KOMMENTAR
Die Fußball-Welt von Jose Mourinho, Trainer von Manchester United, ist im Moment einfach aufgebaut: Das eigene Team? Immer hoch überlegen. Der Gegner? Stellt sich nur hinten rein. Der Schiedsrichter? Benachteiligt United. Der volle Spielplan? Eine Katastrophe für Manchester.
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So simpel wie die Weltanschauung des Portugiesen ist die Beurteilung seiner Premieren-Saison bei den Red Devils allerdings keinesfalls. Auf der einen, der positiven Seite stehen der Gewinn des League Cups und die Chance, mit drei Erfolgen in den ausstehenden Partien in der Europa League noch die Qualifikation für die Champions League zu erreichen.
Auf der negativen Seite steht das Abschneiden in der Liga: Unter Louis van Gaal beendete United die Saison als Fünfter und der Niederländer musste gehen. Unter Jose Mourinho trat das Team in der Tabelle über Monate als Sechster auf der Stelle, bevor es durch den Sieg gegen Burnley am vergangenen Wochenende hoch auf den fünften Rang ging. Ein Fortschritt sieht in der Premier League irgendwie anders aus.
Ausgerechnet jetzt steht am Donnerstag das große Derby bei Manchester City an (ab 21 Uhr im LIVE-TICKER), in dem beide Teams noch um ihre europäischen Träume kämpfen. Für Jose Mourinho wieder einmal ein hochwichtiges Duell, denn es gilt im direkten Vergleich mit der Guardiola-Truppe, den Fortschritt seines Teams zu präsentieren – und die Zweifel an den eigenen Entscheidungen und Fähigkeiten fortzuwischen.
Ablenkungsmanöver
Denn all die Aufregung über Referees, defensiv eingestellte Gegner und Spiele im Drei-Tage-Rhythmus dient wohl nur dazu, der Frage auszuweichen, warum das top-verstärkte Team mit einem exzellenten Trainer, der in England schon Meister geworden ist, nicht besser dasteht, als es momentan der Fall ist. Der Portugiese eröffnet in schöner Regelmäßigkeit Nebenkriegsschauplätze, auf denen er wild und entschlossen mit grimmigem Gesicht zu Werke geht. Vom eigentlichen Kampf mit seiner Mannschaft in einer ausgeglichenen Liga will er ablenken – und kleinste Fortschritte schon als große Erfolge verkaufen.
Real kann Messi-Ende kaum erwarten
Vor dem Sieg im Old Trafford gegen Chelsea wies Manchester United beispielsweise die schlechteste Heimbilanz seit 45 Jahren auf. Mourinho kümmerte diese Statistik wenig, denn er hatte seine eigene Wahrheit parat: "Wir sind zuhause stark. Warum? Weil wir nur ein Spiel verloren haben", erklärte er und wischte die neun Unentschieden vor eigenem Publikum zur Seite. Anschließend fügte er hinzu: "Die Art und Weise, wie die Gegner hier spielen, hat sich verändert. Früher sind sie hierhergekommen und haben gedacht, dass sie gewinnen können – und dann haben sie durch ein Kontertor verloren", so Mourinho.

"Jetzt kommen sie hierher und wollen nicht verlieren. Deshalb habe ich den Eindruck, dass wir stark sind", sagte der Portugiese. Die Zahlen zählen nicht – allein das Gefühl ist entscheidend, der Eindruck, den Mourinho vermitteln will. "Es geht voran", lautet sein Credo, auch wenn das mit Statistiken wie der lästigen Tabelle nur schwer zu vermitteln ist.
Nicht alle lassen sich jedoch von ihrem Blick auf das United-Team von den öffentlichen Diskussionen abbringen. Nach dem 1:0 im Europa-League-Achtelfinale gegen Rostov hatte sich Mourinho wieder einmal über den Gegner, der sich nur hinten reinstellt, und den vollen Spielplan beschwert – was Manchester-Legende Roy Keane aus der Fassung brachte. "Der Typ redet völligen Unsinn. Ich habe noch nie so viel Schwachsinn gehört. Warum müssen wir uns solchen Müll anhören?", fragte Keane bei ITV. "Die zweite Mannschaft von United hätte heute das Spiel auch gewonnen", ergänzte er.
Zweifel kommen auf
Keane fällte ein vernichtendes Urteil über den Portugiesen, der eben nicht den ersehnten Erfolg in der Liga oder aber nur die Rückkehr in das Titelrennen mit United zustande gebracht hat. "Vielleicht ist der Klub zu groß für ihn", meinte Keane. Genau diesen Eindruck will Mourinho natürlich mit aller Macht nicht aufkommen lassen.
Die Ansprüche bei Manchester United sind mehrere: Das Team soll guten Fußball spielen und Titel holen, der Trainer soll die Ambitionen des Klubs selbstbewusst verkörpern – und eben nicht als jammernder Coach nach Entschuldigungen und Ausreden suchen, wenn es doch wieder einmal nicht so wie gewünscht geklappt hat. Viel einfacher wäre es für Mourinho natürlich, wenn in der Liga nicht nur nicht verloren, sondern auch regelmäßig gewonnen würde – zum Beispiel im Derby bei City am Donnerstag. Dann müsste er nicht länger den Stillstand als Fortschritt verkaufen, sondern hätte wirklich etwas vorzuweisen.


