Toni Leistner HSVGetty Images

Kommentar zur Fan-Attacke von Leistner: Man muss sich nicht alles gefallen lassen


KOMMENTAR

Fußballprofis sind Beleidigungen gewohnt. Mario Götze musste sich nach seinem Wechsel zum FC Bayern München beispielsweise als "Judas" bezeichnen lassen. Davon kann auch Timo Werner ein Lied singen. Nach einer Schwalbe gegen Schalke 04 im Dezember 2017 begann ein Spießrutenlauf für den damals 20-Jährigen, der fortan in sämtlichen Fankurven Deutschlands als "Hurensohn" abgestempelt wurde.

Der Aufschrei damals: Verhältnismäßig gering, weil Fußballer etwaige Herabwürdigungen halt abkönnen müssen. Das war schon immer so, denn auch früher mussten Spieler der Gästemannschaft Insultionen über sich ergehen lassen, die Gürtellinie ist im Laufe der Jahre nur schlichtweg tiefergelegt worden.

Nun ist es eben in Mode, über den imaginären Berufsstand der Mutter eines Spielers zu sinnieren. In diesem Kontext war es beispielsweise sehr verwunderlich, dass ein Spiel Anfang März fast abgebrochen und "unter Protest" zu Ende gespielt wurde, weil ein Klub-Mäzen mit ähnlich niveaulosen Beschimpfungen seitens einer Fankurve bedacht wurde wie Werner.

Dass eine solche Reaktion übertrieben war, steht außer Frage. Beleidigungen und Schmähungen gehören - ob es gefällt oder nicht - eben im Leben eines Fußballers, polarisierenden Funktionären, Mäzenen und Vorsitzenden dazu. Von den eigenen Fans geliebt, von den anderen gehasst. So ist das eben.

Der Fall Toni Leistner ist anders als der von Timo Werner

Der Fall von Toni Leistner am Montag ist jedoch anders als der von Götze, Werner oder Dietmar Hopp. Die Beleidigungen kamen nicht aus einem recht weit vom Spielfeldrand entfernten Chor aus tausend anonymen Kehlen oder schriftlich durch einen Banner in der Kurve. Sie kamen aus kurzer Distanz, unmittelbar, zielgerichtet und die schlimmste offenbar von einer bestimmten Person.

Da ging es nicht mehr darum, ob der gebürtige Dresdner und aktuelle HSV-Profi Leistner, der mit seinem neuen Verein in seiner alten und auch aktuellen Heimat (Leistners Familie lebt noch in Dresden) spielte, ein "Judas" oder gar ein "Hurensohn" sei.

GER ONLY Toni Leistner HSVimago images / Steffen KuttnerBild: imago images / Steffen Kuttner

"Ich bin nach dem Spiel von der Tribüne meiner Heimatstadt aus massiv beleidigt worden. Damit kann ich normalerweise umgehen. Doch dann ging es extrem unter die Gürtellinie gegen meine Familie, meine Frau und meine Tochter", sagte der Verteidiger unmittelbar nach seinem Sturm in den Dynamo-Fanblock und seiner tätlichen Auseinandersetzung mit einem "Fan", der Leistners schwangerer Frau eine Fehlgeburt gewünscht haben soll.

Auch das rechtfertigt sicherlich keine Gewalt. Das Handeln von Leistner - so strafbar und dämlich es auch gerade vor dem Hintergrund der aktuellen Situation bezüglich der Kontaktbeschränkungen in Corona-Zeiten auch ist - erhält so im Zusammenhang mit dem Frust über ein vorausgegangenes 1:4-Debakel aber zumindest einen nachvollziehbareren Hintergrund.

Dynamo Dresden schützt Leistner: Eine Warnung an Pöbler

Während der DFB-Kontrollausschuss am Dienstag berechtigterweise ein Ermittlungsverfahren gegen Leistner für seinen Tribünensturm einleitete, eilte ihm sein Ex-Klub, bei dem er 2011 zum Profi wurde, zur Hilfe.

Es sei "einfach nur beschämend", dass Leistner "derart von einem Fan seines Heimatvereins beleidigt wurde", teilte der Klub via Twitter mit und kündigte an, den pöbelnden Fan ausfindig machen zu wollen.

Ein starkes Zeichen an den ehemaligen Spieler, seine Angehörigen und eine Warnung an jene Fußball-Fans, die sich in einem Stadion in einem ähnlich anonymen Raum wähnen wie dem Internet und ohne Hemmungen Beleidigungen auf übelste Art loslassen.

Auch im Fußball-Kontext muss es Grenzen geben. Dabei geht es nicht um die mittlerweile zum Alltag gewordenen Verbalinjurien wie jene, mit denen Hopp und Werner bedacht wurden. Davon bekommen Fußballer auf dem Feld ohnehin kaum etwas mit oder fühlen sich gar noch angespornt dadurch.

Aber auch als hochbzehalter Profi muss man sich nicht alles gefallen lassen. Als Eric Dier von Tottenham Hotspur im März 2020 wie Leistner die Tribüne stürmte und sich einen Fan, der seinen Bruder beleidigt hatte, greifen wollte, erhielt er eine Vier-Spiele-Sperre und eine saftige Geldstrafe. Viel mehr sollte es in Leistners Fall auch nicht sein.

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