Kevin-Prince Boateng Interview DAZN Goal

Kevin-Prince Boateng im Interview: "Ich dachte, mein Berater meint Espanyol"


EXKLUSIV

Kevin-Prince Boateng ist ein Typ. Offen und ehrlich, authentisch, ungemütlich. "Typen, die laut werden oder anecken", sagt Boateng, "sind nicht mehr erwünscht. Die sind auch größtenteils ausgestorben."

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Eine Stunde nimmt sich Boateng in Barcelona Zeit für ein ausführliches Interview mit Goal und DAZN. Er ist gut drauf, lacht viel, spricht über seinen überraschenden Wechsel zu Barca und was er dabei als Erstes dachte, über den "unglaublichen" Lionel Messi, Ronaldinho oder Fallrückzieher als Libero in der F-Jugend.

Es entwickelt sich aber auch ein ernstes Gespräch. Eines über Fehler, Rassismus, das vorläufige Nationalmannschafts-Aus seines Halbbruders Jerome oder das Ziel, eine zweite Karriere als Spielerberater zu starten.

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Kevin-Prince, Ihr Wechsel von Sassuolo zum FC Barcelona kam für die breite Masse ebenso überraschend wie plötzlich. Wie war es für Sie?

Boateng: Es ging auch für mich sehr schnell. Ich habe wohl einfach den besten Berater der Welt (lacht). Er hat mich eines Tages angerufen und gesagt: 'Du musst gegen Inter gut spielen, da schaut jemand zu.' Wer zuschaut, hat er mir erst nach dem Spiel verraten. Auch Roberto De Zerbi, mein Trainer bei Sassuolo, kam vor dem Spiel zu mir und sagte, ich müsse gut spielen, weil die Partie sehr wichtig sei. Ich hatte also Druck von allen Seiten. Aber unter Druck spiele ich am besten. Ich war der beste Mann auf dem Platz und im Anschluss kam mein Berater zu mir und sagte: 'Wir gehen nach Barcelona!'"

Was haben Sie in diesem Moment gedacht?

Boateng: Ich dachte, er meint Espanyol. Aber er hat sofort gesagt: 'Nein, die Richtigen.' Das war unglaublich. Ich habe es nicht glauben können, bis mich der Sportdirektor angerufen hat.

Kaum waren Sie in Barcelona, wurde bei Ihnen eingebrochen. Wie frustrierend ist das zum Start?

Boateng: Ich wurde im Vorfeld gewarnt, dass das hier häufiger passiert. Auch bei meinen Mitspielern wurde schon eingebrochen. Bei Gerard Pique sogar schon dreimal. Natürlich ist das nicht schön, man fühlt sich unsicher. Auch fußballerisch lief es zu Beginn noch nicht so, wie ich mir das vorgestellt habe. Da hinterfragt man sich schon, ob das der richtige Schritt war. Mittlerweile bin ich aber an einem Punkt angelangt, an dem ich alles positiv sehe. Ich mache mir nicht mehr so viele Gedanken wie am Anfang.

Wie sind Sie mit Ihrer Situation umgegangen?

Boateng: Es war von Anfang an klar, dass ich als Ersatzmann eingeplant werde. Ich soll einspringen, wenn beispielsweise Luis Suarez einmal müde ist. Zuletzt stand ich einige Male nicht im Kader, weil alle fit waren. Das verstehe ich.

Geben Sie sich mit dieser Situation zufrieden?

Boateng: Natürlich nicht. Wenn ich mich damit zufriedengeben würde, könnte ich aufhören, Fußball zu spielen. Ich habe am Anfang mit der Situation gehadert und es nervt mich, wenn ich nicht dabei bin, weil ich der Meinung bin, dass ich noch voll im Saft stehe. Aber ich kann mich nicht beschweren. Barcelona ist der beste Klub der Welt, meine Mitspieler heißen Ousmane Dembele, Philippe Coutinho, Suarez oder König Lionel Messi. Soll ich vorschlagen, dass man diese Jungs stattdessen auf die Tribüne setzt? Der Klub hat sehr viel Geld in diese Spieler investiert. Ich kann nur Vollgas geben und mich anbieten.

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Apropos König Messi. Wie nehmen Sie ihn wahr?

Boateng: Wenn man gegen ihn spielt, sieht man, dass er stark ist. Wenn man jeden Tag mit ihm auf dem Platz steht, sieht man, wie unglaublich er ist.

Was macht ihn so unglaublich?

Boateng: Wenn er Lust hat, macht er zwei oder drei Tore. Wenn wir mit 0:1 in Rückstand geraten, wird er sauer, macht drei Tore und wir fahren danach mit einem lockeren Sieg zurück nach Hause.

Ist er ein Anführer?

Boateng: Natürlich. Wenn man einen Spieler in der Mannschaft hat, der jedes Spiel entscheiden kann, ist er ein Anführer. Lionel redet zwar nicht viel in der Kabine, aber, wenn es drauf ankommt, äußert er sich. Er ist so stark, dass man ihm folgen muss.

Haben Sie innerhalb der Mannschaft spezielle Bezugspersonen?

Boateng: Ich wurde von allen sehr freundlich empfangen. Am ersten Tag haben mich meine neuen Mitspieler umarmt und mich willkommen geheißen. Es gibt ein paar Spieler, mit denen ich etwas enger bin. Marc-Andre ter Stegen oder Ivan Rakitic zum Beispiel. Arturo Vidal ist auch so ein Verrückter, ihn kannte ich noch aus Italien. Wir haben damals oft gegeneinander gespielt. Insgesamt verstehe ich mich aber mit allen Mitspielern seht gut.

Sie erleben ter Stegen jeden Tag im Training. Ist es gerechtfertigt, dass er in der Nationalmannschaft nur die Nummer zwei ist?

Boateng: Für mich müsste er die Nummer eins sein. Er glänzt in jedem Spiel mit seinen Paraden und seiner Ruhe am Ball. Das soll nicht heißen, dass ich Manuel Neuer etwas Böses will. Auch er ist ein überragender Torhüter. Aber gerade jetzt, im Zuge des Umbruchs bei der Nationalmannschaft, wäre es angebracht, dass Marc-Andre die Nummer eins ist. Das hätte er sich verdient.

Sie haben vor der WM 2014 gesagt, dass im DFB-Team die viel zitierten "Typen" fehlen.

Boateng: Das hat man mir dann auch um die Ohren gehauen, als Deutschland Weltmeister geworden ist (lacht).

Sehen Sie diese Typen denn mittlerweile?

Boateng: Ich meinte damals Spieler, die mal dazwischenhauen. Spieler vom Schlag Jens Jeremies zum Beispiel. Jetzt gibt es andere Typen, Spieler die ruhiger sind, aber mit guten Leistungen vorangehen. Hier würde ich Leroy Sane oder Serge Gnabry nennen. Typen, die laut werden oder anecken, sind nicht mehr erwünscht. Die sind auch größtenteils ausgestorben.

Finden Sie es schade, dass polarisierende Spieler kaum noch zu finden sind?

Boateng: Der Fußball hat sich einfach verändert. Um noch einmal auf Messi zurückzukommen: Er ist auch niemand, der herumbrüllt. Er zeigt mit Leistung, dass er ein Typ ist. Das ist heutzutage einfach so.

Ernesto Valverde Kevin-Prince Boateng Sevilla Barcelona Copa del Rey 23012019Getty

In den spanischen Medien gelten Sie und Arturo Vidal als Spieler, die das elegante Spiel Barcas zerstören. Geht Ihnen das nahe?

Boateng: Nein, überhaupt nicht. Genau aus diesem Grund wurden wir verpflichtet. Arturo und ich hauen dazwischen. Arturo wird in Barcelona geliebt. Wenn er eingewechselt oder ausgewechselt wird, steht das ganze Stadion. Er bringt eine Facette ins Spiel, die es bei Barca jahrelang nicht gab. Vielleicht wurde diese Spielweise hier früher nicht gebraucht, aber gerade jetzt, wenn man in der Champions League gegen englische, körperlich starke Mannschaften spielt, kommt man nicht immer mit Tiki-Taka weiter. In solchen Spielen helfen auch Typen wie Arturo, die dazwischenfegen.

Sie sollen zwischenzeitlich das Training geschwänzt haben. Was ist dran an den Gerüchten?

Boateng: Das ist riesiger Unsinn. Normalerweise gehe ich nicht auf Zeitungsberichte ein, aber diesmal musste ich mit einem Post bei Social Media darauf reagieren. Mich hat genervt, dass irgendetwas Negatives geschrieben wurde, obwohl es nichts Negatives gab.

Für Barca ist in dieser Saison das Triple möglich.

Boateng: Das ist das Ziel, so wird es auch jeden Tag im Verein kommuniziert. Hier zählt nur, zum Spiel zu fahren, zu gewinnen und am Ende alle drei Pokale mitzubringen.

Wie realistisch ist das Triple nach dem Gewinn der Meisterschaft?

Boateng: Sehr realistisch. Das Finale der Copa del Rey gegen Valencia können wir gewinnen und die Champions League ist ein ganz spezieller Modus, da schaltet jeder noch mal einen Gang hoch. Viele große Vereine sind schon ausgeschieden, dementsprechend haben wir auch da eine Chance auf den Titel.

Als der Wechsel bekanntgegeben wurde, gab es Wirbel um eines Ihrer Tattoos: eine Krone. Hat das Tattoo etwas mit Real Madrid zu tun?

Boateng: Nein, gar nicht. Ich habe das Tattoo, weil mein Name Prince ist, das habe ich mir mit 18 Jahren stechen lassen. Das hat nichts mit Real Madrid zu tun.

Also war Real auch nie Ihr Lieblingsverein?

Boateng: Ich habe immer gesagt, dass ich Real Madrid mag. Aber mein Lieblingsverein ist der FC Barcelona.

Sie wurden von Barcelona als Mittelstürmer verpflichtet, können aber zwischen defensivem Mittelfeld und Angriff jede Position spielen. Ist diese Flexibilität eher Fluch oder Segen?

Boateng: Am Ende ist es eher zum Fluch geworden. Zunächst fand ich es positiv, mehrere Positionen zu lernen. Während meiner Zeit bei Schalke 04 habe ich mal auf der Sechs gespielt, mal als Zehner, mal ganz vorne oder auf den Außenbahnen. In beinahe jedem Spiel hatte ich eine andere Position, auf der jeweils andere Eigenschaften gefragt sind. Es ist nicht immer einfach, so schnell umzudenken.

Sie zeichnet Ihre hohe Spielintelligenz aus. Wie haben Sie sich diese angeeignet?

Boateng: Die habe ich vom lieben Gott geschenkt bekommen. Ich war nie der Schnellste oder der beste Techniker. Das konnte ich dank meiner Spielintelligenz ausgleichen.

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Und welche Position spielen Sie am liebsten?

Boateng: Die Zehn ist meine Lieblingsposition. Aber mittlerweile spielt kaum noch eine Mannschaft mit echtem Spielmacher. 

Haben Sie sich vor Ihrem Wechsel Barcelona-Spiele angeschaut, um zu analysieren, wie Sie sich in diesem Spielsystem zu verhalten haben?

Boateng: Nein, das würde ich nicht sagen. Das hat man in der DNA. Wenn man auf dem Platz steht, lernt man ganz schnell, was verlangt wird. Man braucht bei einem neuen Verein ungefähr zwei Wochen, um zu verstehen, wie die Philosophie aussieht. Einen Tag nach meinem Wechsel habe ich mein Debüt gegeben und muss zugeben, dass das schwierig war.

Hat es Ihnen geholfen, dass Sie Ihre ersten Schritte auf dem Bolzplatz gemacht haben?

Boateng: Auf jeden Fall. Ich habe immer gesagt, dass die besten Spieler von der Straße kommen. Die wissen ganz genau, worum es beim Fußball geht. Andere wichtige Aspekte wie eine taktische Ausbildung kommen erst danach. Aber nach oben kommst du, wenn du weißt, wie du mit dem Ball umzugehen hast.

Gibt es die typischen Straßenfußballer heutzutage überhaupt noch?

Boateng: Die findet man jedenfalls nicht mehr so oft. Heutzutage werden die guten Spieler mit sieben oder acht Jahren von der Straße geholt und in die Jugendleistungszentren gesteckt. Dort werden sie wie Profis auf die Zukunft vorbereitet. 

Bewerten Sie diese Entwicklung als positiv?

Boateng: Das kommt auf den jeweiligen Spieler an. Manch einer braucht die Straße, um sich zu entwickeln, für einen anderen ist es vorteilhaft, früh professionell ausgebildet zu werden. Für mich persönlich war es sicherlich hilfreich, auf der Straße gelernt zu haben. Vielleicht wäre aus mir nichts geworden, wenn ich früh in eine Fußball-Akademie gekommen wäre.

Es hat aber auch dazu geführt, dass Sie zu Beginn Ihrer Karriere Probleme mit der Disziplin hatten.

Boateng: Die Disziplin war schon da, aber ich fand es damals cool, sie ein bisschen nach hinten zu schieben. Vielleicht hätte mir die Akademie als Person weitergeholfen. Fußballerisch bin ich der Meinung, dass die Straße der beste Ort für meine Ausbildung war.

In der F-Jugend haben Sie als Libero angefangen. Wie hat man sich das vorzustellen?

Boateng: Ich war der einzige Libero, der den Ball hochgenommen und per Fallrückzieher nach vorne geschossen hat (lacht). Daran kann ich mich noch erinnern. Mein Trainer hat damals gesagt, dass der technisch stärkste Spieler hinten spielen soll. Das habe ich nicht verstanden. Ich stand hinten rum, war Kapitän und habe die Bälle nach vorne gehauen.

Ihre Trainer in der E-Jugend hatten eine ähnliche Philosophie wie sie bei Ajax Amsterdam gepflegt wird. Inwiefern hat Ihnen das weitergeholfen?

Boateng: Das hat mir sehr weitergeholfen. Schönen Gruß an Dennis-Hoy Ettisch und Frank Friedrich an dieser Stelle. Das waren zwei überragende Trainer, die alle Spieler hervorragend ausgebildet haben. Die haben sich viel von der Ajax-Schule abgeschaut. Wir hatten sogar ähnliche Trikots wie Ajax, rot-weiß gestreift. Obwohl die Vereinsfarbe der Reinickendorfer Füchse grün war.

Welche Zeit in Ihrer Karriere war die prägendste?

Boateng: Die Jahre in Mailand. Dort habe ich gelernt, was es heißt, Profi zu sein, was es heißt, ein Mann zu sein und was es heißt, Familienvater zu sein. Das haben mir meine damaligen Mitspieler beigebracht. Da zog man nicht mehr nach dem Training miteinander um die Häuser. Jeder fuhr zurück zu seiner Familie.

Das war zu Beginn Ihrer Laufbahn noch anders?

Boateng: Natürlich, da haben die Kumpels noch beim Training vorbeigeschaut und danach hat man gefeiert, dass man bei den Profis mitmachen durfte.

Waren Sie ein Vorbild für Ihre Kumpels, weil Sie gezeigt haben: Man kann es aus Berlin-Wedding herausschaffen, wenn man hart an sich arbeitet?

Boateng: Ja, das haben meine Freunde mir gesagt. Auch diejenigen, mit denen ich heute noch Kontakt habe, sagen: 'Du hast gezeigt, dass man es von der Straße nach ganz oben schaffen kann.' Dafür sind sie mir bis heute noch dankbar. Viele meiner Kumpels haben mittlerweile selbst Kinder und sagen ihnen: 'Mit dem Boateng habe ich früher im Park zusammengekickt. Gib also Gas, dann kommst Du hier auch raus.'"

Erfüllt einen das mit Stolz?

Boateng: Sehr. Der schönste Moment für mich war, als ich Ronaldinho an die Panke nach Wedding gebracht habe. Ich war unheimlich stolz, diese Legende in die Nachbarschaft gebracht zu haben. Da habe ich gedacht: Jetzt habe ich es wirklich geschafft.

Was ist Ronaldinho für ein Typ?

Boateng: Wir hatten viel Spaß zusammen. Er nimmt das Leben nicht so ernst und lacht immer. Mit ihm kann man sich nicht streiten. Es gibt ganz wenige Spieler, die auf der ganzen Welt geliebt werden. Er gehört neben Zinedine Zidane, Andrea Pirlo oder dem brasilianischen Ronaldo zu diesen Spielern. Er hat Fußball auf einem anderen Level gespielt.

In Mailand haben Sie Ronaldinho am Ende seiner Karriere erlebt. Sie haben damals gesagt, dass er mit seinen 32 Jahren nicht mehr trainieren muss. Wie meinten Sie das?

Boateng: Ronaldinho hätte zwei Monate nicht trainieren müssen und hätte im Anschluss das Champions-League-Finale im Alleingang gewonnen. Vielleicht hätte er damals mehr trainieren können. Er wollte das aber nicht – und war trotzdem der Beste.

Bei Hertha BSC sind Sie Niko Kovac begegnet, der ebenfalls aus Wedding stammt. Verbindet die Herkunft?

Boateng: Wir haben uns sofort super verstanden. Niko hat mich anfangs zur Seite genommen und mir erklärt, wie man sich im Profi-Business zu verhalten hat. Wenn ich im Training zu viel mit der Hacke gespielt habe, hat er mich auch mal ordentlich weggegrätscht. 

War das hilfreich?

Boateng: Definitiv. Dafür bin ich ihm heute noch dankbar. Er hat mich ab und zu auf den Boden geholt, wenn ich mich wie der Coolste gefühlt habe, weil ich Fußballprofi bin.

War Kovac also auch ein Grund für Ihren Wechsel zu Eintracht Frankfurt?

Boateng: Er war der einzige Grund. Ich fand die Eintracht schon immer cool. Ich hatte immer eine Verbindung zu Frankfurt. Gegen die Eintracht habe ich mein erstes Bundesligaspiel und mein erstes Bundesligator gemacht. Mein letztes Spiel, bevor ich nach England gewechselt bin, war ebenfalls gegen Frankfurt. Auch in diesem Spiel habe ich getroffen. Deshalb habe ich gesagt: 'Das passt irgendwie.' Niko hat mich angerufen und ich habe sofort zugesagt.

Haben Sie sich in Frankfurt oder in Mailand wohler gefühlt?

Boateng: Das ist schwer zu vergleichen. Frankfurt liegt in Deutschland, in meiner Heimat. Insgesamt hatte ich in Mailand aber die beste Zeit. Ich möchte nach meiner Karriere dort leben. Aber Frankfurt hat mir ebenfalls viel gegeben. Das war ein tolles Jahr, alles lief perfekt. Es gab überhaupt keinen Ärger. Es war wichtig und schön für mich, ohne Probleme aus Deutschland wegzugehen.

Ansonsten hatten Sie fast überall Probleme. Woran lag das?

Boateng: Ich habe viele Fehler in meinem Leben gemacht, dazu stehe ich. Daraus habe ich aber gelernt. Das ist das Wichtigste. Ich schaue aber nicht mehr zurück, sondern nur noch nach vorne. Ich weiß mittlerweile, wann ich meinen Mund halten sollte. Wenn man das nicht lernt, ist man ein Holzkopf.

Bevor Sie nach Tottenham gewechselt sind, waren Sie voll des Lobes für Ihren damaligen Hertha-Trainer Lucien Favre. Was zeichnet ihn aus?

Boateng: Seine Liebe zum Fußball und seine Visionen. Er war der erste Trainer, der den Tiki-Taka nach Deutschland gebracht hat. Es hat ihn gestört, wenn der Ball lang weggeschlagen wurde. Er wollte alles spielerisch lösen. Das hat mir sehr imponiert, aber zu diesem Zeitpunkt war ich quasi schon mit einem Bein in England.

Hat er Sie zum Bleiben bewegen wollen?

Boateng: Ich habe ihm damals gesagt, dass ich bleiben möchte. Darauf hat er, der seine Spieler siezt, geantwortet: 'Sind Sie verrückt? Sie müssen gehen, das ist Tottenham.' Er hat gesagt, dass ich diese Chance ergreifen sollte und dass Hertha zu klein für mich sei.

Würden Sie den Wechsel zu Tottenham im Nachhinein als Fehler bezeichnen?

Boateng: Nein, auf keinen Fall. Wäre ich nicht zu Tottenham gegangen, wäre ich nicht der Spieler, der ich heute bin. Ich habe dort ein Jahr lang nur Scheiße gebaut, aber rückblickend hat es mir geholfen. Ich habe gelernt, was es heißt, Fußballprofi zu sein und wie man sich richtig ernährt. Ich habe realisiert, dass man auch mal zuhause bleiben sollte, wenn alle anderen nachts um die Häuser ziehen.

Im Anschluss wurden Sie zu Borussia Dortmund ausgeliehen. Dort haben Sie mit Jürgen Klopp zusammengearbeitet. Was macht ihn so besonders?

Boateng: Er weiß ganz genau, was er sagen muss, damit du auf den Platz gehst und für ihn sterben würdest. Das hat er allen anderen voraus. Das hat man bei Dortmund gesehen und das sieht man jetzt bei Liverpool. Er gibt selbst den Spielern, die nicht spielen, das Gefühl, dass sie wichtig sind. Unter ihm herrscht ein besonderes Wir-Gefühl.

Und wie bewerten Sie ihn rein fachlich?

Boateng: Daran kann ich mich nicht mehr so gut erinnern, das ist zu lange her. Der Fußball hat sich im Laufe der Jahre verändert, deshalb wird auch er sich verändert haben. Ich weiß nur, dass wir im Training immer Spaß hatten. 

War Liverpool nie ein Thema für Sie, nachdem Jürgen Klopp dorthin gewechselt ist?

Boateng: Andersrum: Ich war nie ein Thema für Liverpool (lacht).

Hätten Sie es gerne gesehen, wenn Liverpool Interesse gezeigt hätte?

Boateng: Für Klopp würde ich sogar nach China wechseln.

Sie wären damals gerne in Dortmund geblieben. Woran ist ein fixer Wechsel gescheitert?

Boateng: Am Geld. Es hat dem BVB damals nur ein Tor für die Europapokal-Qualifikation gefehlt. Hätte Dortmund sich damals für Europa qualifiziert, hätten sie mich gekauft. Klopp hat mich persönlich angerufen und mir mitgeteilt, dass es nicht klappt. Darüber war ich sehr traurig und da hat der sonst so harte Prince auch mal geweint. Ich habe damals geahnt, dass in Dortmund etwas Großes entstehen kann, deshalb wollte ich bleiben. Aber es sollte eben nicht sein.

Dann ging es weiter nach Portsmouth. Dort wurden Sie aufgrund eines Fouls an Michael Ballack zum deutschen Staatsfeind Nummer eins. Was löst so etwas in einem Menschen aus?

Boateng: Diese Frage lässt sich ganz einfach beantworten: Es zerstört dich.

Und wie haben Sie diese Phase überstanden?

Boateng: Ich bin ein Fighter. Ich habe mir immer ins Gedächtnis gerufen, dass ich ein Weddinger Junge bin und mich nichts herunterziehen kann. Ich muss aber sagen, dass es mir eine Zeit lang richtig schlecht ging. Irgendwann kommt dann aber der Punkt, an dem es wieder besser wird. Ich habe versucht, Gas zu geben und die Sache irgendwie vergessen zu machen.

Hat Ihnen dabei auch die gute WM mit Ghana in Südafrika geholfen?

Boateng: Auf jeden Fall. In Südafrika herrschte eine sehr positive Stimmung. Außerdem habe ich gute Leistungen gezeigt, was auch der Presse nicht verborgen blieb. Das hat mich aus diesem kleinen Loch herausgezogen.

Bei der WM stand das Duell mit Ihrem Halbbruder Jerome an. Waren Sie aufgeregt?

Boateng: Ich habe in der Nacht vor dem Spiel nicht geschlafen. Ich konnte von meinem Hotel-Balkon das Stadion sehen. Dort saß ich die ganze Nacht, habe auf das Stadion geschaut und mir ausgemalt, wie die Partie ablaufen könnte. Ich wusste, dass ganz Deutschland und ganz Ghana auf dieses Spiel und auf die Bruder-Geschichte blicken wird und habe keine Ruhe gefunden. Das war ganz schlimm. Dann ist aber letztlich alles gut gegangen. Wir haben zwar knapp verloren, aber beide Mannschaften sind weitergekommen.

Kevin Prince and Jerome BoatengGetty

Wie ist heute Ihr Verhältnis zu Jerome?

Boateng: Ganz normal.

Haben Sie nach Jeromes Nationalmannschafts-Aus mit ihm Kontakt gehabt?

Boateng: Ja, wir haben geschrieben. Ich habe ihm gesagt, dass er sich keine Sorgen machen muss und dass er irgendwann wieder eingeladen wird.

Sie sind also zuversichtlich, dass seine Karriere im DFB-Team noch nicht vorbei ist?

Boateng: Ich glaube fest daran. Er ist einer der besten Innenverteidiger der Welt. Es wird die Phase kommen, in der man ihn wieder braucht.

Die Aussage von Joachim Löw klang allerdings recht endgültig.

Boateng: Wie oft gab es diese angebliche Endgültigkeit bereits in meiner Karriere? Ich bin auch immer wieder gekommen.

Nach der WM sind Sie zum AC Mailand gewechselt und haben sich dort mit vielen Weltklassespielern um einen Platz gestritten. Wie ist es Ihnen gelungen, sich durchzusetzen?

Boateng: Mein damaliger Berater hat mir gesagt: 'Guck Dir die Mannschaft an, da können alle Fußball spielen. Alle Spieler sind überragend. Du musst derjenige in diesem Team sein, der den Technikern den Rücken freihält, derjenige, der die harten Zweikämpfe sucht.' Bis dahin hatte ich mich eigentlich immer selbst als starken Techniker gesehen. Nach seinem Tipp habe ich mein Spiel umgestellt. Ich habe vollen Körpereinsatz gezeigt, die einfachen Bälle gespielt. Genau das hat bei Milan zu diesem Zeitpunkt gefehlt. Innerhalb von zwei Monaten war ich Publikumsliebling.

Hat es Sie nicht gestört, Ihr Spiel derart umstellen zu müssen?

Boateng: Am Anfang sicherlich. Ich war immer ein Spieler, der zwischendurch gerne mal etwas Spektakuläres macht. Das Spektakulärste, was ich bei Mailand gemacht habe, waren die Zweikämpfe. Aber die positiven Reaktionen der Zuschauer und die Tatsache, dass ich nach recht kurzer Zeit Stammspieler wurde, hat mir gezeigt, dass die Umstellung richtig war. Ich habe Spieler verdrängt, von denen man nie gedacht hätte, dass sie draußen sitzen würden. Im zweiten Jahr konnte ich dann auch wieder ein bisschen zaubern (lacht).

Und im dritten Jahr hat es nicht mehr funktioniert.

Boateng: Es gab einen riesigen Umbruch im Team. Legenden gingen, neue, junge Spieler kamen. Das hat nicht so funktioniert, wie man sich das vorgestellt hatte. Ich war der bekannteste Spieler und habe die meiste Kritik abbekommen.

Wie haben Sie sich mit Zlatan Ibrahimovic verstanden?

Boateng: Sehr gut, er konnte Englisch. Als ich an meinem ersten Tag in die Kabine kam, hat er mich mit meinem Namen angesprochen. Da habe ich mir gedacht: 'Wow, er kennt meinen Namen.' Von dem Moment an haben wir uns gut verstanden. Zlatan ist ein Leader. Ich habe nie einen ehrgeizigeren Menschen kennengelernt. Wenn er im Training verliert, spricht er vier Tage lang kein Wort mit dir.

Boateng- Ibrahimovic - Milan

Kommen Sie besser mit Leadertypen zurecht oder ziehen Sie Menschen vor, die Ihnen folgen?

Boateng: Wer folgt mir denn? Ich habe niemals von mir behauptet, ein Leader zu sein. Das behaupten vielleicht andere. Nur zu reden bringt nichts, man muss auf dem Platz Gas geben, dann folgt dir jeder.

Auf Schalke waren Sie ein Leader. Zumindest im ersten Jahr, danach lief es nicht mehr. Hätten Sie sich ein anderes Ende in Gelsenkirchen gewünscht?

Boateng: Ich habe mich bei Schalke wohlgefühlt. An einem Tag bist du der Held, einen Tag später der Buhmann. Genau das hat mir aber gefallen. Es gab immer Action. Im zweiten Jahr lief es fußballerisch nicht mehr und ich wurde plötzlich als Stinkstiefel dargestellt. Das war aber nicht so. Ich habe es akzeptiert, dass ich auf die Bank gesetzt wurde. Der Rest ist Geschichte und stand in der Zeitung.

Sie hatten nach Ihrem Engagement bei Schalke unter anderem Angebote aus den USA. Hätte die MLS Sie gereizt?

Boateng: Ich wollte eigentlich einfach nur weg, raus aus diesem Wirbelsturm. Ich bin eine Person, über die ständig in den Zeitungen berichtet wird. Es gab Überlegungen, Europa zu verlassen. Aber meine Frau hat gesagt, dass wir bleiben, weil ich noch so viel zu zeigen hätte. Ich war plötzlich vereinslos, das muss man sich mal überlegen. Und jetzt spiele ich bei Barcelona. Das ist unglaublich. Ich liebe meine Geschichte, weil sie zeigt, dass es immer weitergeht. Ich habe im Camp Nou das Trikot als Startelfspieler getragen. Wer kann das schon von sich behaupten?

Nach Ihrer Zeit auf Schalke spielten Sie noch einmal für Milan und dann für Las Palmas, ehe Sie 2017 zu Frankfurt wechselten. Wollten Sie den Menschen in Deutschland beweisen, dass mit Ihnen noch zu rechnen ist?

Boateng: Genau das wollte ich. Deshalb habe ich Frankfurt auch nach einem Jahr wieder verlassen, weil alles perfekt gelaufen war. Ich wollte einfach nur zurück nach Deutschland, um den Kritikern den Mund zu stopfen. Und ich bin froh, dass Niko Kovac und Fredi Bobic mich dabei unterstützt und immer positiv über mich gesprochen haben. Niko hat mir auf dem Platz alle Freiheiten eingeräumt, damit ich beflügelt und ohne Zwänge aufspielen konnte. Er hat mir nur aufgetragen, dass ich mich um die Mannschaft kümmern soll. Wenn ein Mitspieler beispielsweise zu spät zum Training erschien, sollte ich das klären. Er hat mir dabei komplett freie Hand gelassen.

Warum kehrt beim FC Bayern keine Ruhe um Kovac ein?

Boateng: Jeder Trainer, der jetzt bei den Bayern wäre, hätte Probleme. Niko hat das bis jetzt sehr gut gemacht. Kaum jemand hätte zwischenzeitlich damit gerechnet, dass er bis zum Ende der Saison Trainer bleibt. Ich habe aber immer an ihn geglaubt.

Wie haben Sie seinen Wechsel von Frankfurt nach München wahrgenommen?

Boateng: Es war ein Kindheitstraum von ihm, irgendwann den FC Bayern zu trainieren. Seit er in München gespielt hat, hat er seine Beziehungen dorthin gepflegt. Als herauskam, dass er Frankfurt verlässt, wurde er dort etwas runtergemacht. Ich habe ihm sofort gesagt: 'Geh Deinen Weg! Du hast in Frankfurt alles gegeben, was Du geben konntest.' Dass er dann mit dem Pokalsieg ging, war natürlich wunderschön. Nach dem Spiel haben wir noch auf dem Platz geweint.

War der Pokalsieg Ihr emotionalster Titel?

Boateng: Ja, weil einfach alles gepasst hat. Zuhause in Berlin als Außenseiter den großen FC Bayern zu schlagen - das war traumhaft.

Kevin-Prince Boateng Eintracht Frankfurt DFB-Feier 19052018Getty

Wenn Kovac in Frankfurt geblieben wäre, hätte Sie das zu einem Umdenken bewogen?

Boateng: Nein, ich wäre trotzdem gegangen.

Wie bewerten Sie die Leistungen der Frankfurter in dieser Saison?

Boateng: Es macht mich stolz, weil sie tollen Fußball spielen. Ich bin glücklich, dass ich in der vergangenen Saison meinen Teil dazu beigetragen habe, dass Frankfurt im Europapokal spielen darf. Wenn ich nicht selbst spiele, schaue ich jedes Eintracht-Spiel. Ich freue mich einfach für die Jungs, das haben sie sich verdient.

Sie haben mit Luka Jovic bei der Eintracht gespielt. Wäre er ein Spieler für Barcelona?

Boateng: Luka ist ein Spieler, der jedem Top-Verein weiterhelfen kann. Als ich noch da war, hat er selten gespielt, weil ihm die nötige Reife etwas gefehlt hat. Aber seine überragende Qualität konnte man damals schon sehen. Er ist beidfüßig, schnell, kopfballstark und hat eine hervorragende Technik. Er bringt alles mit. Wenn er nicht abhebt, wird er irgendwann bei dem besten Klub der Welt spielen.

Glauben Sie, dass er im Sommer zu Barca kommt?

Boateng: Das weiß ich nicht. Alle Top-Klubs sind aktuell hinter ihm her. Er wird im Sommer gemeinsam mit seinem Berater auf einer Yacht sitzen und sich für einen von zehn lukrativen Verträgen entscheiden. Ich glaube nicht, dass er in Frankfurt bleibt.

Sie haben mittlerweile bei über zehn Vereinen gespielt. Kann man so einen Karriereweg planen?

Boateng: Ich habe gar nichts geplant. Nur ein einziges Mal konnte ich mir Zeit für eine Entscheidung nehmen. Das war, als ich nach Tottenham gewechselt bin. Damals gab es auch Gespräche mit Sevilla. Manchmal entstand ein Wechsel auch aufgrund einer verrückten Idee. Wie jetzt der Transfer zu Barcelona. Ich habe in den vergangenen drei Jahren in vier verschiedenen Ländern gespielt.

Haben Sie im Vorfeld des Wechsels zu Barcelona mit Trainer Ernesto Valverde telefoniert?

Boateng: Ja, wir haben telefoniert. Es ist mir wichtig, dass ein Trainer mich verpflichten möchte. Wenn das Präsidium die Entscheidung fällt, einen Spieler zu holen, obwohl der Trainer nicht davon überzeugt ist, sollte man als Spieler nicht dorthin wechseln.

Sind Sie mit Ihrer Karriere zufrieden?

Boateng: Ich bin rundum zufrieden. Ich habe bei Top-Vereinen und bei kleineren Klubs gespielt, aber bei allen etwas hinterlassen, an das sich die Menschen ewig erinnern werden.

Sie wurden einst als Jahrhunderttalent gehandelt. Warum ist letztlich nichts aus der prophezeiten Mega-Karriere geworden?

Boateng: Der Kopf ist ausschlaggebend. Bei mir ist der zu spät angesprungen.

Bereuen Sie, dass der Kopf nicht eher angesprungen ist?

Boateng: Natürlich bereue ich das. Ich hätte als 18-Jähriger einen Berater oder eine Familie gebraucht, die mich in die richtige Richtung schubsen. Das hätte ich schon gerne gehabt. Aber ich musste alles selbst regeln. Ich weiß ganz genau, dass es bei mir auch am Willen gescheitert ist, der nicht immer zu hundert Prozent da war. Hätte ich diesen Willen gehabt, wäre ich bei Barcelona Stammspieler gewesen oder hätte zehn Jahre für Real Madrid oder Manchester United gespielt.

Wenn Sie Ihren Werdegang Revue passieren lassen – wofür steht Kevin-Prince Boateng jetzt?

Boateng: Ich möchte ein Vorbild für die Jugend sein. Nach meiner aktiven Laufbahn möchte ich deshalb auch Berater werden. Kein Berater, der das schnelle Geld sucht, sondern jemand, der den Jungs auch bei Lebensfragen zur Seite steht, die nicht zwangsläufig mit dem Fußball zusammenhängen: Wie legt man beispielsweise sein Geld vernünftig an? Es gibt zahlreiche Beispiele von Spielern, die nach ihrer Karriere 35 Jahre alt sind und mit leeren Händen dastehen, weil sie ihr komplettes Geld ausgegeben haben. So soll es den Jungs, die ich betreue, nicht gehen.

Kevin-Prince Boateng FC BarcelonaTwitter / FC Barcelona

Das ist definitiv Ihr Plan?

Boateng: Der Plan steht zu hundert Prozent. Ich will die Fußballschuhe abgeben, den Koffer packen und dann geht’s los.

Wann könnte dieser Zeitpunkt gekommen sein?

Boateng: Wenn ich die Champions League gewonnen habe, bin ich auf jeden Fall weg. Dann gehe ich irgendwo noch zwei oder drei Jahre kicken. Ich habe irgendwann einmal spaßeshalber gesagt, dass ich aufhöre, wenn Marius Wolf Nationalspieler wird. Also: Jogi, lass Dir ruhig noch ein bisschen Zeit (lacht).

Sie setzen sich vehement gegen Rassismus ein. Was fühlen Sie, wenn Sie beispielsweise das Video von Andre Vogt sehen?

Boateng: Das macht mich traurig. Ich verstehe die Menschen nicht, die solche Vorfälle filmen, aber nichts unternehmen. Diese Menschen sollten stattdessen hingehen, denjenigen am Kragen packen und sagen: 'Hör auf jetzt!' Aber das macht niemand. Wir müssen etwas dagegen unternehmen.

Wie kann man das in den Griff bekommen?

Boateng: Nicht nur filmen, sondern direkt zu den Menschen gehen, die zum Beispiel Affenlaute machen und sie zur Rede stellen. Ich finde es erstaunlich, dass diejenigen, die Sane und Gündogan in Wolfsburg beleidigt haben, zugegeben haben, dass sie Rassisten sind. Aber man muss vielmehr über die Medien gehen. Auch in der Schule muss Aufklärungsarbeit betrieben werden. Es kann doch nicht sein, dass mehr über Pyrotechnik diskutiert wird als über solche Vorfälle.

Cacau, Integrationsbeauftragter des DFB, hat gesagt, das seien Einzelfälle.

Boateng: Das ist der ganz falsche Weg. Ich möchte ihn nicht kritisieren, aber ich verstehe nicht, wie man so etwas sagen kann. Da wurden Spieler beleidigt, nur, weil sie eine andere Hautfarbe oder Herkunft haben. Auch mir ist so etwas widerfahren. Das ist schon so lange her, aber wir sitzen immer noch hier und reden über dieses Thema. Ich versuche, die Leute darauf hinzuweisen und möchte demnächst ein Projekt ins Leben rufen. Da arbeiten wir dran. Aber jeder muss etwas dagegen unternehmen. In Deutschland marschieren 6000 Neonazis auf der Straße und die Polizei läuft nebenher. Das ist doch eine klare Straftrat, also müssen diese Leute bestraft werden.

Also möchten Sie sich nach Ihrer Karriere auch dieser Thematik widmen?

Boateng: Ich werde auf jeden Fall weiter gegen Rassismus vorgehen. Ich bin mit der UN in gutem Kontakt, da möchte ich nach meiner Karriere einige Projekte unterstützen. Da wird sicherlich noch etwas kommen.

Abschließend: Für was möchte Kevin-Prince Boateng den Menschen im Gedächtnis bleiben?

Boateng: Ehrlichkeit.

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