KOLUMNE
Markus Gisdol wirkte gereizt. Seine Mannschaft hatte gerade nicht nur 0:2 gegen RB Leipzig verloren, sondern mit Filip Kostic und Rick van Drongelen zwei weitere Stammkräfte. Wie lange die beiden ausfallen würden, wusste Gisdol zum Zeitpunkt der Pressekonferenz nach dem Spiel noch nicht. Aber allein der Umstand, schon wieder umstellen und beim Blick auf die Bank auf keine adäquate Alternative blicken zu müssen, löste sehr viel Frust in ihm aus.
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Zunächst klagte er in noch sehr ruhigem Ton über die langen Reisen seiner Nationalspieler und die Ansetzung des Spiels. Dann sprach er davon, dass es "ein bisschen eng" sei, wenn mehrere Spieler ausfallen. Und schließlich platzte es beim Thema Eurosport und der erneut aufgetretenen Übertragungsprobleme aus ihm heraus. Es wirkte so, als ob sich dieses Thema geradezu anbot, um dem Frust ein wenig freien Lauf zu lassen. Die gereizte Stimmung hatte jedoch andere Ursachen. Eurosport diente - so mein Eindruck - nur als Ventil.
Müller, Hunt, Kostic und van Drongelen fallen aus
Denn die wirklich entscheidende Frage kam erst danach: Ob er in Anbetracht des recht dünnen Kaders ausschließen würde, sich mit vertragslosen Spielern zu verstärken? "Wir haben einfach nicht so viele Spieler. Das ist bekannt. Dass wir das anders lösen wollten, ist auch bekannt. Dass es uns nicht gelungen ist, ist auch bekannt. Jetzt leben wir mit der Situation, wie sie ist. Es wird immer wieder mal knapp sein", antwortete der 48-Jährige. Außerdem habe man ja noch ein paar Talente in der Hinterhand. Laut offizieller Sprachregelung sei der Kader bewusst verkleinert worden, um möglichst vielen jungen Spielern Einsatzzeiten zu garantieren.
Allerdings ist das nur die halbe Wahrheit. Bekannt ist, dass Gisdol über die Köpfe von Vorstandsboss Heribert Bruchhagen und Sportchef Jens Todt hinweg bei Investor Klaus-Michael Kühne seine Forderung nach Verstärkungen zum Ausdruck brachte. Beliebter gemacht hat ihn das innerhalb des HSV sicher nicht. Nun, da ein Schlüsselspieler nach dem anderen wegbricht und abzusehen ist, dass der ohnehin schon spielerisch limitierte Kader und die kräftezehrende Spielweise ihre Opfer fordern wird, hat er für den Fall einer Negativ-Serie mit mehreren Niederlagen in Folge ein perfektes Alibi.
Für die verfehlten Ziele in der Kaderplanung könnte man viele Ursachen und Verantwortliche nennen. Zum Beispiel die finanzielle Hinterlassenschaft von Ex-Klubchef Dietmar Beiersdorfer. Oder den Aufsichtsrat, der dem Treiben viel zu lang tatenlos zusah und erst nach Beiersdorfers Ausscheiden auf die Idee kam, Vorstand und Sportchef mit der Auflage zu belegen, die aus dem Ruder gelaufenen Personalkosten zu senken. Kühne und seine Berater will ich in dieser Aufzählung ebenfalls nicht unerwähnt lassen. Es wird aber wie immer das schwächste Glied der Kette treffen. Und das ist in diesem Fall Jens Todt.
Der 47-Jährige hat schon von Beginn an keine besonders starke Stellung innerhalb des HSV einnehmen können. Nach den Aussagen Kühnes im Sommer, Todt sei bemüht, es fehle jedoch ein Schuss Genialität, hat sich sein Standing eher verschlechtert als verbessert. Zudem herrschte große Verwunderung darüber, dass er während der Transferperiode zum Familienurlaub nach Südfrankreich aufbrach. Angeblich habe er sich dort auch mit Beratern getroffen. Dennoch ist das Timing des Urlaubs mit "unglücklich" noch sehr wohlwollend umschrieben.
Hamburger Zickzackkurs
Allerdings bin ich weit davon entfernt, Todt an den Pranger zu stellen. Im Gegenteil. Meine persönlichen Erwartungen an ihn und seine Arbeit nicht besonders hoch, weil ich aus zahlreichen Gesprächen mit Beratern um das schlechte Image des HSV in der Szene weiß. Wirklich gute Spieler zieht es woanders hin. Es sei denn, in Hamburg winkt der Vertrag es Lebens. Darüber hinaus hat er sich in seiner Karriere aber auch nicht als großer Sportchef hervorgetan. Die Erfolge bei seinen vorherigen Stationen waren überschaubar.
Beim HSV bewegt sich Todt in einem ambivalenten Spannungsverhältnis zwischen Bruchhagen und Teilen des Aufsichtsrates, die einen Sparkurs für überlebenswichtig halten; auf der anderen Seite stehen Gisdol und Kühne, die sich einen deutlich stärkeren Kader gewünscht haben. Lange Zeit war unklar, welchen Weg der HSV in diesem Sommer gehen würde. Heraus kam ein Mittelweg, ein Mix aus beidem. Weder Fisch noch Fleisch.
Wahrscheinlich wird der HSV in den nächsten Wochen darauf verzichten, einen vertragslosen Spieler dazu zu holen. Ich sehe ehrlich gesagt auch niemanden, dessen Verpflichtung wirklich Sinn machen würde. Das bedeutet allerdings auch, dass Gisdol die anstehenden Herausforderungen mit den verbleibenden Spielern lösen muss. Was er von diesem Kader hält, wird er in seiner Mail an Kühne vor einigen Wochen deutlich zum Ausdruck gebracht haben. Gehen die nächsten Spiele in die Hose und der HSV rutscht in der Tabelle ab, wird der Druck automatisch größer werden. Vor allem auf Todt.
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