HINTERGRUND
Wie glücklich er an diesem Tag war, konnte wirklich jeder erahnen. Nach dem 2:0-Sieg von Borussia Dortmund ging Nuri Sahin das Lächeln nicht mehr aus dem Gesicht. Vor allem nicht, als er vor der großen Südtribüne auf- und absprang und lauthals mitgrölte: "Wer wird Deutscher Meister, BVB Borussia!" Es war der krönende Abschluss eines glorreichen Tages des türkischen Nationalspielers, der wie kaum ein anderer in diesen Tage seine Liebe zum Verein nach außen trägt. Seine Vorarbeit für Pierre-Emerick Aubameyang brachte den BVB gegen Hertha BSC auf den Weg, sein Tor sorgte für den Sieg. Er ließ das Theater der vergangenen Wochen rund um den Verein vergessen. Sahin ist wieder wichtig!
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Das kommt nicht von ungefähr. "Man sieht auf dem Platz, dass ich mein Niveau wieder erreicht habe", sagte Sahin. Er konnte erstmals seit Jahren eine Vorbereitung komplett und beschwerdefrei mitmachen. "Das tut meinem Körper sehr, sehr gut", sagte er noch vor dem Saisonstart. Doch nicht nur körperlich ist er wieder auf absolutem Topniveau. Auch mental hat sich etwas verändert. "Ich stand im Sommer an einem Punkt, der für mich richtungweisend war. Für mich war es wichtig, aus dem letzten Jahr die richtigen Schlüsse zu ziehen", sagte er. Dies ist gelungen. Denn die bisherigen Leistungen von Sahin sind beeindruckend gut. Gegen den VfL Wolfsburg (3:0) und gegen Berlin war er das Herzstück des Borussia-Spiels.
Sahin: "Teil der Borussia-Familie"
Das sah auch Dortmunds neuer Trainer Peter Bosz, der während Sahins Zeit bei Feyenoord dort Sportdirektor war, so. "Nuri war sehr häufig frei, aber es hat zu lange gedauert, bis der Ball bei ihm war. Wenn wir Nuri im Mittelfeld an den Ball bekommen haben, dann wurde es gefährlich", sagte Bosz über seinen neuen Musterschüler. Sahin wäre nicht Sahin, wenn ihm dieses Lob nicht sogar ein wenig unangenehm wäre. "Ich will nicht der Beste oder der Wichtigste sein, ich will nur Teil der Borussia-Dortmund-Familie sein", sagte er am Samstag gegenüber Sky.
Das ist er allemal. Und das war er auch während seiner vielleicht größten Enttäuschung im DFB-Pokalfinale im Mai, als ihn der damalige Trainer Thomas Tuchel aus dem Kader strich und Sahin das Spiel nur von der Tribüne verfolgen durfte. Damals waren Fans und Mitspieler sauer auf Tuchel. Kaum einer verstand damals diese Degradierung. Dies ist aber längst vergessen, zu sehr liebt er "seinen" Verein. Immer wieder in den vergangenen Wochen schwärmte er von Fans und dem BVB.





"Ich musste wieder ein Teil der BVB-Familie sein. Die Leute dort waren der Grund, warum ich Fußball spielte, wie ich es tat", schrieb er in einem emotionalen Essay bei playerstribune.com. Auch seinen Mitspielern ist das nicht verborgen geblieben. "Man sieht einfach, dass er den BVB lebt – jeden Tag", sagte Gonzalo Castro. Nuri Sahin, Borussia Dortmunds Spieler mit Herz fürs Herz.
Neue Spielweise kommt Sahin zugute
Vielleicht auch deswegen tritt Sahin nicht gegen seinen ehemaligen Trainer nach. Stattdessen schwärmt er von den neuen Begebenheiten unter Bosz. "Jeder Fußballer lebt davon, selbstbewusst zu sein und Vertrauen zu bekommen. Ich habe nun das Vertrauen meines Trainers und versuche das auf dem Platz zurückzugeben", sagte er. Von der Art und Weise ist der niederländische Trainer überzeugt. "Er ist ein intelligenter Spieler", lobte Bosz Sahin schon im Trainingslager. "Er spielt auf einer wichtigen Position in der Mitte des Feldes, deshalb ist es wichtig, dass er versteht, was wir wollen."
Sahin hat es verstanden. Die "neue Rolle, das neue System kommt mir sehr gelegen. Ich fühle mich richtig wohl", sagte Sahin. Kein Wunder, ist er doch ein versierter Gegenpressing-Spieler, der schon unter Jürgen Klopp beim BVB genau in dieser Rolle aufblühte. Durch die neue Spielweise der Borussia sind die Räume kleiner. Sahin kann seine technischen Stärken mit seiner guten Übersicht und dem Timing verbinden. "Mir kommt das entgegen und wir Sechser können mal den letzten Pass spielen und kommen auch öfter selbst zum Abschluss", sagte Sahin einmal im Trainingslager.
Zum Abschluss kam Sahin gegen die Berliner - und wie! Mit 108 km/h knallte er den Ball zum 2:0 ins Eck - mit dem rechten Fuß. Sein erstes Tor dieser Art, sein 20. in der Bundesliga gesamt. Sein letztes lag aber schon zweieinhalb Jahre zurück. Am 13. Februar 2015 traf er beim Sieg gegen den FSV Mainz 05.
Seine Mitspieler und BVB-Präsident Reinhard Rauball interessierte aber viel mehr der Fakt, dass Sahin auf mit dem rechten Fuß Tore erzielen kann. "Ich dachte, den Fuß hättest du nur, um Einkaufen zu gehen", sagte Rauball. Sahin selbst war mindestens genauso überrascht. "In der E-Jugend habe ich bestimmt mal so getroffen", sagte er. "Ich habe schon überlegt, ob ich in den Niederlanden mal mit rechts getroffen habe. Aber das war das Erste."
Dafür hätte sich Sahin keinen besseren Zeitpunkt aussuchen können. Denn dieses Tor machte einen dicken Strich unter seine herausragenden Leistungen in der ersten, kurzen Phase der Saison vor der ersten Länderspielpause. Es war, als wollte Sahin damit sagen: Seht her, ich bin wieder da! Aber wer Sahin die Jahre über erlebt hat, weiß genau, dass es nicht seine Art ist, den Lautsprecher zu geben. Stattdessen lässt er Taten auf dem Platz sprechen. Sicherlich auch nach der Länderspielpause.
