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Mit Trikots vom Schwarzmarkt und der Hand Gottes: Die unglaubliche Geschichte von Argentiniens und Diego Armando Maradonas legendärstem Spiel bei der WM 1986

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Argentiniens Reise zum WM-Titel 1986 birgt zahlreiche unvergessliche Geschichten: die Hand Gottes, das Jahrhunderttor Diego Maradonas, der den Pokal im Aztekenstadion später in die Höhe reckt. 

Sie sind so präsent im kollektiven Gedächtnis der Argentinier und der Fußball-Fans aus aller Welt, dass sie fast wie Szenen aus einem Film wirken, den wir alle schon zu oft gesehen haben. 

Aber es gibt noch andere Geschichten, die weniger bekannt sind. Ereignisse, die zuerst unbedeutend erscheinen, aber ein Turnier, ein Land oder eine ganze Generation aus einem unerwarteten Blickwinkel beleuchten. 

Mexiko 1986 war voller solcher Momente: die Mittagshitze in Mexiko-Stadt, die Höhenlage, die Argentiniens damaligen Trainer Carlos Bilardo zu extremen Trainingseinheiten zwang, die Pressekonferenzen, bei denen Maradona ungläubigen Journalisten mit scharfen, unvergesslichen Sprüchen entgegnete. Gefälschte Trikots vom Schwarzmarkt sind buchstäblich STOFF für eine Legende – und die geht so: Diego Armando Maradona erzielte seine ikonischen Tore im Viertelfinale gegen England in Trikots, die die Betreuer der argentinischen Mannschaft in letzter Sekunde in Tepito, dem rauesten Viertel von Mexiko-Stadt, aufgetrieben hatten.

Argentinien fährt ohne große Zuversicht zur WM

Argentina Manager Carlos Bilardo 1984Getty Images

Um die Tragweite dieser Trikot-Anekdote zu verstehen, muss man einige Monate zurückblicken. Argentinien war nicht als Favorit zur WM 1986 nach Mexiko angereist. Die Erinnerung an die WM in Spanien 1982 lastete noch schwer – eine Weltmeisterschaft, bei der Argentinien seinen Titel von 1978 verteidigen wollte, aber spektakulär scheiterte. Die Mannschaft von Trainer César Luis Menotti scheiterte in der zweiten Runde - und Maradona, damals 21 Jahre alt, wurde im Spiel gegen Brasilien vom Platz gestellt.

Der Übergang zur Ära unter dem neuen Trainer Bilardo, der im Februar 1983 übernahm, verlief alles andere als reibungslos. Sein taktischer Ansatz – eine 3-5-2-Formation, die defensive Ordnung und Disziplin in den Vordergrund stellte – war ein radikaler Umbruch nach der offensiven Ausrichtung seines Vorgängers Menotti. Die einflussreiche argentinische Presse warf ihm sogar vor, „die Essenz“ der Nationalmannschaft zu zerstören.

Die Ergebnisse vor dem Turnier waren bescheiden, die Mannschaft harmonierte nicht, es breitete sich Skepsis aus. Einige Journalisten schrieben, man solle einfach, „die Gruppenphase überstehen und das Gesicht wahren“. Die Stimmung in Argentinien war pessimistisch, fast feindselig.

Währenddessen hatte auch die Nation Argentinien selbst Probleme. Die junge Demokratie unter Raúl Alfonsín hatte nach einer Militärdiktatur inmitten politischer und wirtschaftlicher Spannungen Mühe, sich zu konsolidieren. Der Fußball diente als Ventil – aber auch als symbolisches Schlachtfeld. Die WM bot den wenigen Optimisten Raum zu träumen.

Maradona hatte eine Rechnung offen mit der WM

Maradona 1982 Argentina Brasil 24 10 2016

Inmitten all der Zweifel gab es einen Hoffnungsträger: Diego Armando Maradona. Mit nun 25 Jahren war der Kapitän in bestechender Form. Im italienischen Neapel, bei seinem Verein, wurde er bereits wie ein Gott verehrt. Aber mit der Weltmeisterschaft hatte Diego noch eine Rechnung offen.

Die WM 1982 in Spanien 1982 war durch die Rote Karte gegen Brasilien, dem frühen Ausscheiden und der gnadenlosen Kritik ein herber Schlag gewesen. Nach der Ansicht einiger Journalisten war Mexiko 1986 die beste Chance in der Karriere Maradonas, den Titel zu holen. Bilardo stellte seine gesamte Mannschaft um seine Nummer 10 herum auf. Es gab keinen Plan B – alles drehte sich um Diego.

„Wir sind hier, um zu kämpfen. Ich habe das Gefühl, dass das unser Moment ist“, erinnerte sich Maradona später in Interviews. Diese Überzeugung war keine Show – es war eine Botschaft, die er an seine Teamkollegen und an eine zweifelnde Nation sandte. Bilardo bekräftigte während der Trainingseinheiten: „Diego ist die Achse, wir alle spielen, um das Beste aus ihm herauszuholen.“

Die Herausforderung war jedoch nicht nur taktischer Natur. Es gab auch externe Faktoren, die das Ziel erschwerten: die Höhenlage von Städten wie Toluca und Mexiko-Stadt, die sengende Mittagssonne und die logistischen Hürden. Inmitten all dieser Hindernisse kam es zu der bizarren Trikot-Geschichte.

Mit Baumwolle in der Mittagshitze? Die Legende verlangt nach etwas Leichtem

Am 22. Juni 1986 sollte Argentinien im WM-Viertelfinale auf England treffen, Austragungsort war das Aztekenstadion in Mexiko-Stadt. Es war ein Spiel voller Symbolik. Nur vier Jahre zuvor hatten sich beide Nationen im Falklandkrieg bekämpft, was in der argentinischen Gesellschaft offene Wunden und schmerzhafte Erinnerungen hinterlassen hatte. Die FIFA bestand darauf, dass es sich "nur um Fußball“ handelte, für Fans und Spieler war es jedoch mehr als nur das.

Doch Argentinien hatte ein weiteres Problem: Die FIFA meldete sich bei den Offiziellen der Albiceleste und teilte ihnen mit, dass die Mannschaft dunkle Trikots tragen müsse - um sich von den weißen Hemden der Engländer abzugrenzen. Doch die einzigen verfügbaren blauen Trikots, die die Argentinier dabei hatten, waren aus dicker Baumwolle - schwer und unter der mexikanischen Mittagssonne, die regelmäßig für Temperaturen über 40 Grad im Schatten sorgte, untragbar. Und an dieser Stelle kam der Markt in Tepito ins Spiel.

Tepito ist ein legendäres Viertel in Mexiko-Stadt – beliebt, lebendig, gefährlich und faszinierend zugleich. Das Viertel ist berühmt für seine Schwarzmärkte und seine Straßenkultur. Bereits in den 1980er -Jahren war es berüchtigt für den Verkauf von Produktfälschungen.

Und es gab nichts, was es nicht gab: Filme, Taschen, Schmuck, Mode - und eben auch Sportbekleidung. Inmitten des WM-Fiebers waren die Straßen von Tepito voller Trikots aller Nationalmannschaften. Viele waren hochwertige Imitate, besser noch als die Originale. Fabriken vor Ort stellten diese mitunter aus Materialien her, die leichter waren als die offiziellen Trikots. Auf ihrer verzweifelten Suche nach geeigneten Jerseys wagte sich eine Gruppe Argentinier unter der Leitung von Ersatztorhüter Héctor Zelada in die Gassen des Viertels. Zelada kannte die Gegend, spielte er doch seit 1979 schon für Club America in Mexiko-Stadt. Maradona fasste die Operation später in einem kurzen, vielsagenden Satz zusammen: "Ich habe um etwas Leichtes gebeten ... und sie haben etwas gefunden.“

Die Verhandlungen gingen schnell über die Bühne. Die Händler konnten nicht glauben, dass Mitglieder der argentinischen Mannschaft bewusst gefälschte Trikots kaufen wollten. Diese waren ideal: leichtes blaues Polyester, auf dem das Logo des Ausrüsters Le Coq Sportif platziert war. Sie waren fast identisch mit den offiziellen Trikots, aber viel luftdurchlässiger - hätte der französische Hersteller doch nur auch in Tepito produzieren lassen!

Der letzte Schliff: Aus Fälschungen werden offizielle Trikots - approved by FIFA

BRITAIN-FBL-WC 1986-ARG-ENG-MARADONA-SHIRT-AUCTIONGetty Images

Nachdem die Trikots wieder im Trainingsquartier angekommen waren, blieb noch ein entscheidender Schritt: Die Hemden mussten zu offiziellen Trikots werden. Das Abzeichen des argentinischen Verbands AFA und die Rückennummern fehlten noch. Mit Bügeleisen, Nadeln, Faden und ausgeschnittenem Stoff wurden die Verbandsmitarbeiter plötzlich zu Schneidern.

Rubén Moschella, damaliger Mitarbeiter der Verwaltung, berichtete späte von Zeugwarten, die bis spät in die Nacht arbeiteten, Wappen annähten, die manchmal schief waren, von falsch ausgerichteten Nummern und sichtbaren Unterschieden zwischen den Trikots der einzelnen Spieler.

Auch Abwehrspieler Jorge Valdano erinnertesich lebhaft: "Sie gaben uns ein glänzendes blaues Trikot mit silbernen Nummern. Maradona sagte: 'Was für ein schönes Trikot.' Wir waren alle überrascht.“ Einige sahen tatsächlich ordentlich aus, andere aber eindeutig improvisiert. Aber das spielte keine Rolle. Wichtig war, dass die Mannschaft leichte Trikots hatte, die für die Mittagshitze geeignet waren und für das emotionalste Spiel ihres Lebens bereitstanden.

Die Hand Gottes, oder: Ein Tor, das alles über Maradona aussagte

Diego Maradona Hand of God Goal Argentina v England 1986Getty Images

Der Rest ist, wie man so schön sagt, Geschichte. In diesen improvisierten Trikots betrat Argentinien den Rasen des Azteca-Stadions und schrieb eines der denkwürdigsten Kapitel der Fußballgeschichte.

In der zweiten Halbzeit verhalf Maradona die sogenannte Hand Gottes zu einem Tor. Ein Sprung, eine Berührung mit der Hand und der Ball landete im Netz von Englands Torhüter Peter Shilton. Die Engländer protestierten heftig, aber der tunesische Schiedsrichter Ali Bennaceur gab das völlig offensichtlich irreguläre Tor.

Der Spielzug war kein Zufall. Es war die pure List eines Straßenfußballers – ein Spielzug, der über die Kontroverse hinaus Fußballverständnisses verkörperte: Cleverness, Witz, die Fähigkeit, das Unerwartete zu tun. Der gleiche Geist, der Argentinien dazu veranlasst hatte, Trikots in Tepito zu kaufen, zeigte sich erneut auf dem Spielfeld in Form eines unsterblichen Tores.

Das Jahrhunderttor: Ein Treffer, der noch mehr über Maradona erzählte

TOPSHOT-WORLD CUP-1986-ARG-ENGGetty Images

Vier Minuten später zeigte Maradona die andere Seite seines Genies, als er den Ball in der eigenen Hälfte annahm, fünf Engländer ausdribbelte und cool an Shilton vorbei ins Tor schoss. Es war „das Tor des Jahrhunderts“ – eine Spielszene, die noch heute in Nachwuchszentren studiert wird, ein Moment, den kein Video wirklich einfangen kann.

Das gesamte Stadion war wie gebannt: Jeder Ballkontakt fühlte sich wie eine Erklärung der Freiheit an, jeder Tempowechsel wie eine Herausforderung an das Schicksal. Maradona lief nicht nur mit dem Ball, er trug die Hoffnungen eines Volkes, das gelitten hatte und einen Helden brauchte. Dieser Kontrast – das schelmische Handspiel und das geniale Meisterwerk – verkörperte die DNA des argentinischen Fußballs: Straßenfußball und Kunst in einem.

Und das alles passierte in diesem strahlend blauen Stoff, der auf einem Straßenmarkt gekauft worden war. Dieses Trikot, das aus einer Notlösung entstand, ist für immer festgehalten und milliardenfach auf Fotos und in Bewegtbildern betrachtet worden. Es war der Moment, in dem das Profane und das Magische für immer verschmolzen.

Die WM eines Genies

Argentine soccer star Diego Maradona, weGetty Images

Gegen Belgien im Halbfinale wiederholte Maradona dann wieder im offiziellen, himmelblau-weiß gestreifen Trikot seine Kunst mit zwei herrlichen Treffern. Im Endspiel gegen Franz Beckenbauers Deutschland um Toni Schumacher, Karl-Heinz Rummenigge und Lothar Matthäus ließen Valdano und Jorge Burruchaga die Träume der Albiceleste wahr werden. Und in all diesen Spielen agierten die Südamerikaner mit einer Haltung, in der sich taktische Disziplin und die Fähigkeiten der Straße zu einem größeren Ganzen verbanden.

Diese Mischung war entscheidend: Bilardos Ordnung hielt die Mannschaft unter Druck aufrecht, und Maradonas Genie machte sie unaufhaltsam. Argentinien war nie nur Taktik oder nur Talent. Der Mix aus beiden machte die Albiceleste damals unschlagbar.  

Sotheby's Displays Maradona's Historic 1986 World Cup ShirtGetty Images

Das blaue Trikot vom Markt in Tepito wurde nie wieder getragen. Einige Exemplare befinden sich noch in Privatsammlungen, andere sind verschwunden. Sein Wert ist viel mehr symbolischer als materieller Natur.

Im Laufe der Zeit wurde dieses Trikot zur Legende – fast auf einer Stufe mit Maradonas Toren. Es erinnert daran, dass Erfolg oft aus Improvisation entsteht, aus kleinen Entscheidungen.

In der kollektiven Vorstellung Argentiniens ist dieses Trikot nicht mehr „gefälscht“, sondern original, weil es in einem der bedeutendsten Fußballspiele des Landes getragen wurde. Es ist längst ein kultureller Schatz.

Eine der schönsten Geschichten des Fußballs - zwischen Fälschung und Original

Argentina Team v England 1986 FIFA World Cup Quarter FinalGetty Images

Das ist vielleicht das größte Vermächtnis dieser Geschichte: zu zeigen, dass Fußball nicht nur auf dem Spielfeld gespielt wird. Er wird auch in den Hotelfluren gespielt, auf einem Straßenmarkt, mit den Händen eines Zeugwarts, der ein Wappen aufnäht. Bei der WM 1986 in Mexiko war der Erfolg ein kollektives Werk – jeder Stich trug zu diesem Epos bei.

Und so schrieb Argentinien zwischen Tricks und Taktik, zwischen Fälschung und Original eines der schönsten Kapitel des Fußballs – eine Geschichte, in der ein Arbeiterviertel in Mexiko-Stadt mit Maradonas Legende und der Erinnerung einer ganzen Nation verflochten wurde.

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