ONLY GERMANY Martin Harnik Max Kruse 2020imago images / Hanno Bode

Martin Harnik im Interview: "Diese Maschinerie hat sich negativ auf meine Psyche ausgewirkt"


HINTERGRUND
Nach 13 Jahren im deutschen Profifußball wechselte Martin Harnik im Sommer in die Oberliga Hamburg zur TuS Dassendorf. Im Interview mit Goal und SPOX erklärt er die Gründe für diesen Schritt und erzählt offen, wie sehr ihm der Druck im Profifußball jahrelang zugesetzt hat. 

Außerdem spricht der 33-jährige Stürmer über Poker-Spiele mit seinem langjährigen Freund Max Kruse und berichtet von seinen drei unternehmerischen Projekten: Der Firma "Party Helden", dem Qualitätsfleisch-Geschäft "Meat Club", das er gemeinsam mit seinem ehemaligen Mitspieler vom VfB Stuttgart Daniel Ginczek betreibt, und seiner Pferdezucht. 

Herr Harnik, am vergangenen Wochenende haben Sie Ihr erstes Spiel für die TuS Dassendorf auswärts beim FC Süderelbe mit 7:1 gewonnen. Wie war es? 

Martin Harnik: Die Bedingungen waren mit dem Profifußball natürlich nicht im Ansatz zu vergleichen. Vor dem Spiel mussten wir uns in einem provisorischen Zelt ohne sanitäre Anlagen umziehen. Der Platz war ein Kunstrasen der ersten Generation, auf dem ich mich sehr unwohl gefühlt habe. Bei jeder Abstoppbewegung dachte ich: "Oh Gott, hoffentlich reißt mir jetzt nicht irgendein Muskel." Die Auswechselspieler verfolgten das Spiel von einem Nebenplatz hinter einem Zaun. Das ist aber alles nicht schlimm. Wichtig ist, dass der Ball rollt. Und meine Mitspieler haben mir auch schon versichert, dass die Bedingungen in der Oberliga im Normalfall andere sind. 

Wie viel Amateurfußball-Flair steckt in der TuS Dassendorf? 

Harnik: In unserer Kabine steht immer ein Kasten Bier und ich habe schon gehört, dass es einige Anlässe gibt, bei denen ein Kasten gesponsert werden muss. Ein Einstandsritual musste ich bisher nicht über mich ergehen lassen. Mir wurde aber schon gesteckt, dass das noch der Fall sein könnte. Hoffentlich muss ich nicht singen. Das ist ein Ritual, das ich sehr gerne abschaffen würde. 

Welche Lieder haben Sie im Laufe Ihrer Profikarriere zum Besten gegeben? 

Harnik: "Marmor, Stein und Eisen bricht" und die österreichische Nationalhymne waren schon dabei. Eine gute Figur habe ich aber bei keinem Lied abgegeben. 

Wie kam Ihr Wechsel zu Dassendorf zustande? 

Harnik: Werder teilte mir im Sommer mit, dass ich bei den Planungen des Klubs keine Rolle mehr spiele. Sie haben mich vor die Wahl gestellt, mit der zweiten Mannschaft oder zu Hause individuell zu trainieren. Auf Dauer wollte ich beides nicht. Außerdem war mir klar, dass ich künftig alles meiner Familie und damit meinem Lebensmittelpunkt Hamburg unterordnen werde. Trotz einiger Anfragen von Zweitligaklubs gab es deshalb nur zwei Möglichkeiten für mich: Entweder wechsle ich fix zum HSV oder ich beende meine Profikarriere. Je länger ich über diese Frage nachdachte, desto mehr konnte ich mich mit einem Schlussstrich anfreunden. Ich wollte aber unbedingt weiterhin Fußball spielen und bei Dassendorf hat das Gesamtpaket perfekt gepasst: Ich wohne hier mit meiner Familie und habe einen persönlichen Bezug zu dem Klub, weil dort mein Schwager spielt und der Trainer ein guter Freund ist. 

Wie nahe ist es Ihnen gegangen, dass Werder Sie nicht mehr wollte? 

Harnik: Das habe ich emotionslos hingenommen, weil ich es nicht selbst in der Hand hatte. Ich fand es sehr gut, dass der Klub fair mit mir umgegangen ist und mir offen mitgeteilt hat, dass ich keine Chance habe. Es hätte mich geärgert, wenn ich jeden Tag ehrlich um Einsätze gekämpft hätte, tatsächlich aber chancenlos gewesen wäre. 

Worauf freuen Sie sich im Amateurfußball am meisten? 

Harnik: Ich freue mich darauf, die mentale Belastung des Profifußballs ablegen zu können. Darauf, dass es nur um den Fußball an sich geht - und nicht die ganze Maschinerie des Profifußballs. Diese Maschinerie hat sich negativ auf meine Psyche ausgewirkt. 

Inwiefern? 

Harnik: Ich habe mich mit jedem meiner Vereine stark identifiziert und immer den direkten Kontakt mit den Mitarbeitern gesucht. Es baut einen enormen Druck auf, wenn man von ihnen hört: "Wenn ihr nicht aufsteigt, weiß ich nicht, ob ich nächstes Jahr noch einen Job habe." Dazu kommen die Einschränkungen im privaten Bereich, die mir zugesetzt haben. Nach Niederlagen habe ich mich ungern in der Öffentlichkeit blicken lassen. Wenn ich für Dassendorf ein katastrophales Spiel mache und wir verlieren, wird sich das nicht auf mein Privatleben auswirken. Das ist eine große Erleichterung für mich. 

Hatte dieser Druck körperliche Auswirkungen auf Sie? 

Harnik: Ja, jede Entwicklung wirkte sich auf meine körperliche Verfassung aus. Vor Spielen habe ich manchmal Schweißausbrüche mit kaltem Schweiß bekommen. Erfolglose Phasen raubten mir viel Energie. Wenn ich morgens aufgewacht bin, habe ich mich oft ausgelaugt gefühlt. Ich hatte wenig Antrieb, war träge und bin schwer aus dem Bett gekommen. In erfolgreichen Phasen war es das exakte Gegenteil: Da war ich auch nach zwei Stunden Schlaf super drauf und voller Energie. Diese Achterbahnfahrt der Gefühle war brutal für mich. 

Martin Harnik Werder Bremen 18/19Getty
Bild: Getty Images

Haben Sie von Ihren Klubs die Möglichkeit bekommen, sich mit Mentaltrainern auszutauschen? 

Harnik: Bei manchen schon, bei anderen nicht. Ich habe das immer wieder getestet, musste für mich aber feststellen, dass mir das nicht hilft. Ich habe mich nach diesen Gesprächen nicht besser gefühlt. 

Konnte Ihre Familie helfen? 

Harnik: Meine Frau begleitet mich seit meinen Profianfängen bei Werder. Sie hat alle Höhen und Tiefen mit mir mitgemacht und wusste genau, was die Ergebnisse meiner Mannschaft und meine persönlichen Leistungen für Konsequenzen für die nächsten Tage haben. Sie hat immer versucht, mir Druck zu nehmen und mich abzulenken - aber das Thema war bei mir so omnipräsent, dass es schwer war, das auszublenden. 

Welche Phase war am schwierigsten? 

Harnik: Die Saison 2015/16, als ich mit dem VfB Stuttgart abgestiegen bin. Am Anfang brachte ich unglaublich schlechte Leistungen. Als ich etwas in die Spur fand, verletzte ich mich am Knie und war drei Monate raus. Dann kam ich zurück und wir sind abgestiegen. Das hat mich sehr mitgenommen. Aber auch die vergangene Saison mit dem HSV war schwierig. 

Wie haben Sie diese Saison mit dem Hamburger SV erlebt? 

Harnik: Als ich meinen Vertrag unterschrieben habe, wirkte es so, als ginge alles in die richtige Richtung. Die Vereinsführung hat Hand in Hand mit den sportlichen Verantwortungsträgern gearbeitet. Wir haben auch eine gute Hinserie gespielt, aber dann kamen die Unruhen um die Person Bernd Hofmann und alles hat seinen Lauf genommen. Es entstanden Machtkämpfe hinter den Kulissen und das hat sich auf die sportlichen Leistungen der Mannschaft ausgewirkt. 

Sie waren ausgeliehen von Werder, wo im Klubumfeld konträr zum HSV seit jeher größte Ruhe praktiziert wird. 

Harnik: Es ist Teil von Werders DNA, allen Mitarbeitern gegenüber loyal zu sein - vor allem dem Trainer.

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Bild: Getty Images

Sie haben in Dassendorf einen Vertrag bis 2023 unterschrieben. Warum so lange? 

Harnik: Wir haben intern kommuniziert, dass die Laufzeit keine Rolle spielt und wir einfach mal irgendeine Jahreszahl in den Vertrag schreiben. Ich werde von Jahr zu Jahr schauen, ob es körperlich noch geht. 

Streben Sie anschließend eine Trainer- oder Managerkarriere an? 

Harnik: Ich sehe mich künftig zu nullkommanull Prozent im Profifußball. Ich will mich als Unternehmer in der freien Wirtschaft probieren und meine bereits bestehenden Projekte intensiver begleiten. 

Seit 2015 sind Sie Gesellschafter der Firma "Party Helden", mit der Sie in mehreren Filialen Kostüme, Luftballons und Dekoartikel vertreiben. Wie kam das zustande? 

Harnik: Wir haben damals als Familie eine neue Herausforderung gesucht und sind zufällig auf das Franchise-Model mit diesen Partyartikeln gestoßen. Die Idee kommt ursprünglich aus den USA und sollte nach Europa gebracht werden. Uns hat das Konzept gefallen und deshalb entschlossen wir uns dazu, das zu probieren. Am Anfang haben wir das wie geplant als Franchise gemacht. Doch nach kurzer Zeit kam es zu Unstimmigkeiten mit der Mutterfirma, also haben wir uns getrennt und das Projekt selbstständig weitergeführt. 

Warum sind Sie in den Bereich Partyartikeln gegangen? 

Harnik: Das hat keinen besonderen Hintergrund, ist purer Zufall. Kostüme sind keine große Leidenschaft oder ein kurioses Hobby von mir. 

Aber Sie haben sicher schon mal ein Kostüm aus Ihrem Sortiment selbst getragen. 

Harnik: Das bleibt jetzt mal besser mein Geheimnis. Was ich aber sagen kann: Ich habe bereits einige perfekt dekortierte Kindergeburtstagsfeiern organisiert - und auch schon viele Fußballkollegen mit Luftballons, Deko und Kostümen für deren Partys ausgestattet. 

Wie aktiv sind Sie in die Firma involviert? 

Harnik: Bisher war ich ins operative Geschäft nicht eingebunden, weil ich als Profifußballer Termine nicht verlässlich planen und wahrnehmen konnte. Bei großen strategischen Entscheidungen war ich aber immer involviert. Künftig will ich die internen Abläufe Schritt für Schritt kennenlernen und Aufgaben übernehmen. 

Welcher Bereich interessiert Sie am meisten? 

Harnik: Das Thema Expansion. Neue Standorte aufzubauen und groß zu machen, finde ich schon ganz spannend. 

Ein weiteres Projekt von Ihnen ist der sogenannte "Meat Club", ein Qualitätsfleischgeschäft in Stuttgart, das Sie seit 2018 gemeinsam mit Ihrem ehemaligen VfB-Mitspieler Daniel Ginczek betreiben. Wie kam es dazu? 

Harnik: Während meiner Zeit in Stuttgart bin ich oft mit einem guten Freund zusammengesessen. Wir haben überlegt und überlegt, was wir unternehmerisch gemeinsam machen könnten. Da er aus dem Lebensmittelbereich kommt und über entsprechende Expertise verfügt, haben wir uns letztlich dazu entschieden, einen Laden für hochwertiges Fleisch aufzumachen. Das habe ich Daniel erzählt und er war direkt begeistert und ist mit eingestiegen. 

Wie oft sind Sie vor Ort? 

Harnik: Zuletzt war ich wegen der Distanz noch weniger involviert als bei "Party Helden". Demnächst will ich aber eine zweite Filiale in Hamburg eröffnen. Da werde ich präsenter sein. 

Gemeinsam mit Ihrer Frau betreiben Sie auch eine Pferdezucht. 

Harnik: Pferde sind die große Leidenschaft meiner Frau. Sie kennt eine Züchterin, die neulich einige Stuten abgeben wollte, die in der Vergangenheit erfolgsversprechende Fohlen zur Welt brachte. Da haben wir zugeschlagen. Mittlerweile besitzen wir 14 Pferde. Drei davon sind tragende Stuten, nächstes Jahr werden wir also weitere Fohlen bekommen. Aktuell ist das noch mehr Hobby als Beruf. Ich sehe aber auch Potenzial, dass daraus eine fixe Einkommenssäule werden könnte. 

Wie läuft das ab? 

Harnik: Pferdezucht ist wie Talente-Ausbildung im Fußball. Wie bei einem jungen Fußballer sieht man recht früh, wie viel Potenzial ein Pferd hat: Ob es für den Amateurbereich reicht, ob es bundesligatauglich ist oder es sogar in die Champions League schaffen könnte. Dann kommt es auf die Ausbildung und das richtige Gespür für den Pferde-Transfermarkt an. Man muss entscheiden, ob man das Potenzial eines Pferdes selbst auszuschöpfen versucht, oder ob man es besser früh verkauft. 

Reiten Sie eigentlich auch selbst? 

Harnik: Ich bin meiner Frau zuliebe schon mal geritten, aber wirklich mein Fall ist es nicht. 

Gepackt haben Sie dagegen offenbar schnelle Autos. Vor einigen Jahren sagten Sie mal: "Ich habe Benzin im Blut und kann mir vorstellen, nach der Karriere irgendetwas mit Motorsport zu machen." Wie ist der Stand

Harnik: Das ist lange her. Die Leidenschaft zum Motorsport ist geblieben und ich habe weiterhin gerne schnelle Autos in der Garage stehen. Seit der Geburt meiner Kinder kann ich mir aber nicht mehr vorstellen, mit ihnen auf eine Rennstrecke zu fahren. 

Warum haben Sie bereits während Ihrer aktiven Karriere so viele Projekte nebenher vorangetrieben? 

Harnik: Während der aktiven Karriere hat man als Bundesligaspieler genug Zeit und Geld, um nebenher Projekte zu starten und sich damit eine gewisse Sicherheit und einen Lebensinhalt für die Zeit danach zu schaffen. Ich kann das jedem Profifußballer nur empfehlen. Wenn man mit solchen Projekten erst nach dem Karriereende anfängt, ist der Druck viel größer. Dann gibt es kein regelmäßiges Einkommen und man ist vom Erfolg der Projekte finanziell viel abhängiger. 

Abgesehen von Ihren beruflichen Projekten: Wofür werden Sie die neu gewonnene Zeit künftig nutzen? 

Harnik: Vor ein paar Monaten habe ich mit dem Golfen angefangen und gemerkt, dass es mir echt Spaß macht. Ich bin bei uns in der Gegend einem Golfclub beigetreten und werde das künftig intensivieren. Mittlerweile habe ich auch schon meine Schwiegerfamilie mit dem Golf-Fieber infiziert.

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Bild: Getty Images

In der Jugend des SC Vier- und Marschlande und später auch bei Werder spielten Sie mit Max Kruse zusammen. Hat er Sie schon zum Pokern animiert? 

Harnik: Ich bin schon oft mit Max gemeinsam am Pokertisch gesessen, einmal waren wir sogar gemeinsam im Casino. Max pokert aber auf einem Niveau, auf dem ich nicht mithalten kann, und bei den großen offiziellen Turnieren in finanziellen Sphären, in denen ich nicht mithalten will. Es macht mir keinen Spaß, wenn es um zu viel Geld geht. Einmal im Monat mache ich mit einigen Freunden aber eine private Pokerrunde, bei der wir um ein paar Cent spielen. Mir geht es beim Pokern nicht um Geld, sondern um die Gemeinschaft. 

Wie eng ist Ihre Freundschaft mit Kruse? 

Harnik: Max und ich haben ein besonderes Verhältnis. Er ist einer meiner besten und loyalsten Freunde. Ich kenne ihn anders als so ziemlich jeder, der über ihn urteilt. Wenn er bei mir zuhause zu Besuch ist, ist er nicht der machoartige Kruse, als der er in der Öffentlichkeit dargestellt wird. Dann ist er der Max, mit dem ich in die große Fußballwelt aufgebrochen bin. 

Wann holen Sie ihn nach Dassendorf? 

Harnik: Ich könnte ihn mir tatsächlich sehr, sehr gut in unserer Mannschaft vorstellen. Er ist einer wie ich: Einer, der den Fußball liebt - und auf das Fußballgeschäft dahinter verzichten könnte. Auch wenn wir beide wissen, dass es dazugehört.

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