HINTERGRUND
Nicht Kylian Mbappe. Nicht Neymar. Und auch nicht Lionel Messi. Wirft man einen Blick auf die Torjägerliste in der französischen Ligue 1, steht nicht etwa ein Vertreter des Pariser Star-Trios an der Spitze. Nein, Jonathan David vom OSC Lille grüßt von ganz oben.
Mehr noch: Der 21-jährige Stürmer ist aktuell so erfolgreich wie die drei PSG-Stars zusammen. David kommt in bislang 17 Ligapartien auf satte elf Treffer. Mbappe (sieben Tore), Neymar (drei) und Messi (ein Tor) kommen zusammengerechnet auf den gleichen Wert.
Es ist die Fortsetzung einer Überraschungsgeschichte, die mit Lilles Meisterschaft in der vergangenen Saison ihren Anfang nahm und für David möglicherweise im kommenden Sommer an eben jenem Ort endet. Der Kanadier erlebte nach Startschwierigkeiten im Jahr 2021 eine Leistungsexplosion, die auch zahlreichen europäischen Top-Klubs nicht verborgen geblieben ist.
Lille-Stürmer Jonathan David: PlayStation statt Fußball und "ein Sechstel" des Platzes als Schlüssel
David kam als Kind kanadisch-haitianischer Eltern in New York zur Welt. Nachdem er zunächst als Kleinkind auf Haiti gelebt hatte, zog er mit seiner Familie später nach Ottawa, wo David auch seine ersten fußballerischen Schritte machte. Doch wirklich viel Wert legte er darauf seinerzeit nicht.
"Ich hatte andere Prioritäten", verriet David einst in einem Interview mit Sport/Voetbalmagazine: "Ich wollte mit meinen Freunden ausgehen, schlafen und PlayStation spielen." Folglich habe er im Training nicht immer alles gegeben. "Was bringt es mir, so hart zu arbeiten?", erklärte er seine damalige Sichtweise.
Eine Trainer-Standpauke später realisierte David, dass er zu Großem imstande ist - und wusste sofort, wohin er möchte. "Ich hatte nur ein Ziel: nach Europa zu kommen", betonte er. Dementsprechend habe er nur europäischen Fußball verfolgt, kanadischer und US-amerikanischer dagegen blieb außen vor.
Getty ImagesDennoch gab ihm der kanadische Fußball in gewisser Hinsicht einen Anschub. Während der Wintermonate trainieren die Mannschaften in speziellen, zeltähnlichen Hallen. Diese hatten sie allerdings nicht exklusiv. "Es gab nur eine handvoll davon und die wurden zusätzlich von Baseball, Football und anderen Sportvereinen genutzt", sagte Jay da Costa, technischer Direktor von Davids erstem Klub Ottawa Gloucester Hornets, im Gespräch mit First Time Finish: "Dadurch war es schwer, Platz und Zeit zu bekommen." Und wenn, dann trainierte man nur auf einem Drittel des Feldes, "manchmal sogar auf einem Sechstel". Doch genau auf diesem limitierten Platz verbesserten die Spieler ihre Ballkontrolle.
2018 wurde Davids Europa-Traum war: Der Angreifer wechselte nach Belgien, in die U21 von KAA Gent. Dort, wo auch einst ein gewisser Kevin De Bruyne seine Berührungspunkte mit dem runden Leder hatte.
34 Scorerpunkte, Bayern-Gerüchte und Sensationsmeister: Davids rasanter Aufstieg
Noch im selben Jahr stieg David zu den Profis auf - und sorgte direkt für Furore. Bei seinem Debüt im August traf David, der erst in der 77. Minute das Spielfeld betreten hatte, in der 95. Minute zum 1:1-Ausgleich gegen Zulte Waregem. Nur eine Woche später markierte er - ebenfalls nach Einwechslung in der 70. Minute - einen Doppelpack.
Vor allem in seiner zweiten und letzten Spielzeit in Belgien trumpfte David 2019/20 so richtig auf. Nach 40 Spielen standen satte 34 Scorerpunkte (23 Tore, elf Assists). Das Interessante: David kam in besagter Spielzeit vornehmlich hinter den Spitzen zum Einsatz. Es kam, wie es kommen musste: David wurde gefühlt von halb Europa gejagt.
In Deutschland wurde David mit dem BVB, dem FC Bayern München sowie RB Leipzig in Verbindung gebracht. Schenkt man den Aussagen seines Beraters Nick Mavromanis Glauben, wäre der 24-fache kanadische Nationalspieler auch gerne in Deutschlands Beletage gelandet. "Er ist bereit für den nächsten Schritt und will in die Bundesliga", sagte Mavromanis seinerzeit den Ruhr Nachrichten.
Aus München lockte ihn sogar Nationalmannschaftskollege Alphonso Davies, den David einst aufgrund seines steilen Karriereweges als Vorbild bezeichnete: "Er hat viel Qualität. Wenn er hierher käme, hätte er keine Probleme, auf diesem Niveau zu spielen", sagte Davies im März vergangenen Jahres im Rahmen einer Video-Pressekonferenz.
Doch am Ende wurde es bekanntlich weder der Süden noch Westen Deutschlands, sondern mit Lille der französische Norden. 27 Millionen Euro ließ sich der OSC David im Sommer 2020 kosten, stattete ihn mit einem Fünfjahresvertrag aus und machte ihn zum teuersten Gent-Export der Vereinshistorie.
Dort liest sich Davids erste Spielzeit ähnlich furios wie seine vorherige Laufbahn: 13 Tore in 37 Ligaspielen, dazu der sensationelle Meistertitel vor Serienmeister PSG. Dabei feierte er erst im November sein Tor-Debüt, blieb die ersten zehn Ligaspiele gar ohne Torbeteiligung. Mit dem Jahreswechsel platzte der Knoten, unter anderem traf er im wichtigen und vorentscheidenden Spitzenspiel am 31. Spieltag im Parc de Princes zum Sieg.
"Fehlende taktische Konsequenz": Woran David noch arbeiten muss
"Er ist ein schneller und kräftiger Stürmer mit einem imposanten Körperbau und eiskalt im Abschluss", lobt David Hernandez von GOAL Frankreich: "David geht gerne in die Tiefe und ist ein sehr vielseitiger Spieler."
Trotz seiner starken Quote und aller Lobeshymnen sieht Hernandez vor allem im taktischen Bereich noch Luft nach oben. "Ihm fehlt es noch an echter taktischer Konsequenz", betont er. David neige zudem trotz überwundener Anpassungsschwierigkeiten dazu, "während eines Spiels abzutauchen".
Für seine Zukunft scheint dies jedoch kein allzu großer Dorn im Auge zu sein, denn um David buhlen aktuell wohl zahlreiche Spitzenvereine.
Liverpool, PSG und 50 Millionen Euro: David und die heißesten Gerüchte
Medienberichten zufolge sollen Arsenal, Liverpool und PSG nun um den Torjäger werben.
Zuletzt trumpfte David auch gegen Ende seiner ersten Königsklassen-Saison auf internationaler Bühne auf. In den letzten drei Champions-League-Partien traf der Kanadier dreimal, unter anderem am letzten Spieltag beim VfL Wolfsburg, und bescherte Lille damit als Tabellenerster den Einzug ins Achtelfinale. Und es deutet alles darauf hin, dass seine Zukunft nicht über den Sommer hinaus in Lille liegen wird.
"Die wirtschaftliche Strategie von Lille sieht vor, ihn für eine Summe von mindestens 50 Millionen Euro zu verkaufen", erklärt Hernandez. Zudem wolle auch David selbst "mehr". Lilles elfter Tabellenplatz und damit ein mögliches Verpassen der Champions League im kommenden Jahr würde die Position des Vereins nicht zwingend stärken.
"Ideal für die Firmino-Rolle": Wohin David am besten passen würde
Bei all den Spekulationen stellt sich nun die Frage, zu welchem Klub David am besten gehen sollte?
"Ich denke, dass die Premier League oder die Bundesliga ideal zu ihm passen würden", betont Hernandez.
Vor allem die Reds aus Liverpool seien ein gutes Ziel: "Aufgrund seiner Variabilität verfügt er über das nötige Profil, um sich dort in einer ähnlichen Rolle wie Roberto Firmino, also als Neun beziehungsweise falsche Neun, zu behaupten."


