HINTERGRUND
Erstens kommt es anders, zweitens als man denkt. Das gilt im Millionen-Geschäft Profifußball wahrscheinlich häufiger denn in anderen Bereichen des Lebens. Fiete Arps rasanter Aufstieg ist ein lebendiges Beispiel dafür. Noch vor Wochen hieß es, dass das Abitur den 17-Jährigen bremsen würde. Pauken statt Fußball: Am Training der ersten Mannschaft des Hamburger SV konnte er bedingt durch seinen Lehrplan nur dienstags teilnehmen. Zumindest war das die offizielle Sprachregelung. Inzwischen scheint auf Initiative des Klubs eine Lösung gefunden worden zu sein. Es wäre auch ein Witz gewesen, wenn sich eine "Eliteschule des Fußballs" beim Thema Stundenplan nicht flexibler gezeigt hätte. Abi-Stress ist kein ernsthaftes Hindernis für ein Debüt als Profi.
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Das kleinste Problem ist somit gelöst. Das viel größere Problem aus Sicht des HSV ist seine Vertragslaufzeit. Der Kontrakt endet 2019, dann könnte er ablösefrei gehen. Schon im Sommer wollte Sportchef Jens Todt um fünf Jahre verlängern. Arp und Berater Jürgen Milewski lehnten ab. Aus gutem Grund, finde ich. Denn viele (sportliche) Argumente für einen langfristigen Vertrag in Hamburg gibt es nicht. Vor allem nicht für aufstrebende und ambitionierte Talente. Der HSV hat sich in den letzten Jahren den Ruf erworben, jungen Spielern lieber teure Routiniers vor die Nase zu setzen. Oder sie zu verleihen und sich anschließend kaum bei ihnen zu melden. Ich denke dabei an Jonathan Tah und Kerem Demirbay.
Wer zahlt, falls Kühne sich zurückzieht?
Dogmatisch hält man an der These fest, dass es mit jungen Spielern in Hamburg schwieriger sei als anderswo. Zig gescheiterte Vollprofis haben jedoch längst gezeigt, dass der "andere" Weg nur deutlich teurer, aber nicht im Ansatz erfolgreicher ist. Daher müssten der HSV und sein Umfeld ihren Leitsatz "Mit Jungen allein geht es nicht" in "Ohne die Jungen geht es nicht mehr" ändern. Fiete Arp und Tatsuya Ito sind Beweis genug dafür. Es spricht wieder einmal nicht für die hoch bezahlten Routiniers, wenn zwei Newcomer ohne jede Erfahrung in der Lage sind, das Spiel zu prägen. Oder möchte jemand bestreiten, dass Arp deutlich gefährlicher als Bobby Wood wirkt und Ito in hohem Tempo dribbeln kann wie kein anderer dieses Kaders? Natürlich brauchen sie Zeit, um sich an die Härte der Bundesliga zu gewöhnen. Aber das werden sie nicht auf der Bank oder der Tribüne.
Damit Arp nicht das gleiche Schicksal wie Tah oder Demirbay widerfährt, hat sein Berater vorgesorgt. Mit der kurzen Vertragslaufzeit hält er die Option offen, seinen Spieler frühzeitig und unkompliziert bei einem anderen Verein unterbringen zu können. Wer die "Football Leaks" aufmerksam verfolgt hat, weiß, dass jeder Profivertrag umfangreiche Klauseln beinhaltet, wie man aus ihm leicht wieder aussteigen kann. Besonders problematisch für den HSV ist derweil die Tatsache, dass auf den entscheidenden Management-Positionen ständig munter durchgetauscht wird. Somit können sich Berater auf Zusagen eines Sportchefs über Zusammenstellung und Zukunft des Kaders kaum verlassen. Auch Milewski nicht. Wer weiß beim HSV schon, wer in drei, vier Monaten noch das Sagen hat?
GettyKlaus-Michael Kühnes rechte Hand Karl Gernandt droht der Rauswurf aus dem HSV-AufsichtsratVor allem in Anbetracht der vereinspolitischen Machtkämpfe um die Besetzung des Aufsichtsrates. Es gibt Bestrebungen, Karl Gernandt und seine beiden Vertrauten Felix Goedhardt und Dieter Becken rauszuwerfen. Gut möglich, dass Investor Klaus-Michael Kühne diesen Vorgang als Affront gegen sich deuten könnte und Konsequenzen zieht. Dabei ist klar, wie wichtig der Milliardär für die Sicherung der Bundesliga-Lizenz und die Verstärkung des Kaders ist. Ohne ihn ist Sportchef Todt kaum in der Lage, Arp und seinem Berater ein lukratives Angebot zu machen. Die Gehaltskosten kann der HSV doch schon jetzt nicht mehr allein tragen. Und es wird in Zukunft tendenziell auch nicht besser werden. Im Gegenteil.
Die Perspektive heißt Existenzkampf
All das muss Arps Berater im Auge behalten - neben der sportlichen Entwicklung des HSV. Geht es in den nächsten Jahren ausschließlich darum, nicht abzusteigen? Für ein Talent, das Ambitionen hat, irgendwann Nationalspieler zu werden, eine ziemlich bescheidene Perspektive. Nur in einer guten und erfolgreichen Mannschaft wird es Arp möglich sein, das Maximum aus sich und seiner Karriere rauszuholen. Die Champions League - da lehne ich mich mal weit aus dem Fenster - wird der HSV in den kommenden zwei, drei Jahren eher nicht erreichen. Ein Abstieg in die zweite Liga ist da schon wahrscheinlicher. Und bekanntlich wird im Kampf um den Klassenerhalt ziemlich schlechter Fußball gespielt. Der Entwicklung eines Talents täte der Dauerdruck nicht gut.
Was, außer die Aussicht auf Einsätze im Existenzkampf, spricht denn eigentlich für den HSV? Das einzig gute, weil nicht zu unterschätzende Argument ist Arps tiefe und ehrliche Verbundenheit zu diesem Verein. Überzeugen können ihn die Verantwortlichen wohl nur auf der emotionalen Schiene. Er bringt beste Voraussetzungen mit, das prägende Gesicht eines neuen HSV zu werden. Vorausgesetzt die Führungsverhältnisse bleiben stabil, der Finanzier zieht sich nicht zurück und die Mannschaft entwickelt sich weiter. Dennoch steht für mich bereits heute fest, dass Arp den HSV früher verlassen wird, als es den meisten Fans lieb ist. Die Frage wird nicht sein, ob er geht, sondern ausschließlich wann.
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