OGC Nizza: Lucien Favre mitten im Chaos - 200 Millionen Euro für Transfers, Co-Trainer wütet, Chef wollte Chelsea

Als gäbe es nicht schon genug schlechte Nachrichten, musste sich Lucien Favre in den letzten Tagen auch mit Justizfragen beschäftigen. Weil sein Co-Trainer Arjan Peço vor dem Liga-Spiel in Ajaccio eine Rezeptionistin im Teamhotel unangemessen behandelt haben soll und nun laut korsischen Medien eine Anzeige am Hals hat, musste Favre nun auch hier zur Stelle sein.

Peço ist ein von Favre durchgedrückter Assistent, den er auch zu Borussia Mönchengladbach holen wollte. In der Saison 1999/2000 war er gar Trainer von Peço in Yverdon. Wenn die Ermittlungen abgeschlossen sind und es genügend Indizien für eine Anklage gibt, könnte Favre bald ohne Co-Trainer dastehen. Wobei an dieser Stelle auch die Frage gestattet ist, ob Favre dann überhaupt noch einen Co-Trainer braucht, wenn er selbst keinen Job mehr hat.

Der Schweizer war zu Saisonbeginn zu OGC Nizza zurückgekehrt. Dort, wo er bei seiner ersten Ankunft sensationell Dritter in der Saison 2016/17 wurde. Seither verehren ihn die Fans, doch der Klub hat sich seither grundlegend verändert. 2019 stieg der Chemiekonzern Ineos bei Nizza ein und folgte den zahlreichen Vorbildern in England, Italien und Frankreich.

"Dass sich Ineos unseres Fußballvereins annimmt, ist ein großer Schritt vorwärts, nicht nur für uns, sondern auch für die französische Liga", sagte Favres Nachfolger Patrick Vieira, der damals mehr nach Marketingchef als nach Fußball-Lehrer klang: "Die Marke Ineos ist so bekannt. Sie wird unseren Ehrgeiz beflügeln. Wir haben erfahrene Leute, die in der Geschäftswelt erfolgreich waren."

Nizza gab mehr als 200 Millionen Euro für Transfers aus

Flügel bekam dann auch Vieira und musste gehen, als er nicht gleich Erfolg hatte. Für seinen Nachfolger zahlten die neuen Bosse gleich mal fünf Millionen Euro Ablöse: Christophe Galtier kam von Meister OSC Lille, doch die Investition ist ein Bruchteil von dem, was Nizza seit dem Einstieg der Investoren an Ablösen bezahlt hat. In diesem Sommer übertraf man die 200-Millionen-Euro Grenze.

"Mit einem vernünftigen Investment wollen wir es ermöglichen, dass sich Nizza regelmäßig für europäische Wettbewerbe qualifiziert", sagt Jim Ratcliffe, Chef des Investors und angeblich der reichste Engländer der Welt. Es ist nicht sein erster Invest in den Sport.

GERMANY ONLY: LUCIEN FAVRE NICEGetty Images

2017 kaufte er den Schweizer Klub FC Lausanne. Er ist auch Investor des Radsportteams Sky. Formel-1-Fans dürften sein Unternehmen von den Aufklebern auf den Mercedes-Boliden kennen. Doch Geld heißt nicht gleich Erfolg – und Ratcliffe gab einst zu: "Bei Lausanne haben wir einige Fehler gemacht, aber wir lernen schnell. Diese Fehler wurden berichtigt und die Vorteile sind bereits erkennbar."

Fehler, die vor allem durch Personalwechsel berichtigt wurden. Und auch in Nizza scheut man sich nicht vor dem Tausch der Angestellten. Favre ist schon der dritte Trainer der Ineos-Ära. Doch weitreichender war der Wechsel in der sportlichen Führung: Nach elf Jahren im Klub ging mit Julien Fournier der sportliche Macher überhaupt.

Ex-Bayern-Profi Dante kritisiert den Klub

Fournier hatte immer größere Probleme, sich den neuen Gegebenheiten anzupassen und verlor mit Präsident Jean-Pierre Rivère auch einen wichtigen Fürsprecher, der sich vollends dem neuen Weg anpasste und Fournier nicht mehr weiter zuhörte. Als Fournier dann fast ein Hass-Verhältnis zu Galtier entwickelte, war es klar, dass es für ihn keine Zukunft mehr im Klub gibt.

Mit Fourniers Weggang verabschiedete sich aber auch die sportliche Kompetenz. Transfers, die gemacht werden sollten, wurden annulliert. Das Vakuum machte sich bemerkbar, sodass Nizza auf dem Transfermarkt trotz eines Ausgabevolumens in Höhe von 70 Millionen Euro nicht so wirkte, als hätte man einen Plan. Viele Transfers kamen sehr spät.

"Es gab Abgänge im Verein, die uns wehgetan haben. Und heute spürt man das. Der Verein ist immer noch auf der Suche nach einem Sportdirektor. Jemand, der den Trainer unterstützt", schimpfte zuletzt Dante. Der frühere Verteidiger des FC Bayern ist noch ein Überbleibsel aus der ersten Favre-Zeit und spricht das aus, was viele im Umfeld des Klubs denken.

Daher kann Dante auch nicht verstehen, dass für die sportliche Krise in Nizza nun Favre verantwortlich gemacht wird. Nach acht Spieltagen ist die Bilanz in der Tat katastrophal: Zwei Siege, zwei Unentschieden und vier Niederlagen stehen zur Buche. Es gab noch keinen Heimsieg und die beiden bislang erzielten Dreier muss man auch mit Vorsicht genießen: Gegen Lille war viel Glück dabei, Ajaccio ist Tabellenletzter.

Nizza-Investor wollte den FC Chelsea kaufen

Dass man auch in der ungeliebten Conference League in zwei Spielen erst zwei Punkte holte, ist den ambitionierten Investoren zu wenig. Sie wollen international glänzen – und das am liebsten sofort. Daher wollten sie auch unbedingt den FC Chelsea im Sommer kaufen, als der Klub nach dem Aus von Roman Abramovich zu haben war.

GERMANY ONLY: LUCIEN FAVRE NICEGetty Images

Dass man trotz unermesslicher Möglichkeiten das Nachsehen gegen Todd Boehly und seine Freunde hatte, verletzte offenbar einige Eitelkeiten. Dass Ratcliffe nun einen erneuten Anlauf bei Manchester United startet, überrascht nicht. Dass er Erfolg hat, würde dagegen schon überraschen, denn die Glazers wollen nicht verkaufen.

Daher lastet der Druck auf Nizza, dort Erfolg zu haben. Druck, der sich – wie so oft im Fußball – selten produktiv äußert und schon gar nicht bei einem Trainertypen wie Lucien Favre, der seit jeher als Denker und Entwickler gilt, anstatt etwas sofort und jetzt entstehen zu lassen. So wurde er während seiner ersten Zeit in Nizza erfolgreich, so hatte er in Zürich, Mönchengladbach und auch phasenweise in Berlin Erfolg.

Wird Mauricio Pochettino der Nachfolger von Lucien Favre?

Doch er ist auch schon gescheitert in seiner Karriere: beim BVB und womöglich jetzt auch wieder in Nizza. Es ist nicht sein Ding, einen unausgewogenen Kader zu trainieren, der förmlich danach schreit, Misserfolg zu haben, um dann von Leuten bewertet zu werden, die eigentlich vom Fach nichts wissen.

Als es zu Beginn der Länderspielpause ein klärendes Gespräch zwischen Klub und Trainer gab, saß auf der anderen Seite Dave Brailsford. Der Brite ist Sportchef des Konzerns und eine Koryphäe in der Welt des Radsports, aber er ist kein Fußball-Fachmann, muss aber gerade die Geschicke leiten, weil immer noch kein Nachfolger für Julien Fournier gefunden wurde.

Dass jetzt schon sehr konkret Mauricio Pochettino als Nachfolger von Favre gehandelt wird und dass auch durchsickert, dass der Argentinier Lust auf die Aufgabe hätte, ist kein gutes Zeichen für den Schweizer. Am Wochenende trifft er nun mit Nizza auf PSG – und damit auf den Klub, der seinen potenziellen Nachfolger im Sommer entlassen hat.

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