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Schalke 04 - "Emotionaler Schaden", Spieler-Abwanderung und Finanz-Debakel: Königsblaue Brennpunkte


HINTERGRUND

Am vergangenen Dienstag schrieb der FC Schalke 04 wohl eines der verheerendsten Kapitel seiner langen Vereinsgeschichte. Der vierte Abstieg aus dem deutschen Oberhaus wurde durch ein 0:1 in Bielefeld besiegelt, im Nachgang spielten sich an der Schalke Arena beängstigende Szenen ab.

Ein Video, das auf Twitter die Runde machte, dokumentierte nur im Ansatz, was sich zutrug, davoneilende Personen waren auszumachen, Gebrüll und Beleidigungen zu vernehmen. Wenige Stunden später verbreiteten sich via WhatsApp diverse Sprachnachrichten, in denen angebliche Augenzeugen über die körperlichen Angriffe auf Schalker Verantwortliche sprachen, die später von Sportvorstand Peter Knäbel und Teammanager Gerald Asamoah bestätigt wurden.

Die Tobsucht vereinzelter Anhänger gegen die eigene Mannschaft, die sich in der Nacht Bahn gebrochen hatte, bildete dabei den traurigen Höhepunkt einer desaströsen Saison. Wie geht es mit Blick auf die Spieler, den Trainer und die finanzielle Situation in der 2. Bundesliga weiter?

Schalke: Fan-Aggression sorgt für "emotionalen Schaden"

Schalke-Ikone Asamoah trat auf der Bielefelder Alm vor die Sky-Kameras, als auch das letzte Quäntchen Hoffnung gestorben war. Mit Tränen in den Augen gab er tiefe Einblicke in seine Gefühlswelt: "Wir wussten schon, was auf uns zukommt. Aber wenn man jetzt merkt, es ist vorbei, dann ist das schon brutal."

Noch schlimmer dürfte Asamoah das getroffen haben, was im Rahmen der Rückkehr nach Gelsenkirchen auf ihn und die anderen S04-Protagonisten wartete. Bei einer Presserunde am Mittwoch sprach der ehemalige Nationalspieler über die Ereignisse am Schalker Stadion. "Mir geht es immer noch nicht so gut", erklärte er und verriet: "Ich selber bin nicht geschlagen worden. Ich habe verschiedene Bilder im Kopf: Ein Mitarbeiter lag auf dem Boden und wurde getreten."

FC Schalke 04 AsamoahGetty Images

Zudem werde er "Bujos Angst in den Augen" nie vergessen, sagte Asamoah mit Blick auf Co-Trainer Mike Büskens. Tags zuvor hatte bereits ein Spieler, der anonym bleiben wollte, bei Sport1 gesprochen. "Die Fans sind auf uns losgegangen. Wir sind ab dann nur noch gerannt. Das war Angst, pure Angst!", schilderte er. "Ich bin schockiert und weiß nicht, wie wir die nächsten Spiele noch bestreiten sollen."

Besagter Profi beklagte, dass er und seine Teamkollegen überhaupt erst mit der brenzligen Situation konfrontiert worden waren. "Es hieß vom Verein, dass es nur einen kurzen Austausch geben wird. Die Polizei hat währenddessen unten gewartet." Aus dem vermeintlichen Austausch entwickelte sich jedoch eine Hetzjagd.

Dass die Polizei "unten" wartete und eben nicht mit aufs Gelände fuhr, hinterfragte auch Knäbel, der am Mittwoch neben Asamoah ebenfalls Stellung zu den Vorkommnissen bezog. "Warum die Polizei nicht mit reingefahren ist, ist eine Frage, die wir nochmal intern aufarbeiten müssen." Knäbels Angaben zufolge seien die Betroffenen, abgesehen von "blauen Flecken und kleineren Verletzungen", weitestgehend wohlauf. Der ehemalige HSV-Chef ergänzte aber vielsagend: "Ich glaube, der emotionale Schaden ist größer."

Dementsprechend gingen die Königsblauen auch nicht zur gewohnten Tagesordnung über. An Trainingseinheiten war bislang nicht zu denken. Die abstoßenden Szenen, für die nur einige wenige verantwortlich zeichneten, werden mit Sicherheit noch lange nachhallen.

Schalke 04: Der Kader steht vor Mega-Umbruch

Nach der 0:1-Niederlage in Bielefeld trotteten die Spieler mit hängenden Köpfen prompt in die Kabine, nur Timo Becker, der im Alter von zehn Jahren in den Knappen-Nachwuchs gewechselt war, blieb, vergrub sein Gesicht in den Händen, weinte bitterlich auf der Auswechselbank.

Er dürfte einer der wenigen Spieler aus der aktuellen Mannschaft sein, die auch in der kommenden Saison für Schalke auflaufen werden. Der Kader wird einen extremen Umbruch erleben. Bastian Oczipka und Benjamin Stambouli besitzen laut WAZ-Informationen nicht einmal einen gültigen Vertrag für die 2. Liga, Leihspieler wie Sead Kolasinac, Goncalo Paciencia oder Frederik Rönnow kehren zu ihren jeweiligen Vereinen zurück, die Arbeitspapiere von Shkodran Mustafi, Alessandro Schöpf und Nabil Bentaleb laufen aus.

Allzu viel Geld aus Ablösesummen winkt den Gelsenkirchenern nicht. Omar Mascarell sagte in der AS, er wolle "woanders ein neues Abenteuer" suchen, Suat Serdar, dessen Vertrag noch bis 2022 gültig ist, könnte immerhin noch einen verhältnismäßig hohen Betrag generieren. Dafür müsste er allerdings nach der Saison gehen.

BENJAMIN STAMBOULI SCHALKEGetty Images

Aus der Tatsache, nicht ewig auf Schalke bleiben zu wollen, machte er jüngst ohnehin keinen Hehl. "Langfristig möchte ich möglichst dauerhaft Champions League spielen und Titel gewinnen", sagte er der SportBild. Die Knappen sind auf Verkäufe angewiesen, dessen sind sich mögliche Abnehmerklubs bewusst, was S04 in eine missliche Verhandlungslage bringt.

In Zukunft muss der Trainer auf Eigengewächse wie Becker oder Malick Thiaw setzen, der zu den wenigen Lichtblicken des Teams in dieser Saison zählte. Zudem kehrt mit Danny Latza ein erfahrener Akteur an seine alte Wirkungsstätte zurück, auch Ahmed Kutucu plant nach seiner Leihe bei Heracles Almelo, ab Sommer wieder für Schalke aufzulaufen.

Knäbel wolle in den kommenden Tagen und Wochen Gespräche mit den Spielern und deren Beratern führen, um die Zukunft auszuloten. "Wir brauchen eine gute Mischung aus Jung und Alt. Wir müssen sehr viel tun, aber auch schauen, dass es passt. Der Umbruch ist sehr groß", sagte er in einem Interview mit dem vereinseigenen Sender.

Schalke: Knäbel setzt öffentlich auf Grammozis – sitzt der Trainer tatsächlich fest im Sattel?

Dimitrios Grammozis wusste Anfang März, dass er ein havarierendes Schiff übernehmen würde. Der ehemalige Darmstadt-Trainer stellte sich der Aufgabe, obwohl die Gefahr, damit seinen eigenen Ruf aufs Spiel zu setzen, sicherlich nicht klein war.

In sieben Spielen holte er mit dem abgeschlagenen Tabellenletzten lediglich vier Punkte, fuhr dabei aber immerhin einen Sieg ein. Etwas, das drei seiner Vorgänger in dieser Saison, namentlich David Wagner, Manuel Baum und Huub Stevens (saß lediglich für zwei Partien auf der Trainerbank) nicht gelungen war.

Nun, nach dem feststehenden Abstieg, hat der gebürtige Wuppertaler noch vier Bundesliga-Spiele vor der Brust, in denen es darum geht, die sportliche Würde zu wahren – und Grammozis mit Blick auf die kommende Spielzeit in ruhigere Gewässer zu manövrieren. "Wir werden uns so gut wie möglich auf die Spiele vorbereiten und nochmal alles geben, damit wir den Verein würdig in diesen letzten Spielen vertreten", sagte er.

Sportvorstand Knäbel stärkte dem 42-Jährigen vor wenigen Wochen den Rücken. Er sagte im Interview mit Sky: "Wir haben Dimitrios Grammozis auch deswegen angestellt, weil er die zweite Liga kennt. Von daher ist klar, dass wir mit ihm auch das Szenario zweite Liga planen." Grammozis, der einen Vertrag bis 2022 besitzt, soll also längerfristig Schalke-Coach bleiben.

Doch was geschieht, wenn er die ausstehenden vier Begegnungen ähnlich sang- und klanglos verliert wie die vergangenen beiden Duelle mit Freiburg und Bielefeld? Im Vorfeld der Saison hatte Sportvorstand Jochen Schneider, mittlerweile nicht mehr für Schalke tätig, an Wagner festgehalten, obwohl dieser in der vorangegangen Spielzeit satte 15 Spiele im deutschen Oberhaus nicht gewonnen hatte. Zwei deutliche Pleiten zum Auftakt besiegelten schließlich Wagners Aus.

DIMITRIOS GRAMMOZIS SCHALKEGetty Images

Es droht zumindest die Gefahr, dass Grammozis ähnlich gebrandmarkt in die neue Saison geht. Gemäß dem Fall, er geht mit seinem Team auch im Endspurt jedes Mal leer aus, stünden vier Zähler aus elf Spielen zu Buche. Baum musste mit derselben Anzahl an Punkten schon nach zehn Bundesliga-Spielen seinen Hut nehmen, Nachfolger Christian Gross wurde mit fünf Punkten aus zehn Partien geschasst.

Sprich: Wenn Grammozis mit einer derart mäßigen Ausbeute in die zweite Liga mitgeht und der Start im Unterhaus misslingt, könnte schon der nächste Trainer-Wechsel ins Haus stehen.

Schalkes massiver Schuldenberg

Die Corona-Pandemie hat bei etlichen Klubs eine finanzielle Verwüstungsschneise hinterlassen, wohl kaum ein Verein wurde aber so hart von der Krise getroffen wie Schalke. Finanzvorständin Christina Rühl-Hamers stellte Anfang April die dramatischen Geschäftszahlen vor, gab bekannt, dass 2020 ein Verlust in Höhe von 53 Millionen Euro ins Kontor schlug. Im coronafreien Vorjahr waren es noch 27 Millionen Euro.

Der Umsatz schrumpfte im Vergleich zum Vorjahr um hundert Millionen Euro und betrug letztlich "lediglich" 175 Millionen Euro. Der gesamte Schuldenberg beläuft sich mittlerweile auf insgesamt 217 Millionen Euro.

Aufgrund der misslichen Lage mussten zuletzt gar Bauprojekte am Vereinsgelände eingestellt werden. "Die weiteren Teilprojekte wie das Tor auf Schalke sowie das Gebäude mit Profi- und Nachwuchsleistungszentrum sowie der Geschäftsstelle werden nicht mehr umgesetzt", verriet Rühl-Hamers. Schalke muss an allen Ecken und Enden sparen, lediglich der Etat für die prestigeträchtige und berüchtigte Knappen-Schmiede blieb vorerst unberührt.

Die Zukunft sieht düster aus, in der zweiten Liga wird längst nicht so viel Geld umgesetzt wie in der Beletage, vor allem die TV-Einnahmen werden deutlich geringer ausfallen. Selbst auf die wirtschaftliche Situation der Stadt hat der Abstieg offenbar negativen Einfluss: Die Industrie und Handelskammer (IHK) Nord Westfalen rechnet laut Bild-Zeitung mit einem Minus in Millionenhöhe für die Wirtschaft Gelsenkirchens – vor allem, weil Schalke mitgeteilt habe, dass Investitionstätigkeiten, bei denen heimische Unternehmen eingebunden sind, zurückgestellt oder gänzlich gestrichen werden sollen.

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