essen, so war er schon immer."

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Alou Diarra selbst, der später mit Bordeaux (2009) und Lyon (2007) jeweils den französischen Meistertitel gewinnen sollte, sagte in einem Interview mal über Sefyu: "Er hatte damals seinen Ruf im Viertel, weil er ein guter kleiner Linksfuß war, sogar sehr gut. Er war zu dieser Zeit besser als ich."

Je älter er wird, desto mehr forciert Sefyu aber auch seine zweite Leidenschaft. "Ich habe HipHop gelebt", erinnert er sich an seine Jugendzeit. Mit zwölf Jahren beginnt er, Texte zu schreiben, gründet 1993 gemeinsam mit zwei Freunden die Rapgruppe NCC ("Nouveaux Clandes de la cite", "Neue Clans der Stadt"). Gleichzeitig geht es im Fußball bergauf: 1994, mit 13, wird Sefyu vom Drittligisten Red Star Paris verpflichtet, wo auch Spieler wie Moussa Sissoko oder Sofiane Feghouli Teile ihrer Nachwuchszeit verbrachten.

"Wir haben quasi alles gewonnen. Wir hatten eine gute Generation", sagt Sefyu über seine Zeit bei Red Star. Einige seiner Mitspieler, wie Abdoulaye Meite (später unter anderem Profi bei Olympique Marseille oder West Bromwich) schafften den Durchbruch, auch für Sefyu hätte Red Star ein Sprungbrett werden können. Doch als 1995, ein Jahr nach seiner Ankuft, der rennommierte Erstligist Racing Straßburg anklopfte, stellte sich Red Star quer. "Der Kontakt zu Straßburg kam über Olivier Dacourt (ehemaliger französischer Nationalspieler, spielte unter anderem für Inter Mailand) zustande, den ich sehr gut kannte", blickt Sefyu zurück. "Ich überzeugte im Probetraining, sollte einen Vertrag unterschreiben - aber Red Star machte nicht mit."

Stattdessen ging Sefyu mit 16 dann zu Villepinte, einem Pariser Vorortverein, wo Alou Diarra, sein Kumpel aus dem Viertel, seinerzeit noch spielte. Er traf 30-mal in einer Saison, dann stand plötzlich Arsenal auf der Matte. Sefyu witterte die große Chance, sah die große Fußballwelt vor sich, wollte "Neuf-Trois" hinter sich lassen. Doch das Schicksal spielte nicht mit.

Kapitel Arsenal beendet, bevor es richtig beginnt

"Das Problem war, dass ich mit einer Adduktorenverletzung nach London kam", erklärt Sefyu. "Im ersten Monat lief es perfekt, doch dann kamen die Schmerzen zurück." Arsenal wollte ihm dennoch einen Einjahresvertrag geben, er schlug das Angebot aber aus. "Ich war körperlich nicht in meiner besten Verfassung. Und die Schule dort war nicht so prickelnd, ich war im Abitur-Jahr. Daher lehnte ich ab."

Erstaunlich reife Worte für jemanden, dem später vorgeworfen werden sollte, mit seinen Raptexten Gewalt in den französischen Vorstädten zu schüren. Sefyu ging zurück nach Paris, ließ den Fußball hinter sich, stürzte sich voll und ganz auf sein zweites großes Talent. "2000 habe ich mich dann komplett auf Rap konzentriert, meine ersten Features für Rohff und Alibi Montana aufgenommen und mein Mixtape 'Molotov 4' rausgebracht."

2004 kommt er schließlich ganz groß raus, 2008 steigt er mit seinem zweiten Album auf Platz 1 der französischen Charts ein, erhält Platin. Sein Gesicht gibt er dabei nie ganz preis, versteckt die Augenpartie hinter einer Mütze. Vielleicht, weil er ahnte, dass er nicht immer im Rampenlicht stehen will. Denn seit seinem dritten Album 2011 macht er sich in der Rapszene weitgehend rar, auf ein viertes Album warten die Fans bisher vergeblich.

Zum Fußball auf hohem Niveau fand Sefyu indes nie zurück. "Erst kürzlich hat er (Alou Diarra, d. Red.) gemeint, ich sei ein wenig fett geworden", sagt er vielsagend. Ob er es bereut, sein Talent an der Kugel letztlich nicht genutzt zu haben? "Ich sage immer, dass man nichts bedauern sollte", erklärte er vor einigen Jahren bei SoFoot . Natürlich sei Fußball weiterhin seine zweite große Leidenschaft, er schaue viele Spiele, ab und zu auch im Stadion. "Ich bereue jedenfalls nicht, mit Rap Karriere gemacht zu haben. Ich liebe, was ich tue."

Und, das macht ihn besonders stolz: "Wir haben das Glück, heute viele Fußballer zu haben, die viel Musik hören. Letztlich sind wir sehr stark miteinander verbunden." Die Symbiose mehrerer Talente war eben schon immer das, was Sefyu ausmacht.

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