Kevin Hansen: 1,3 Tonnen Kokain, Knast und ein Tor gegen Kahn

Am frühen Morgen des 12. April 2010 wird Kevin Hansen von etwas geweckt, das wie ein lauter Hammerschlag direkt in seiner Hamburger Wohnung klingt. Er schreckt hoch, noch ganz benebelt vom ihn noch kurz zuvor fest im Griff habenden Tiefschlaf. Er hört Männergeschrei. "Die Hände nach oben", brüllt jemand. Die Tür fliegt auf und vor dem Bett des 30-Jährigen stehen acht Elitepolizisten vom MEK, die Waffen im Anschlag, die Visiere ihrer Helme nach unten geklappt.

"Das war der schlimmste Tag in meinem Leben", sagte er 11 Freunde, drei Jahre nach dem Tag, an dem er in Handschellen gelegt, abgeführt und in ein Hamburger Gefängnis gebracht worden war. Es war der Tag, in dem das unglückliche Leben Hansens endgültig aus den Fugen geriet. Der Tag, an dem er viel zu schnell aus der Kurve flog, nachdem er schon eine ganze Weile bedrohliche Schieflage gehabt hatte.

Hansen wurde vorgeworfen, tief in den größten Drogenskandal der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland verstrickt zu sein. Am Hamburger Hafen waren über 1,3 Tonnen Kokain in einem Containerschiff gefunden worden, versteckt in Holzbricketts aus Sägemehl und Holzkleinteilen. Bereits seit 2009 war die Drogenfahndung einer siebenköpfigen Bande auf den Fersen, die den Deal ihres Lebens plante und Koks im Wert von 40 Millionen Euro aus Paraguay nach Deutschland und dann über die Grenze in die Niederlande schmuggeln wollte.

Die Boulevardpresse übertraf sich in sensationsheischenden Überschriften selbst, die Behörden feierten ihren spektakulären Erfolg. Nachdem sie einige Monate lang jedes Telefonat abgehört hatten, schlugen sie mit über 200 Mann an rund zehn verschiedenen Orten zu. Sie stellten nicht nur die Drogen sicher, sondern auch Waffen, Bargeld, Beweismittel. Alle mutmaßlich Beteiligten wurden festgenommen. Unter ihnen: Kevin Hansen, ehemals eines der größten Talente seines Jahrgangs, neun Bundesligaspiele.

Im ersten Spiel bezwingt er Kahn

Doch von vorne. Im August 1979 wurde er in Hamburg geboren. Mit seinen Eltern besuchte er die Spiele im Volksparkstadion, sein Lieblingsspieler war Thomas Doll. In seiner Freizeit trainierte er wie seine Idole mit der Raute auf dem Trikot hart. Früh war erkennbar, dass es da in Hamburg einen besonderen Burschen gab. Vor allem sein Schuss war früh herausragend. Regelmäßig traf er aus der Distanz, schon in der D-Jugend.

Er heuerte bei Hansa Rostock an, wurde mit der 2. Mannschaft Meister. Sein Ruf als toller Techniker, eleganter Spielmacher und knallharter Distanzschütze eilte ihm voraus. Mit 21 stand er am 34. Spieltag gegen den großen FC Bayern im Profikader. In der 70. Minute wurde er von Armin Veh eingewechselt. Zwölf Minuten später, fiel ihm der Ball im Münchner Strafraum vor die Füße. Er überlegte nicht lange, sondern schob ein. In seinem ersten Bundesligaspiel hatte er Oliver Kahn bezwungen! Nach dem Spiel weinten sie alle drei vor Glück: Hansen selbst und seine Eltern.

Ihm lag die Welt zu Füßen. Das dachte er damals, wie man es als blutjunger Kerl eben so tut. Und Hansa frohlockte, in ihm einen Ausnahmefußballer in den eigenen Reihen zu haben. "Nicht viele in der Bundesliga haben so eine tolle Schusstechnik wie Kevin", sagte Veh und noch heute berichten ehemalige Mitspieler davon, wie er im Training die Freistöße, das Standbein wie bei David Beckham in Schräglage, ins Tor schlenzte. Das konnte er gut, Schweres leicht aussehen zu lassen. Er nahm dann Anlauf, schwang sein Bein durch und wenig später verursachten Ball und Tornetz ein sattes Geräusch.

Ein Augenblick ändert alles

Dass er dennoch nur acht weitere Spiele in der deutschen Beletage absolvierte und nie wieder ein Tor schoss, lag an jenem Unglück im Februar 2003. Auf gefrorenem Untergrund landete er unglücklich, nachdem er zum Kopfball hochgestiegen war. Es knackte so laut, dass alle Mitspieler es hören konnten. Die niederschmetternde Diagnose: Knöchelbruch!

Hansen versuchte alles gegen die Schmerzen. Er wurde zehnmal operiert, flog nach Basel zu einem der Besten seines Fachs. Er machte noch einige Zweit- und Drittligaspiele für Rostock und Aue, doch die Jahre der Schmerzen laugten ihn aus. 2008 ging nichts mehr. Der Knöchel machte wieder Probleme, er war müde – und Sportinvalide. Mit 28 beendete er seine Karriere und zog zurück nach Hamburg.

Er kickte ein wenig im Amateurbereich weiter. Doch er war dort unterfordert. Er war unglücklich ob der Jahre voller Pech und Schmerz, die allenthalben sein Gemüt verdunkelten. Er ging auf Partys, lernte die falschen Leute kennen – und traf einen Freund von früher wieder.

ONLY GERMANY // Kevin HansenImago

Millionenbetrag in Hansens Wohnung

Costa F. hatte ein sonniges Gemüt. Ihn kannte Hansen aus Jugendtagen in Billstedt. Im Freundeskreis wussten sie, dass er eine kriminelle Vergangenheit hat. "Wir dachten, die Zeit sei vorbei", sagt Hansen zu 11 Freunde. Costa, der frühere Bekannte, wurde sein Freund. Sie gingen feiern, schauten nächtelang Filme. Er war zum ersten Mal seit längerer Zeit glücklich. Und er vertraute Costa. So sehr, dass er ihm einen Schlüssel für seine Wohnung gab, weil der ein wenig außerhalb Hamburgs lebte.

Irgendwann erzählte Costa, dass er in der Wohnung eine Tasche voller Geld deponiert hatte. "Das war ein Millionenbetrag", sagt Hansen. Er behauptete, die Hintergründe des Geldes in seiner Wohnung nicht gekannt zu haben, dass Costa ihm gesagt habe, wenn es schief gehe, würden sie ihn raus halten. "Ich war naiv", gesteht Hansen.

Im April 2010, an einem kalten Morgen, endet das Leben des Kevin Hansen, wie er es kannte. Ein mobiles Einsatzkommando stürmte seine Wohnung, fand das Geld, das wie später bekannt wurde sowohl Beute früherer Geschäfte als auch Bezahlmittel für den geplanten Megacoup war. Er wurde verhört. Schnell boten die Ermittler ihm an, er könne aussagen und so Strafmilderung bekommen. Sie merkten bald, dass Hansen nicht der Drahtzieher war.

Er kam in Isolationshaft, während draußen Reporter das Haus seiner Eltern aufsuchten und Teile der Boulevardpresse ihn zum Drahtzieher machten. Ex-Fußballer Haupttäter beim größten Drogenfund auf deutschem Boden aller Zeiten, verkauft sich nun mal besser. Er sagt: "Warum hätte ich da überhaupt mitmachen sollen? Ich hatte keine Geldsorgen." Tatsächlich soll er rund 3000 Euro als Invalidenhilfe bekommen haben.

Kartell-Verwalter oder Opfer?

Es bleibt bis heute unklar, welche exakte Rolle er gespielt hat. Der SPIEGEL betitelt ihn als "Geldverwalter des Drogenkartells". Er selbst beteuert, ein Opfer unglücklicher Umstände gewesen zu sein.

Presse und Ermittler gleichermaßen zerbrechen sich den Kopf darüber, wie Hansen, der behütet aufwuchs und ein kleinbürgerliches Leben führte, in den Dunstkreis eines spektakulären Schmuggels geraten konnte. Und die Fragezeichen über der Bande, die in Ermittlerkreisen "Los Paraguayos" genannt wird, sind nicht kleiner als das über Kevin Hansen. Wie ging die Transformation einiger Kleinkrimineller, die privat befreundet waren, zu Schwerverbrechern vonstatten

"Kevin hat nicht nur einen weichen Kern, sondern auch eine ganz weiche Schale", sagt einer der engsten Freunde Hansens zu SPIEGEL ONLINE. Er habe sich wohl auf etwas eingelassen, über das er schnell sämtliche Kontrolle verloren hatte.

Im Februar 2011 wird er zu zweieinhalb Jahren Gefängnis verurteilt. Die Strafe fällt nur so milde aus, weil er mit den Behörden kooperierte, immerhin ist er in den größten Drogen-Deal der Bundesrepublik involviert. Die Staatsanwaltschaft nimmt ihm seine komplette Unwissenheit letztlich nicht ab. Die finale Urteilsbegründung: Beihilfe zum Drogenhandel.

Der 12. April wird immer bleiben

Seit Ende 2012 ist Hansen auf freiem Fuß. Er arbeitet wieder, heute mit 43. Als Steuerfachangestellter, so wie vor dem Knastaufenthalt. Es ist ruhig um ihn geworden. Er ist heute glücklich, den Albtraum überstanden zu haben. So naiv wie damals ist er nicht mehr.

Die Geschichte des Kevin Hansen zeigt, wie schnell es manchmal im Leben gehen kann, wie oft falsche Entscheidungen verheerende Auswirkungen haben. Sie zeigt, wie knallhart die Fußballbranche ist, in der Verletzungen oft ein Martyrium zur Folge haben, in dem man nach Jahren des Kampfes für den großen Traum fallen gelassen, nicht mehr gebraucht wird.

Über zwölf Jahre ist es nun her, dass eine Tür in einem ruhigen Hamburger Stadtteil aufgebrochen wurde, gepanzerte Polizisten mit Schusswaffen ein Schlafzimmer stürmten und das Leben eines 30-jährigen Ex-Fußballers, der einst Oliver Kahn bezwungen hatte, in Sekunden vor seinen noch verschlafenen Augen zusammenbrach wie ein Kartenhaus. Hansen wird diesen Tag niemals vergessen. Er hat für seine Fehler bezahlt, ist heute ein anderer Mensch. Nur ganz selten vergisst er, was damals passierte. Dann steht er auf einem Fußballplatz, irgendwo in der Hamburger Provinz.

Er nimmt dann Anlauf, schwingt sein Bein durch und wenig später verschmelzen Ball und Tornetz für einen Wimpernschlag zu einem dumpfen Geräusch. Ganz kurz zählt nur dieser unschuldige Moment des Torerfolgs, den er seit frühester Kindheit kennt. Und alles ist gut, bis der Augenblick vorbei ist und sich die Erde weiter dreht.

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