Ein Sommer ohne Trainerwechsel ist ein verschenkter Sommer – so zumindest scheint man in den letzten Jahren beim FC Schalke 04 gedacht zu haben. Nach Roberto Di Matteo (2015) und Andre Breitenreiter (2016) musste nun auch Markus Weinzierl nach nur einer Saison seinen Stuhl räumen. Platz zehn in der Bundesliga und das Viertelfinal-Aus in der Europa League zwangen Sportvorstand Christian Heidel dazu, den Ex-Augsburger vor die Tür zu setzen.
Nun hat der 31-jährige Trainer-Rookie Domenico Tedesco die Aufgabe, Königsblau zurück ins internationale Geschäft zu führen und ohnehin alles besser zu machen als seine chronisch erfolglosen Vorgänger.
Goal führt vier Gründe auf, warum S04 eine erfolgreiche Saison spielt – und stellt vier Gründe dagegen.
Der FC Schalke 04 spielt eine herausragende Saison, weil ...
… weil Leon Goretzka weiter das königsblaue Trikot trägt. Es mag gewagt klingen, den Erfolg einer kompletten Spielzeit von nur einem Spieler abhängig zu machen, doch es ist gut möglich, dass die Bundesliga in dieser Saison endgültig vom Goretzka-Fieber gepackt wird. Nach dem überragenden Confed-Cup wird der 22-Jährige auf Schalke als neuer Vize-Kapitän noch mehr Verantwortung übernehmen. Nicht zu Unrecht hofft man bei den Knappen, dass der Ex-Bochumer den nächsten Schritt macht und zeigt, dass er zu den größten Persönlichkeiten der Liga gehört.
… weil das Team von der fehlenden Doppelbelastung profitiert. Seit der Saison 2009/10 wird Schalke in diesem Jahr erstmals nicht im internationalen Wettbewerb vertreten sein – ein herber Schlag für diesen riesigen Klub und seine Anhänger. Sucht man allerdings positive Effekte des Scheiterns, stößt man schnell auf die fehlende Doppelbelastung. Speziell im letzten Jahr tat sich Königsblau in den Partien nach den Europa-Reisen extrem schwer und ging auch personell auf dem Zahnfleisch. Statt zahlreichen englischen Wochen gibt es in Gelsenkirchen nun viel mehr Zeit auf dem Trainingsplatz. Wo das hinführen kann zeigt die Vergangenheit, denn als S04 zuletzt nicht in Europa vertreten war, stand das Team am Saisonende auf Rang zwei.
… weil endlich ein Trainer mit Plan an der Linie steht. Über die Geschichten von Schalke und seinen Trainern könnte man wahrlich ganze Bücher füllen. Wie in den letzten drei Jahren wechselte der Klub auch in diesem Sommer den Übungsleiter – und auch diesmal herrscht vor allem eines: Euphorie. Doch während dieses Hochgefühl zuletzt meist nicht länger als ein paar Monate anhielt, könnte es diesmal tatsächlich anders werden. Mit Tedesco geht der Klub einen neuen Weg und setzt dabei nicht etwa auf große Namen, sondern auf geballte Kompetenz. Diese Kompetenz und seine menschlich erfrischende Art scheinen nach den Eindrücken der Vorbereitung perfekt ins Ruhrgebiet zu passen.
… weil Heidels Zugänge endlich einschlagen. Mit der Verpflichtung von Sportvorstand Heidel veränderte sich auf Schalke so einiges. Neben der Infrastruktur und dem Trainer vor allem auch der Kader der Profimannschaft. Doch aus verschiedenen Gründen konnte kaum ein Neuzugang voll überzeugen. Spieler wie Benjamin Stambouli und Yevhen Konoplyanka wurden gar als Flops abgestempelt. Mit Blick auf die zurückliegende Vorbereitung könnten sich diese vermeintlichen Fehlgriffe nun als echte Verstärkungen erweisen. Während Stambouli vor allem in neuer Rolle als Innenverteidiger glänzte, scheint Konoplyanka als Linksaußen gesetzt zu sein. Hinzu kommt auch die Rückkehr von Breel Embolo, der vor Jahresfrist noch als Königstransfer gefeiert wurde, dann aber wegen einer schweren Verletzung fast die komplette Spielzeit verpasste.
getty ImagesDer FC Schalke 04 wird Probleme bekommen, weil ...
… weil es gefühlt jedes Jahr so ist. Erwartung und Realität klafften beim FC Schalke in den letzten Jahren so weit auseinander wie nirgendwo sonst. Nach einer erfolgreichen Vorbereitung und einem guten Saisonstart ist Königsblau für viele Anhänger wieder sicherer Champions-League-Kandidat. Dabei brauchen neue Mechanismen Zeit – da hilft selbst ein Trainer wie Tedesco nicht.
… weil die Nebengeräusche zu laut sind. Schon in der Vergangenheit wurde auf Schalke fast häufiger über Transferthemen gesprochen als die sportliche Entwicklung. Dieser Trend scheint sich auch aktuell fortzusetzen, denn mit Leon Goretzka und Max Meyer stehen zwei der begehrtesten Youngster Europas vor einem möglichen Abschied im Sommer 2018 – die Verträge beider Mittelfeldjuwelen laufen aus. Schafft es Heidel nicht, frühzeitig für klare Verhältnisse zu sorgen, droht nicht nur der Verlust von viel sportlicher Qualität, sondern auch ein ewiges Theater mitsamt vieler störender Nebengeräusche.
… weil der Klub offensiv von Guido Burgstaller abhängig ist. Wo wäre Schalke ohne Guido Burgstaller gelandet? Dank zwölf Treffern in 25 Pflichtspielen war der Winter-Zugang in der Rückrunde nicht weniger als die Lebensversicherung des Klubs. Auch in der kommenden Spielzeit ruhen die Hoffnungen in erster Linie auf dem Österreicher, doch ob der 28-Jährige seine Top-Quote halten kann ist fraglich. Trifft Burgstaller nicht, fehlen Schalke die Alternativen, denn auch vom wiedergenesenen Embolo oder Franco Di Santo darf man keine 20 Treffer erwarten.
… weil die Abgänge von Huntelaar und Kolasinac nicht zu kompensieren sind. In den letzten Jahren wurde offensichtlich, dass Schalke Probleme hat, seine Stars zu halten. Nach Julian Draxler, Leroy Sane und Joel Matip verließ nun auch Sead Kolasinac das Ruhrgebiet und heuerte beim FC Arsenal an. Doch damit nicht genug: Auch gestandene Spieler wie Torjäger Klaas-Jan Huntelaar wurden vom Hof gejagt. Mit Blick auf die letzte Saison ist man geneigt zu behaupten, letzterer sei kein großer sportlicher Verlust. Doch Fakt ist, dass gerade Huntelaar innerhalb der Mannschaft enorm angesehen war. Zusätzlich war er als zweitbester Torjäger der Vereinsgeschichte eines der Gesichter und Identifikationsfigur. Ähnliches gilt für Kolasinac, der zwar lange keine Vereinslegende ist, mit seiner Einstellung und seinen Leistungen aber ebenfalls absolute Identifikationsfigur des Kumpel- und Malocherklubs war – diese sportlich und menschlichen Lücken zu füllen wird schwerer, als so mancher glaubt.


