Jose Baxters fußballerische Laufbahn schien vorgezeichnet, wirkte wie diese etlichen am Reißbrett geplanten Werdegänge.
Schon im Alter von sechs Jahren kam der Junge aus Bootle an der Mersey beim FC Everton unter. Er durchlief fortan sämtliche Jugendmannschaften, spielte für die U-Auswahl der Three Lions. Ein Juwel, einer derjenigen, denen eine große Karriere prophezeit wird.
2008 feierte er sein Profi-Debüt im Premier-League-Duell mit den Blackburn Rovers. Mit nur 16 Jahren und 191 Tagen. Ein Rekord, löste Baxter doch James Vaughan als jüngsten Spieler der Toffees-Historie ab. Nur eine Woche später stand er in der Everton-Startelf.
Jose Baxter: "Ich war jung und dumm"
Ganz schnell ganz oben. Dort, wo man sich mit der Fußball-Elite misst. Der Traum von Millionen, den jedoch nur eine Handvoll Menschen erreicht. Baxter lebte ihn, diesen Traum. Er wollte mehr – und fiel. Tief.
Getty Images"Ich war jung und dumm", sagt er einst in einem reflektierten, selbstkritischen Interview mit Football Focus. "Ich hatte schon in jungen Jahren eine Menge Erfolg. Das hat mir ein schlechtes Umfeld eingebracht. Ich hatte ausschließlich Ja-Sager um mich herum. Es gab dort niemanden, der gesagt hätte: 'Nein, das, was du tust, ist falsch!'"
Keine Grenzen, Leben in der Blase, Drogenkonsum
Er habe einfach nicht gewusst, wie die normale Welt funktioniere, gibt Baxter zu. "Ich wurde bei Everton quasi mit dem Silberlöffel aufgezogen, lebte in einer Blase", sagt er. "Ich hatte schon sehr früh sehr viel Geld, ich kannte diesbezüglich keine Grenzen. Ich habe die Kohle für dämliches Zeug herausgeworfen und dumme Sachen angestellt."
Konkret handelte es sich dabei um Drogenkonsum. Immer und immer wieder. 2015, mittlerweile längst nicht mehr bei Everton, sondern bei Sheffield United in der zweiten Liga unter Vertrag, handelte sich Baxter zweimal binnen neun Monaten Doping-Sperren ein. Kokain und Ecstasy.
Getty"Das gelangte natürlich an die Presse. Meine Familie erfuhr davon, alle fragten mich, ob ich okay sei", sagt Baxter und schiebt nach: "Ich erinnere mich noch an eine prägende Situation: Ich ging in Sheffield in einen Supermarkt und eine Frau sprach mich an. Sie sagte mir, sie habe ihrem Sohn erklären müssen, dass sein Lieblingsspieler ein ungezogener Junge ist. Es fühlte sich an, als würde eine Welt zusammenbrechen."
Sie brach weiter zusammen. In der Annahme, die negativen Meldungen mit Alkohol bekämpfen zu können, zog Baxter weiter um die Häuser: "Ich habe versucht, einfach in meiner Blase zu bleiben, die offensichtlichen Probleme zu verschweigen. Ich dachte, das sei der einfachste Weg."
Jose Baxter: "Ich wollte mich damals umbringen"
Weil er sich niemandem anvertraute, geriet Baxter immer mehr in einen Strudel aus Angst, Selbstmitleid und Drogen. "Das war mein schlimmster Tiefpunkt. Ich wollte mich damals umbringen", verrät er. "Wenn meine Freundin zur Arbeit ging, spielte ich ihr vor, dass es mir gut gehe. Sobald sie die Wohnung verlassen hatte, schaltete ich das Licht aus, lag stundenlang einfach da und dachte an dummes Zeug."
Er habe die Liebe zum Fußball verloren, aus Wut auf sich selbst. Wenn er sich während seiner zweiten Doping-Sperre Spiele ansah, dachte er: "Das sollte ich sein, der da gerade dieses Tor schießt, ich sollte jetzt auf dem Platz jubeln." Die Depressionen wurden schlimmer, Sheffield stellte Baxter aufgrund dessen Eskapaden im Mai 2016 frei.
GettyEin Wachrüttler, wie sich erst hinterher herausstellen sollte. "Eines Tages habe ich realisiert, dass ich entweder weiter in Selbstmitleid verfallen oder etwas gegen die Situation tun kann. Die Leute sagten mir, dass ich mich mit den falschen Menschen umgeben würde. Dafür war einzig ich selbst verantwortlich", gesteht Baxter.
Er begann sich zu öffnen, redete erstmals über sein Leid. "Ich weinte sehr viel, es tat unheimlich gut, meine Emotionen endlich herauszulassen." Baxter fand im Krafttraining ein Ventil, suchte eigenen Angaben zufolge "zwei bis dreimal täglich" ein Fitnessstudio in Liverpool auf. Bis ein Anruf sein Leben veränderte.
Ein Anruf, der alles veränderte
"Ich saß in einer Imbissbude, als ich plötzlich einen Anruf von einer unbekannten Nummer erhielt", sagt Baxter. "Normalerweise hebe ich bei anonymen Anrufen nicht ab. Aber irgendetwas sagte mir, dass ich es diesmal tun sollte." Am anderen Ende der Leitung war Bill Kenwright, der ehemalige Everton-Präsident.
"Er sagte zu mir: 'Wenn jemand Deine Karriere wieder ankurbeln darf, wäre ich gerne derjenige, der dies tut.'" Baxter habe geglaubt, bei Kenwrights Angebot würde es sich bloß um die Möglichkeit handeln, die Vorbereitung bei den Toffees zu absolvieren, um einen neuen Klub zu finden. "Selbst das wäre ein Traum gewesen", sagt er.
"Ich habe zum damaligen Zeitpunkt gemeinnützige Arbeit gemacht, mich um Leute mit Demenz und Alzheimer gekümmert", erinnert sich Baxter. "Auf einmal erhielt ich eine Einladung von David Unsworth (Evertons U23-Trainer) und Geschäftsführerin Denise Barrett-Baxendale. Sie teilten mir mit, dass sie mich mit einem Einjahresvertrag ausstatten würden."
imago images / PRiME media imagesTatsächlich kam Baxter für die Zweitvertretung Evertons in der Saison 2017/18 einige Male zum Einsatz, ehe er bei Athletic in Oldham anheuerte, wo er zwischenzeitlich von ManUnited-Legende Paul Scholes trainiert wurde. Über die Zwischenstation Plymouth Argyle landete der mittlerweile 30-Jährige in den USA, spielte für Memphis 901 in der USLC, also der zweiten US-amerikanischen Liga.
Dank an Kenwright: "Er hat mir gewissermaßen das Leben gerettet"
Eindrucksvoll, wenn man bedenkt, dass das einstige Wunderkind noch vor vier Jahren darüber nachdachte, aufgrund der Ausweglosigkeit, sein Leben zu beenden. Baxter weiß indes, wem er zu danken hat: Bill Kenwright.
"Er hat mir gewissermaßen das Leben gerettet und mir geholfen, den Fußball wieder zu lieben", sagt Baxter und ergänzt: "Als ich ein Tor geschossen habe, kam die erste Glückwunsch-SMS von ihm." Mittlerweile hat Baxter seine Karriere beendet.

