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Justin Kluivert von RB Leipzig im Interview: Nouris Zusammenbruch? "Habe neu gelernt, das Leben wertzuschätzen"


INTERVIEW

Justin Kluivert spielt seit Oktober vergangenen Jahres auf Leihbasis bei RB Leipzig. Im exklusiven Interview mit Goal und SPOX spricht der junge Niederländer über seine erste sportliche Leidenschaft, die Vorzüge und Schattenseiten des Lebens als Sohn eines Fußballstars und die größten Talente, mit denen er bei Ajax zusammenspielte.

Kluivert lässt den "schlimmsten Moment" seines Lebens Revue passieren, erklärt, wie er den Herzstillstand seines Freundes Abdelhak Nouri verarbeitet hat - und warum er sich bei seinem Wechsel zur Roma für Nouris Rückennummer entschied.  

Außerdem beurteilt der 21-Jährige seine Zeit bei den Giallorossi und verrät, wie Leipzig-Trainer Julian Nagelsmann ihn besser macht. 

Justin, Sie haben einmal bei YouTube verraten, dass Ihre erste sportliche Liebe nicht der Fußball, sondern Tennis war. Wie kam es dazu?

Justin Kluivert: Als ich noch sehr jung war, lebte meine Familie in Barcelona. In der Schule wurden viele verschiedene Sportmöglichkeiten angeboten. Ich war nicht im Verein aktiv, sondern habe es einfach geliebt, draußen mit meinen Freunden Tennis zu spielen. Rückblickend ist es wirklich kurios, dass ich lieber Tennis gespielt habe.

Was waren Ihre größten Stärken im Tennis?

Kluivert: Da muss ich ganz schön lange überlegen, das ist kein gutes Zeichen (lacht). Ich war eigentlich gar nicht so gut. Ich würde aber sagen, dass ich eine passable Rückhand hatte. Ich habe schon lange kein Tennis mehr gespielt, wahrscheinlich beherrsche ich aktuell nur noch die simplen Grundschläge.

Wie hat Ihr Vater Patrick als Fußballprofi auf Ihre Leidenschaft reagiert?

Kluivert: Das war für ihn überhaupt kein Problem. Ich war noch ein kleiner Junge und er war einfach nur glücklich, dass ich Sport treibe. Er hat niemals gesagt: "Ich möchte nicht, dass Du Tennis spielst."

Warum haben Sie sich schließlich doch für den Fußball entschieden?

Kluivert: Mit der Zeit habe ich es mehr und mehr genossen, auf dem Fußballplatz zu stehen. Besonders nachdem wir aus Barcelona in die Niederlande zurückgekehrt waren. In der Nähe unseres Hauses befand sich ein Bolzplatz, auf dem alle Kinder aus der Gegend spielten. Dort habe ich mir die Basics für den weiteren Verlauf meiner Karriere geholt. Das war eine schöne Zeit.

Justin Kluivert: "Habe nicht verstanden, warum die Menschen Fotos mit meinem Vater machen wollten"

Wann haben Sie realisiert, dass Ihr Vater in Ihrer Heimat ein Idol ist?

Kluivert: Anfangs habe ich nicht verstanden, warum die Menschen ständig Fotos mit meinem Vater machen wollten. Erst als ich sechs oder sieben Jahre alt war, habe ich das verstanden und realisiert, dass er ein sehr berühmter Fußballer sein muss.

Patrick Kluivert BarcelonaGetty ImagesBild: Getty Images

Ihr Vater spielte unter anderem beim großen FC Barcelona. Welche Erinnerungen haben Sie noch an seine Zeit bei Barca?

Kluivert: Ich kann mich noch sehr gut daran erinnern, dass wir bei Heimspielen nach Abpfiff immer mit in die Kabine durften. Meine Brüder und ich, die Kinder der anderen Spieler ebenfalls. Das war natürlich toll für uns, diese großen Fußballer zu treffen. Sie hatten eine Art Bar in der Kabine mit vielen verschiedenen Getränken. Angeblich habe ich die Getränke immer stibitzt, das wurde mir zumindest so erzählt (lacht).

Sie sprachen die großen Fußballer bereits an. Beispielsweise Rivaldo, Ronaldinho, Xavi oder Puyol. Welchem Star sahen Sie besonders gerne zu?

Kluivert: Meinem Vater (lacht). Er war immer die Nummer eins für mich.

Justin Kluivert: "Ronaldo und Messi waren damals schon die Besten - und sind es bis heute"

Und als er seine Karriere beendet hatte?

Kluivert: Meine Generation ist mit Cristiano Ronaldo und Lionel Messi aufgewachsen. Ich würde sie definitiv als meine Vorbilder nennen. Sie waren damals schon die Besten - und sie sind es bis heute.

Viele Kinder träumen wahrscheinlich trotzdem davon, einen berühmten Fußballer zum Vater zu haben. Wie sehen die Schattenseiten aus?

Kluivert: Natürlich ist es in erster Linie schön. Aber es führt auch dazu, dass man immer mit seinem Vater verglichen wird. Wenn ein bekannter Fußballer einen Sohn bekommt, wird ganz genau beobachtet, wie er sich entwickelt. Die Leute stellen sich die Frage: Wird der Sohn ebenfalls Fußballer? Und wenn ja, ist er in der Lage, in die Fußstapfen des Vaters zu treten oder nicht?

Justin Kluivert Ajax 11022018Getty ImagesBild: Getty Images

Sie traten in seine Fußstapfen, spielten wie er einst in der Jugend von Ajax. Wie lief Ihr Wechsel in die berühmte Nachwuchsakademie ab?

Kluivert: Mein allererster Klub war ASV De Dijk, dann spielte ich für den AFC (Amsterdamsche Football Club, Anm. d. Red.). Ich kann mich aber nicht an konkrete Spiele von damals erinnern. Irgendwann kam mein Cousin mit alten Videokassetten vorbei. Er fragte mich: "Weißt Du eigentlich, wie gut Du schon als Kind warst?" Ich sagte ihm, dass ich nicht mehr allzu viel von damals wisse. Dann hat er mir die Kassetten vorgespielt und es war lustig zu sehen, was ich als ganz kleiner Junge bereits mit dem Ball anfangen konnte. Als ich acht Jahre alt war, wurde ich von Ajax zu einem Trainingscamp mit hundert weiteren Jungs eingeladen. Am Ende blieben acht Jungs übrig, einer davon war ich. Da war ich überglücklich.

Inwiefern gab es in Ihrem Elternhaus die Sorge, man könne Sie kritischer beäugen als die anderen Spieler?

Kluivert: Diese Angst gab es nicht. Meine Eltern haben niemals auch nur ansatzweise Druck auf mich ausgeübt oder Erwartungen an mich gestellt. Klar gab es Leute, die schon in jungen Jahren versucht haben, irgendwelche fußballerischen Parallelen zu meinem Vater zu ziehen. Das habe ich nie an mich herangelassen, sondern nur als Ansporn genommen, mich zu verbessern.

Ihr älterer Bruder Quincy spielte ebenfalls in der Ajax-Jugend, Ihr jüngerer Bruder Ruben bei Ihrem Ex-Klub AFC. Wie fiel der familiäre Konkurrenzkampf aus?

Kluivert: Ich fand es eher positiv, dass ich meinen älteren Bruder in der Ajax-Akademie um mich hatte und dass auch Ruben gut kicken konnte. Wir hatten ausschließlich Spaß und betrachteten uns nie als Konkurrenten.

Justin Kluivert über Bruder Shane: "Ich erkenne mich ein Stück weit in ihm wieder"

Ihr jüngster Bruder Shane ist 13 Jahre alt, hat fast 400.000 Follower auf Instagram und spielt beim FC Barcelona. Er gilt als Megatalent. Wie bewerten Sie den Hype um ihn?

Kluivert: Als ich in seinem Alter war, wurde auch mir mehr Aufmerksamkeit gewidmet. Je älter man wird, desto häufiger werden Vergleiche mit dem Vater angestellt. Shane hat tatsächlich sehr viel Talent und ist ein toller Fußballer, weil er ein Gefühl für den Ball hat. Das sage ich nicht, weil er mein Bruder ist, sondern weil er wirklich gut ist. Es ist sehr schön zu sehen, wie viel Spaß er auf dem Platz hat und ich erkenne mich ein Stück weit in ihm wieder.

***GER ONLY*** Shane Kluivert Patrick Kluivertimago images / InsidefotoBild: imago images / Insidefoto

Welchen Rat können Sie ihm mit auf den Weg geben?

Kluivert: Es gibt aktuell nur einen Ratschlag, den ich ihm geben kann: Hab Spaß und genieße die Zeit auf dem Platz! In diesem Alter sollte der Spaß und nichts anderes immer im Vordergrund stehen. Er entscheidet ganz alleine darüber, welchen Weg er gehen wird. Ich würde ihn niemals beeinflussen, wenn er eines Tages zu mir käme und sagen würde, dass er kein Fußballprofi werden möchte.

Nachdem Sie sämtliche Jugendmannschaften bei Ajax durchlaufen hatten, feierten Sie mit 17 Jahren Ihr Profi-Debüt. Welche Gedanken gingen Ihnen in diesem Moment durch den Kopf?

Kluivert: Ich habe als Siebenjähriger davon geträumt, eines Tages in der ersten Liga auf dem Platz zu stehen. Zehn Jahre später war dieser Traum in Erfüllung gegangen. Genau das habe ich gedacht. Die Prozentzahl der Jugendspieler, die es bis zu den Profis bei Ajax schaffen, ist wirklich gering. Einer dieser wenigen Spieler zu sein, hat sich unglaublich angefühlt. Hinzu kam, dass ich das Gleiche geschafft hatte wie mein Vater. Auch er hat als sehr junger Spieler für Ajax debütiert.

Justin Kluivert schwärmt von de Ligt und de Jong: "Vor diesem Willen ziehe ich meinen Hut"

Wen würden Sie als talentiertesten aller Mitspieler aus Ihrer Ajax-Zeit hervorheben?

Kluivert: Hier fallen mir direkt zwei Jungs ein. Einer davon ist Matthijs de Ligt, mit dem ich jahrelang gemeinsam in der Jugend gespielt habe. Er ist einer der außergewöhnlichsten Spieler weltweit und in seiner Altersgruppe einer der besten Verteidiger überhaupt. Der andere Mitspieler ist Frenkie de Jong.

Was hat die beiden so besonders gemacht?

Kluivert: Matthijs' Einstellung war unglaublich. Er ist jeden Tag ins Fitnessstudio gegangen, hatte sogar Spaß dabei. Er hat sein Ziel immer im Blick gehabt und wie verrückt daran gearbeitet, dieses Ziel zu erreichen. Vor diesem Willen ziehe ich meinen Hut. Bei Frenkie hat mich einfach sein angeborenes Talent begeistert. Wenn er den Ball am Fuß hatte, konnte man als Zuschauer nur noch staunen. Eine phänomenale Technik.

***GER ONLY*** Justin Kluivert Abdelhak Nouri Ajax Amsterdamimago images / Pro ShotsBild: imago images / Pro Shots

Einen anderen Mitspieler ereilte ein schlimmes Schicksal. Sie waren dabei, als Abdelhak Nouri auf dem Spielfeld zusammenbrach. Wie haben Sie diese Situation damals wahrgenommen?

Kluivert: Das war der schlimmste Moment meines Lebens. Ich stand einfach nur unter Schock, konnte es gar nicht glauben. In der einen Sekunde stehst Du noch mit ihm auf dem Platz und machst Späße und in der nächsten Sekunde ist alles anders. Es ging so unglaublich schnell.

Justin Kluivert über Nouri: "Habe auf eine neue Art gelernt, dass man das Leben wertschätzen muss"

Wie haben Sie das Erlebte im Anschluss verarbeitet?

Kluivert: Ich wollte alleine sein. Ich bin ein Mensch, der solch emotionale Geschehnisse mit sich selbst ausmacht. Ich habe viel nachgedacht, mich immer wieder an die vielen schönen, gemeinsamen Momente mit ihm erinnert. Ich habe noch einmal auf eine neue Art und Weise gelernt, dass man das Leben wertschätzen muss, weil es sich von einem auf den anderen Moment ändern kann.

Mit diesem schlimmen Erlebnis im Hinterkopf: Was macht Ihnen Angst?

Kluivert: Angst ist kein guter Begleiter. Das wichtigste für mich ist, dass ich später eine intakte, glückliche Familie habe - eine liebenswerte Frau und gesunde Kinder. Mehr wünsche ich mir nicht. Vielleicht ist es in gewisser Weise eine Angst, sich zu fragen, wie ich damit umgehen würde, wenn dieser Fall nicht eintreten würde.

Sie haben zu Nouris Ehren nach Ihrem Wechsel zur Roma die Rückennummer 34 gewählt, nach einem Jahr aber gegen die 99 getauscht. Was war der Hintergrund?

Kluivert: Als ich bei der Roma ankam, wollte ich mit dieser Geste meine Liebe und meine Unterstützung für meinen Freund Appie ausdrücken. Es war geplant, dass ich die Nummer 34 in meiner ersten Saison trage und danach auf die Nummer 11 umsteige. Die trug aber noch Kolarov. Dann habe ich mich für mein Geburtsjahr entschieden und die 99 genommen. Das hat auch gut gepasst.

Justin Kluivert AS Roma 2018Getty ImagesBild: Getty Images

Ihr Vater war anfangs nicht von Ihrem Wechsel nach Rom begeistert. Was ließ ihn zweifeln?

Kluivert: Im Endeffekt wollte mein Vater nur das Beste für mich. Das seiner Meinung nach Beste für mich wäre vielleicht gewesen, noch ein weiteres Jahr bei Ajax zu bleiben. Es ist wichtig, sich anzuhören, was die Eltern denken. Aber es ist auch wichtig, dass man auf sich selbst hört. Ich hatte meine Entscheidung getroffen und dabei blieb ich. Für mich hat sich der Wechsel als richtiger Schritt angefühlt.

Justin Kluivert über Zeit bei der Roma: "Das kannte ich bis dahin überhaupt nicht"

Wie würden Sie Ihren Wechsel rückblickend betrachten?

Kluivert: Es geht im Leben nicht nur darum, Entscheidungen zu treffen. Man muss danach auch zu seiner Entscheidung stehen. Aus meiner Sicht war der Wechsel sehr hilfreich. Ich habe viele tolle Momente bei der Roma erlebt, musste aber sicherlich auch das eine oder andere Tal durchschreiten. Das kannte ich bis dahin überhaupt nicht, ich hatte bei Ajax über Jahre hinweg fast immer nur positive Erfahrungen gemacht. Erstmals mit Unebenheiten konfrontiert zu werden, hat mich reifen lassen. Es war gut zu merken, dass es in einer Karriere nicht immer nur steil nach oben geht, sondern auch Tiefen gibt. Niemand schaut sich gerne einen Film an, in dem alles die ganze Zeit nur perfekt läuft.

Sie hatten sich das RB-Gelände bereits vor Ihrem Roma-Engagement angeschaut. Warum wurde 2018 noch nichts aus einem Wechsel nach Leipzig?

Kluivert: Ja, ich war tatsächlich vor zwei Jahren hier und habe mir die Trainingsanlage angesehen. Warum ich nicht damals schon herkam, kann ich nicht sagen. Umso glücklicher bin ich aber, dass ich nun bei RB spiele. Das Niveau ist sehr, sehr hoch, wir spielen in der Champions League und spielen in der Bundesliga ganz oben mit. Das sind die perfekten Bedingungen für junge Spieler wie mich.

***GER ONLY*** Justin Kluivert RB Leipzigimago images / opokupixBild: imago images / opokupix

Ihr Trainer Julian Nagelsmann ist bekannt dafür, Talente besonders zu fördern. In welchen Bereichen hat er Sie bessergemacht?

Kluivert: Ich würde sagen, in puncto Flexibilität. Er lässt mich mal auf den Flügeln spielen, mal als Zehner oder sogar als Stürmer. Das kommt mir sehr entgegen, weil ich gerne mit hohem Tempo spiele. Das Tempo kann ich auf jeder dieser Positionen nutzen. In der Bundesliga gibt es dafür noch einmal mehr Räume als in der Serie A. Der Trainer sieht sofort, dass dies ein Faktor sein kann und setzt mich entsprechend ein. Er ist so gut in seinem Job, weil er große Freude daran hat. Das merkt man ihm tagtäglich an.

Justin Kluivert: Leipzig-Verbleib? "Kann ich mir aktuell definitiv vorstellen"

Nach etwas mehr als einer halben Saison: Wie fällt Ihr persönliches Zwischenfazit aus?

Kluivert: Ich bin zufrieden. Ich weiß aber auch, dass ich in der Lage bin, noch mehr zu leisten. Nach meiner Verletzung möchte ich der Mannschaft für den Rest der Saison so gut es geht helfen. Vielleicht ja auch sogar darüber hinaus.

Hört sich ganz so an, als könnten Sie sich einen längerfristigen Verbleib vorstellen.

Kluivert: Ja, das kann ich mir aktuell definitiv vorstellen. Aber die Entscheidung liegt am Ende nicht bei mir alleine. Wir werden sehen, was die Zukunft bringt.

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