KOMMENTAR
Ein historisches Datum ist der 3. August 2017 schon jetzt. Obwohl er nur wenige Stunden her ist. In 50 Jahren, wenn ein kleiner Junge seinen Großvater fragt, wann dessen geliebter Fußball endgültig dem Kommerz-Gedanken verfallen ist, sagt der vielleicht: Das war damals, am 3. August, es muss so um 21:30 Uhr gewesen sein.
Neymar bei PSG! Die Ligue 1 live und auf Abruf auf DAZN. Hol' Dir jetzt Deinen Gratismonat!
Und vielleicht wirken die 222 Millionen Euro, die Paris Saint-Germain für Neymars Wechsel vom FC Barcelona in die französische Hauptstadt bezahlt und den bisherigen Weltrekordtransfer von Paul Pogba für 105 Millionen Euro pulverisieren, für den kleinen Jungen dann wie ein Pappenstiel. Weil längst Milliardenbeträge normal sind, wenn ein Verein sich einen neuen Star zulegen will. Man mag es sich gar nicht vorstellen.
Das Schlimmste, obwohl es so nüchtern klingt, sind die Fakten. Die 222 Millionen Euro sind eine unfassbare Summe. Eine, mit der nur ganz wenige Menschen auf diesem Erdball überhaupt etwas anfangen können. Doch sie sind noch nicht die ganze Stange Geld, die PSG in die Hand nimmt. Da Neymar die Summe selbst an Barca zahlen musste, weil sein Ex-Klub Verhandlungen mit den Parisern abgelehnt hatte, muss der französische Vizemeister wohl noch einmal 100 bis 120 Millionen Euro Steuern an die Behörden zahlen.
Hinzu kommt Neymars Nettogehalt, das bei 30 Millionen Euro pro Saison liegen soll, macht bei einem Fünfjahresvertrag 150 Millionen. Außerdem fallen weitere soziale Abgaben an, angeblich auch eine Prämie für Neymars Vater in Höhe von 40 Millionen Euro. Laut SZ kostet der Neymar-Coup die Scheichs von PSG insgesamt rund 600 Millionen Euro.
Die teuersten Spieler aller Zeiten:
| Platz | Spieler | Wechsel | Ablösesumme |
| 1 | Neymar (Brasilien) | Barcelona -> PSG (2017) | 222 Millionen Euro |
| 2 | Paul Pogba (Frankreich) | Juventus -> Manchester United (2016) | 105 Millionen Euro |
| 3 | Gareth Bale (Wales) | Tottenham -> Real Madrid (2013) | 101 Millionen Euro |
| 4 | Cristiano Ronaldo (Portugal) | Manchester United -> Real Madrid (2009) | 94 Millionen Euro |
| 5 | Gonzalo Higuain (Argentinien) | Napoli -> Juventus (2016) | 90 Millionen Euro |
Dass ein Deal dieses absurden Ausmaßes in Zeiten des Financial Fairplay, der genauen Überwachung von Transfers durch UEFA und FIFA überhaupt möglich ist, sorgt in der Fußballwelt für reihenweise entsetzte Gesichter. Zurecht. Warum gibt es das Financial Fairplay überhaupt, wenn es doch offenbar eher ein Vorschlag als eine Regel sei, gab Liverpool-Trainer Jürgen Klopp zu denken. "Ich bin sehr gespannt, wie sich die UEFA die Ein- und Ausgabenpolitik von PSG erklären lässt“, sagte Gladbachs Sportdirektor Max Eberl der Welt. "Es besteht tatsächlich die Gefahr, dass das Financial Fairplay ad absurdum geführt wird.“
Unzählige Amateurvereine griffen indes nach Bekanntwerden des Weltrekordtransfers zu den sozialen Medien. Sie schrieben Texte, die zu denken geben, die der Tenor eint: Das ist nicht mehr unser Fußball. Das ist abgehobener Irrsinn, der jeglichen Boden unter den Füßen verloren hat. Der mit dem Ursprünglichen, mit den Wurzeln, auf die eben auch Neymar selbst zurückblickt, der als kleiner Junge mit zerfetzten Bällen in den Straßen Sao Paulos kickte, nichts mehr zu tun hat.
Den Brasilianer zu verteufeln, ist aber auch nicht der richtige Ansatz. Aus Sicht eines Barca-Fans schon, das ist nachvollziehbar. Aber von einem neutralen Standpunkt aus muss man differenziert bewerten: Zunächst einmal kann Neymar nichts dafür, dass PSG bereit ist, 222 Millionen Euro für ihn zu bezahlen. Natürlich ist es fragwürdig, ob er wegen ein paar Millionen mehr auf seinem ohnehin schon prall gefüllten Festgeldkonto wechseln muss, sein gewohntes Umfeld, seine kongenialen Partner Messi und Suarez verlassen muss. Manche mögen ihm Geldgier vorwerfen. Andere werden sagen: Wenn der Markt, der im Weltfußball mittlerweile existiert, es hergibt und er sich und seiner ganzen Familie die Aussicht auf ein gutes Leben für alle Zeiten noch besser garantieren kann: Warum nicht?!
Zumal Neymar nicht zu einem No-Name-Verein aus China wechselt, sondern von einem zum anderen europäischen Top-Klub. Wo er sportlich vor eine neue Herausforderung gestellt wird, wo er zum Helden von Paris werden kann, wenn er PSG endlich zum ersehnten Triumph in der Champions League führen sollte. Und wo er mit Dani Alves, Marquinhos, Thiago Silva oder Lucas Moura auf mehrere Landsleute und Freunde trifft.
Wie für alle Fußballer gilt auch für den 25-jährigen Brasilianer: Sie sind Idole, sind Gesichter des öffentlichen Lebens, sie begeistern – vor allem, wenn sie das Format Neymars haben – unvorstellbare Massen. Warum sie das tun? Wegen ihres Talents, weil sie mit dem Ball Sachen anstellen können, die den Menschen ein Lächeln ins Gesicht zaubern, mit denen sie sich identifizieren können. Dass Neymar, Messi, Ronaldo und Co. dabei von Sportlern zu Marken werden, ist normal. Dieses Phänomen gab es schon zu Zeiten von Maradona, von den Brasilien-Legenden Ronaldo und Ronaldinho oder David Beckhams. Aber seit dem Abend des 3. August ist das Maß voll. Und damit droht der Reiz zu sterben.


