HINTERGRUND
Acht Pflichtspieleinsätze in sieben Jahren: Patrick van Aanholts Bilanz beim FC Chelsea mutet ernüchternd an. Dabei hatte 2007 alles so verheißungsvoll begonnen. Das niederländische Top-Talent wechselte damals mit dem Traum von der großen Karriere aus Eindhoven nach London, hoffte bei den Blues auf den Durchbruch.
Doch sein Engagement beziehungsweise Nicht-Engagement an der Stamford Bridge entwickelte sich zu einem Desaster, das den Niederländer an sich selbst und seinem Traum zweifeln ließ - und beinahe eine frühe Beendigung der Fußballerlaufbahn zur Folge gehabt hätte.
Getty ImagesZwei Jahre nach seinem Transfer von der PSV zum CFC schaffte er zwar den Schritt zu den Profis, aufgrund der qualitativ hochwertigen Konkurrenz entschied sich der Hauptstadtklub jedoch dazu, sein Juwel zunächst zu verleihen. Van Aanholt sollte in Englands zweiter Liga Spielpraxis sammeln. Zunächst bei Coventry City, ein halbes Jahr und 20 Einsätze später ging es weiter nach Newcastle, wo er einen Monat lang den verletzten Jose Enrique kurzfristig ersetzte.
Patrick van Aanholt: Acht Chelsea-Einsätze in einem Jahr
Ende Februar 2010 kehrte er zu Chelsea zurück, verbrachte den Großteil der Zeit jedoch bei der Reserve oder auf der Bank, ehe er im März sein Debüt bei der ersten Mannschaft feierte.
Besagte acht Partien für Chelsea, in denen schließlich insgesamt 299 Spielminuten zu Buche standen, sammelte er binnen eines Jahres. Dass er am 9. Januar 2011 letztmals das Blues-Trikot tragen, in der Folge aber noch dreieinhalb weitere Jahre bei den Londonern unter Vertrag stehen würde, war seinerzeit nicht abzusehen.
Leihe bei Wigan Athletic entwickelt sich zum "schlimmsten" Schritt
Im Winter 2011 folgte eine erneute Leihe, diesmal heuerte van Aanholt für eine halbe Saison beim damals noch zweitklassigen Leicester City FC an, im Anschluss an die Spielzeit erhielt mit Wigan Athletic erstmals ein Premier-League-Verein den Leihzuschlag für den Defensivmann. Ein Schritt, den van Aanholt mittlerweile als "den schlimmsten" in seinem Leben bezeichnet.
Getty"Alles, was schief gehen konnte, ging schief", sagte er im Interview mit The Athletic mit Blick auf seine Zeit in Wigan. "Ich bin von einem großen Klub nach Wigan gegangen und habe erwartet, dass ich spiele." Er spielte zunächst. Aber: "Dann gab es eine Länderspielpause, ich kam zurück und spielte keine Minute mehr. Ich war weder auf der Bank, noch unterwegs mit dem Team. Das war ein Killer. Das ist eine mentale Sache."
Van Aanholt: "Ich wusste nicht, was ich tun sollte"
Van Aanholt verbrachte eigenen Angaben zufolge die meiste Zeit zu Hause. "Du spielst nicht, dein Kopf ist woanders, du weißt nicht, was du tun sollst. Man streitet sich mit seiner Freundin, weil man nicht spielt und nicht gut trainiert. Ich war jung und wusste nicht, was ich tun sollte."
Bei seiner Analyse gibt sich van Aanholt durchaus auch selbstkritisch. "Wenn ich jetzt daran zurückdenke, ist es meine Schuld wie auch die des Cheftrainers (der heutige belgische Nationaltrainer Roberto Martinez, Anm. d. Red.)", sagt van Aanholt. "Er hat mich nicht eingesetzt, aber ich habe im Training auch nicht genug gezeigt."
Nach sechs Monaten endete seine Zeit bei Wigan jäh. Van Aanholt sei "einfach gegangen", ohne sich zu verabschieden. "Im Januar habe ich meine Sachen gepackt und war bereit zu gehen. Ich rief Chelsea an und sie sagten: 'Okay, komm zurück.'"
FC Chelsea schickte van Aanholt gegen seinen Willen zu Vitesse Arnheim
Doch Chelsea fand - mal wieder - keine Verwendung für den Verteidiger, schickte ihn gleich weiter (natürlich per Leihe) zu Kooperationsverein Vitesse Arnheim. Und das, obwohl van Aanholt gerne bei einem anderen Klub aus seinem Heimatland gespielt hätte, wie er verrät.
"Michael Emenalo war der Technische Direktor bei Chelsea. Ich habe ein paar Mal mit ihm gesprochen. Ich schrie ihn an! Als meine Leihe bei Wigan beendet war, hatte ich eine Vereinbarung, zum FC Twente zu wechseln, der in der niederländischen Liga ganz oben war. Steve McLaren war Trainer und ich wollte für ihn spielen. Er wollte mich so sehr, dass ich dachte: 'Cool!'"
imago imagesAus dem Twente-Deal wurde allerdings nichts: "Michael Emenalo rief mich an und sagte mir, ich müsse zu Vitesse gehen. Ich sagte: 'Nein, ich will nicht zu Vitesse, ich will zu Twente.' Er sagte: 'Nein, du musst zu Vitesse gehen.' Ich habe es akzeptiert."
Ein erneutes Intermezzo, das van Aanholt nicht nachhaltig weiterbrachte, in der Rückrunde der Saison 2011/12 kam er lediglich in neun Eredivisie-Begegnungen zum Einsatz. "Ich rief Michael an und sagte: 'Hör zu, ich musste deinetwegen zu Vitesse und nun wirst du dafür sorgen, dass ich spiele. Er sagte, er würde den Manager anrufen, aber es hat am Ende nicht funktioniert."
Van Aanholt: "Ich war bereit, meine Karriere zu beenden"
Die Bedenken wuchsen, van Aanholt stellte alles infrage: "Ich habe meinen Kopf verloren, ich hatte Probleme auf und neben dem Spielfeld. Es gab zu dieser Zeit viele familiäre Probleme, es wurde mir alles zu viel."
Selbst ein Karriereende mit gerade einmal 21 Jahren erschien als denkbares Szenario: "Es war ein Jahr ohne Spielpraxis und ich überlegte: 'Welcher Verein wird mich danach noch wollen?' Ich war bereit, meine Karriere zu beenden und aufzuhören. Ich sagte meiner Frau: 'Ich will nicht mehr spielen. Ich höre auf.'" Sowohl van Aanholts Frau als auch sein Berater ermutigten den Youngster, weiterzumachen.
Er machte weiter. Ausgerechnet in Arnheim, dort, wo er beinahe einen folgenschweren Entschluss gefasst hätte, nahm van Aanholts Karriere erstmals seit langer Zeit Fahrt auf.
"Sie wollten mich zurück, weil sie einen neuen Trainer hatten. Ich dachte: 'Ich will nie wieder hierherkommen.' Ich hatte seit sechs Monaten nicht mehr gespielt, was ich also dort?' Ich war im Urlaub, fühlte mich hoffnungslos." Neu-Coach Fred Rutten überzeugte ihn von einem Verbleib und setzte vollumfänglich auf van Aanholt, der das Vertrauen zurückzahlte und zum Leistungsträger avancierte.
Getty ImagesZwei Jahre später, im Sommer 2014, also sieben Jahre nach seinem Chelsea-Wechsel, entschlossen sich die Blues dazu, van Aanholt endgültig abzugeben. Der AFC Sunderland zahlte rund zwei Millionen, Crystal Palace war er im Winter 2017 das fünffache wert.
Van Aanholt, heute 30 Jahre alt, hat sich zu einem gestandenen Profi gemausert. Für die niederländische Nationalmannschaft, mit der er aktuell um den EM-Titel kämpft, hat er mittlerweile doppelt so viele Spiele vorzuweisen wie für den FC Chelsea.
