Nach langer Leidenszeit ist Lukas Klostermann zurück. In den ersten beiden Pflichtspielen dieser Saison stand der Rechtsverteidiger jeweils über die volle Distanz für RB Leipzig auf dem Rasen.
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Im Exklusiv-Interview mit Goal erklärt der frühere Leichtathlet seine Entscheidung für den Fußball. Außerdem verrät er einen ausschlaggebenden Punkt für seinen Wechsel vom VfL Bochum nach Sachsen vor drei Jahren und spricht über den Leipzig-Code sowie die Champions League.
Lukas, gehe ich richtig in der Annahme, dass ich in 20 Jahren eher mit dem Manager Lukas Klostermann als mit dem Trainer Lukas Klostermann sprechen würde?
Lukas Klostermann: Also mit der Frage habe ich jetzt zum Einstieg nicht gerechnet. (lacht) So weit plane ich nicht voraus, daher würde ich sagen: Das ist derzeit offen. Aber Sie wollen wahrscheinlich auf mein Studium hinaus?
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Ganz genau. Sie studieren Wirtschaftswissenschaften an der Fernuni Hagen. Wie kommen Sie voran?
Klostermann: Gut soweit, ich komme jetzt ins fünfte Semester. In der aktuellen Saison wird es für mich natürlich eine ganz besondere Herausforderung, da viele englische Wochen vor uns liegen.
In der vergangenen Spielzeit sind Sie mit einem Kreuzbandriss ausgefallen. Hatten Sie während der Reha mehr Zeit, sich Ihrem zweiten Standbein zu widmen?
Klostermann: Das glauben scheinbar viele. Tatsächlich ist es aber so, dass der Zeitaufwand für einen verletzten Fußballer eher noch größer ist als für einen gesunden. Im Durchschnitt war ich also mehr Stunden hier im Trainingszentrum am Cottaweg, als es in einer normalen Trainingswoche der Fall gewesen wäre. Es war nicht so, dass ich jeden Tag acht Stunden Zeit gehabt hätte, um mich auf's Studium zu konzentrieren.
Es dürfte allgemein schwierig sein, Profifußball und Studium unter einen Hut zu bekommen.
Klostermann: Organisatorisch ist das nicht so einfach. Teilweise kollidieren Klausurtermine mit unserem Spielplan. Von daher habe ich es leider auch nicht geschafft, in jedem Semester alle Klausuren zu schreiben. Einmal hatten wir zeitgleich eine englische Woche, vergangenen Sommer war es durch die Olympia-Teilnahme schwierig. Das war mir allerdings im Vorfeld bewusst, und ich finde es auch nicht allzu tragisch, da ich in dieser Hinsicht keinen besonderen Zeitdruck habe. Ob ich jetzt mit dem 23. oder 27. Lebensjahr fertig werde, macht im Endeffekt keinen so großen Unterschied. Wichtig ist für mich nur, dass ich da am Ball bleibe und es abschließe.
Sie sagten einmal, Sie würden studieren, weil Sie neben dem Fußball auch etwas für den Kopf machen wollen. Sind Sie damit eine Ausnahme im Fußballgeschäft?
Klostermann: (überlegt) Ich glaube schon. So viele Bundesligaspieler machen das nicht, glaube ich.
Warum haben Sie sich denn dazu entschlossen, Wirtschaftswissenschaften zu studieren?
Klostermann: Weil das ein Bereich ist, der mich interessiert. Ich muss aber auch ganz ehrlich sagen, dass es relativ schwierig war, direkt nach dem Abitur genau zu wissen, was man machen will. Es ist ja schon eine Umstellung von den Schulfächern auf einen bestimmten Studiengang oder auf Ausbildungsberufe, die teilweise nicht unbedingt mit den Schulfächern etwas zu tun haben.

Wer über Wirtschaftswissenschaften nachdenkt, landet schnell bei Angebot und Nachfrage. Im Fußball werden die Ablösesummen in den Augen vieler immer absurder. Was meint der Wirtschaftswissenschaftler Lukas Klostermann: Bräuchte es da externe Regulatoren oder ist es in Ordnung, es frei laufen zu lassen ?
Klostermann: Das ist eine gute Frage. Da es ein Angebot gibt und die Nachfrage offenbar auch existiert, kommt es eben zu der Situation, die wir aktuell haben. Ein sehr komplexes Thema. Ich bin da auch nicht so tief in der Thematik drin, als dass ich mir anmaßen könnte, dies generell zu bewerten.
Sie haben jahrelang parallel zum Fußball Leichtathletik betrieben, wissen also, wie hart auch Sportler aus anderen Bereichen arbeiten. Trotzdem werden Fußballer deutlich besser entlohnt. Blutet da Ihr Leichtathleten-Herz angesichts des finanziellen Ungleichgewichts?
Klostermann: In gewisser Weise schon. Wir Fußballer sind in finanziellen Sphären unterwegs, in die andere Sportler nicht kommen können. Das ist schon ein Stück weit ungerecht, weil ich weiß, dass in anderen Sportarten ganz genauso viel Aufwand betrieben wird. Letztlich ist es wahrscheinlich der Tatsache geschuldet, dass andere Sportarten im europäischen Raum nicht so sehr in der Öffentlichkeit stehen wie der Fußball. Als ich mich damals zwischen Leichtathletik und Fußball entschieden habe, war das aber absolut kein Gesichtspunkt. Das hatte andere Gründe.
Welche?
Klostermann: Dass mir Teamsport noch mehr Spaß gemacht hat als Einzelsport. In der Leichtathletik war es damals so, dass die Zahl der Teilnehmer bei den Wettkämpfen mit fortschreitendem Alter immer weiter gesunken ist. Man kannte schnell die vier, fünf Sportler, die mit dabei waren. Mir hat es dann irgendwann nicht mehr so viel Spaß gemacht, bei den Wettkämpfen mein eigenes Ding zu machen. Die Zeit im Teamsport mit seinen Mannschaftskollegen zu verbringen, ist doch wesentlich interessanter.
Ihre Eltern waren auch Leichtathleten, Sie wiederum sind einer der schnellsten Spieler der Bundesliga. Die guten Gene?
Klostermann: Definitiv auch das. Schnelligkeit ist ein Aspekt, bei dem man genetisch etwas mitbringen muss. Da kann man durch Training nicht so viel rausholen wie zum Beispiel im Ausdauer-Bereich.
Hat sich Ihre Kreuzband-Verletzung negativ auf die Schnelligkeit niedergeschlagen?
Klostermann: Ich persönlich meine nicht, dass ich da irgendwelche Auswirkungen spüre. Wenn man einige Monate nicht so Leistungssport betreiben konnte, wie man es gewollt hätte, dann ist es aber völlig normal, dass man die Spritzigkeit und die Agilität nicht innerhalb von zwei Wochen aufarbeiten kann. Ich habe jetzt während der Zeit auch gemerkt, dass es sukzessive besser geworden ist, über viele Trainingseinheiten und Spiele. Von daher könnte ich nicht sagen, dass sich die Verletzung diesbezüglich negativ ausgewirkt hätte.
Der Faktor Schnelligkeit spielt im RB-Konzept eine große Rolle. Hat Ihnen diese Fähigkeit nach Ihrem Wechsel vom VfL Bochum nach Leipzig bei der Eingewöhnung geholfen?
Klostermann: Das war damals einer der ausschlaggebenden Punkte für meinen Wechsel. Als mir das Konzept und die Spielidee vorgestellt wurde, habe ich mir schon ausgemalt, dass ich mit dieser Philosophie gut klarkommen könnte, weil ich nicht der langsamste Spieler bin.
Kritiker meinen, dem Gegner den Ball zu überlassen, stark zu pressen und schnell zu kontern, sei zu simpel um auf Dauer erfolgreich zu sein. Was entgegnen Sie solchen Aussagen?
Klostermann: Ich glaube nicht, dass wir Schalke im Auftaktspiel den Ball überlassen haben. Ganz im Gegenteil. Gut, fairerweise muss man sagen, dass wir das Spiel nicht gewonnen haben (0:2, Anm. d. Red.). Schalke hat es natürlich auch sehr gut gemacht, das ist auch klar. Trotzdem: Unsere Spielidee- und -philosophie hat sich weiterentwickelt. Es ist wichtig, auch im eigenen Ballbesitz Aktionen und Ideen zu haben, um nach vorne zu spielen.

Schon vergangene Saison hieß es nach den ersten Mini-Rückschlägen, der Leipzig-Code sei entschlüsselt. Während des Schalke-Spiels fiel dieser Satz erneut. Fasst man sich da an den Kopf?
Klostermann: Ich finde auf jeden Fall nicht, dass man es so sagen kann. Einerseits ist unser Spielsystem auf dem Platz etwas anderes als in der Theorie. Andererseits hängt auch sehr viel von uns ab. Gegen Schalke haben wir es in letzter Konsequenz nicht gut gemacht. Da haben wir uns vorne nicht richtig in Position gebracht und teilweise nicht den optimalen finalen Ball gespielt, damit hat uns dann auch die Durchschlagskraft gefehlt. Wenn wir es perfekt machen, ist es für jeden Gegner extrem schwierig, uns zu verteidigen.
Leipzig hat kein konkretes Saisonziel ausgegeben. Auch, "weil wir den Jungs keinen Rucksack aufsetzen wollen", begründete Ihr Trainer Ralph Hasenhüttl. Bringt Platz zwei im Vorjahr nicht automatisch einen Rucksack mit sich?
Klostermann: (lacht) Nein, das finde ich nicht. Es wird eher von außen versucht, uns diesen Rucksack aufzusetzen. Vergangene Saison sind wir auch gut damit gefahren, von Spiel zu Spiel zu schauen, wie man so schön sagt. Da haben wir in jeder Partie einfach Vollgas gegeben, viele Punkte geholt und es meistens sehr gut gemacht. Genauso werden wir es in dieser Spielzeit angehen.
Sportdirektor Ralf Rangnick würde es sofort unterschreiben, sollte Leipzig dasselbe schaffen wie Leicester City, sprich das Viertelfinale der Champions League erreichen und Zehnter oder Elfter in der Liga werden. Sie auch?
Klostermann: Gewinnen wir die kommenden fünf Spiele, sehen uns alle wieder ganz oben. Verlieren wir die nächsten fünf Partien, ist ganz schnell von Abstiegskampf die Rede. Nach dem ersten Saisonspiel lässt sich noch nicht sagen, was sich am Ende der Saison als Erfolg anfühlt.
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Sie starten in der Champions League. Mit welchen Gefühlen und Erwartungen fiebern Sie der Königsklasse entgegen?
Klostermann: Ich empfinde absolute Vorfreude. Gleiches gilt für die Bundesliga und den DFB-Pokal, da haben wir mit dem FC Bayern jetzt auch ein Hammerlos bekommen. Wir können uns auf jedes Spiel freuen, brennen darauf und wollen die Leute und unsere Fans weiterhin begeistern.
Welche Bedeutung hat die Champions League für Sie persönlich?
Klostermann: Es ist ein Traum, der in Erfüllung geht. Das Ganze hat sich lange unwirklich angefühlt. Man verfolgt die Königsklasse so lange vor dem Fernseher, und jetzt darf man wirklich selbst auf dem Platz stehen. Das ist schon etwas ganz Besonderes.
Verbinden Sie irgendeine ganz besondere Erinnerung mit der Champions League?
Klostermann: Ich war beim Halbfinale zwischen Borussia Dortmund und Real Madrid in der Saison 2012/13 live im Stadion. Da hat Robert Lewandowski alle vier Tore gemacht. Das war sicher ein Erlebnis, das ich so schnell nicht vergessen werde.


