GFX Hegeler FeatureGetty Images / Imago

Jens Hegeler im Goal-Interview: Wenn der Profi-Traum zu platzen droht

Bei Legia Warschau dürfte man den Aufstieg von Robert Lewandowski zu einem der besten Stürmer der Welt wehmütig beobachtet haben. Denn als Teenager hatte der polnische Klub den Bayern-Star in seinen Reihen. Doch Legia schickte ihn weg. Zu schmächtig, zu dünn. Kurzum: In den Augen der Verantwortlichen des Klubs offenbar nicht fähig, es in den bezahlten Fußball zu schaffen.

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Ein Gefühl, das auch andere Mega-Kicker wie Marco Reus, Harry Kane oder Antoine Griezmann kennen. Sie alle wurden als Jugendspieler aussortiert oder abgelehnt. Ebenso wie Jens Hegeler. Er, heute 29 und beim englischen Zweitligisten Bristol City angestellt, legte zwar keine Weltkarriere wie Lewandowski oder Griezmann hin. Doch er schaffte das, was man ihm einst beim 1. FC Köln nicht zutraute, absolvierte bisher unter anderem 159 Bundesliga-Spiele für Leverkusen, Hertha und Nürnberg.

Mit 16, nach dem ersten B-Jugendjahr, war Hegeler in Köln aussortiert worden, musste den FC verlassen. Man befand ihn für zu klein, für zu langsam. Goal hat sich exklusiv mit ihm über die damalige Situation unterhalten - und erfahren, dass sich der Rückschritt als letztlich entscheidender Fortschritt entpuppte.

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Als 16-Jähriger wurden Sie in der B-Jugend vom 1. FC Köln aussortiert. Aus welchen Gründen?

Jens Hegeler: Mittlerweile bin ich 1,93 Meter groß, deshalb ist es heute schwer, sich das vorzustellen. Aber es gibt alte Mannschaftsfotos, auf denen ich der Zweitkleinste bin. Ich war relativ schmächtig, sehr langsam. Das macht gerade in dem Alter sehr viel aus. Fußballerisch lief alles sehr vernünftig, ich habe meistens eine Art Achter, manchmal Zehner gespielt. Aber die Physis war einfach nicht gegeben und man hat mir nicht zugetraut, dass ich mich in dieser Hinsicht noch entscheidend entwickeln würde.

Wie haben Sie die Situation damals erlebt?

Hegeler: Natürlich war das auf gewisse Weise eine Enttäuschung. Andererseits kommen solche Entscheidungen auch nicht völlig überraschend, ich bin also nicht aus allen Wolken gefallen. Man kann das ja im Laufe eines Jahres ein wenig absehen. Gerade, weil ich körperlich eher ein Spätentwickler war, schmächtiger und langsamer als alle anderen. Ich habe zwar noch relativ viel gespielt, konnte aber trotzdem sehen, dass ich nicht gerade zu den am höchsten eingestuften Spielern in meinem Jahrgang gehöre. Sondern eher einer derer bin, die auf der Kippe stehen. Das war mir bewusst. Und die Aussortierung daher kein Schock für mich.

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Mit welchen Jungs haben Sie damals beim FC gespielt? Was waren die größten Talente in Ihrem Jahrgang?

Hegeler: Aus meiner Mannschaft von damals hat es keiner bis ganz nach oben geschafft. Im 89er-Jahrgang, also ein Jahr jünger, gab es Ron-Robert Zieler, der schon häufiger bei uns Älteren gespielt hat, dann aber auch relativ früh zu Manchester United gewechselt ist. Bei den anderen war das Höchste der Gefühle später glaube ich 3. Liga.

Haben Sie den Traum vom Profi-Fußball aufgegeben, nachdem sie weggeschickt wurden?

Hegeler: Ein Stück weit schon. Klar wollte ich danach auch noch versuchen, so hoch wie möglich Fußball zu spielen, bin zu Yurdumspor Köln gegangen, die auch in der damals höchsten B-Jugendliga (Regionalliga, d. Red.) gespielt haben. Aber eher mit dem Hintergedanken, später dann vielleicht noch mit Fußball ein bisschen Geld zu verdienen, Regionalliga oder Oberliga zu spielen, um ein Studium zu finanzieren und nicht nebenbei jobben zu müssen. Der hundertprozentige Glaube war nicht mehr da – und ich habe mir auch nicht gesagt: ‚Okay, werde ich halt über Umwege Profi.‘

Haben Sie nach der Aussortierung noch Kontakt zu den Jungs vom FC gehalten? Oder war Ihr Freundeskreis ohnehin ein anderer, außerhalb des Fußballs?

Hegeler: Teils, teils. Ich hatte schon noch mit zahlreichen Jungs vom FC zu tun, weil man ja schließlich täglich miteinander trainiert hat. Ich war allerdings nie auf der Partnerschule, auf dem Internat oder bei Gasteltern, sondern habe zuhause gewohnt, bin weiter auf meine alte Schule gegangen. So hatte ich immer einen Freundeskreis, der mit dem Fußball nichts zu tun hatte. Das hat die Situation damals natürlich leichter gemacht. Wäre ich auf dem Internat oder bei Gasteltern gewesen, wäre die Ausmusterung sicher deutlich schmerzhafter gewesen.

Der Wechsel zu Yurdumspor kam dann also nicht über Freunde zustande.

Hegeler: Der damalige Trainer von Yurdumspor war sehr umtriebig und hat am Ende einer Saison geschaut, wer beim FC oder in Leverkusen aussortiert wurde, hat die Jungs dann angerufen. Zudem war es der einzige Verein, der in unmittelbarer Nähe außer Köln und Leverkusen in der B-Jugend-Regionalliga gespielt hat. Alemannia Aachen zum Beispiel wäre von der Organisation der Fahrten zu Training und Spielen schon wieder eine andere Nummer gewesen. Und ich wusste auch gar nicht, ob ich da überhaupt genommen werden würde.

GFX Info Jens Hegeler Quote

War der Schritt zurück, weg vom Nachwuchs eines Profi-Klubs, eine große Umstellung?

Hegeler: Die Umstellung war schon sehr extrem. Ich musste mich plötzlich um Dinge wie die Anreise zum Training selbst kümmern. Beim FC wurde ich gefahren, bei Yurdumspor musste ich oft mit der Bahn fahren. Ich wurde selbstständiger, die Organisation war deutlich schlechter, wir haben auf Asche trainiert statt auf Rasen. Ich glaube aber im Nachhinein, dass mir das in punkto eigenverantwortliches Handeln sehr, sehr viel gebracht hat und ich viel daraus gelernt habe. Natürlich ist es spekulativ, aber mein Gefühl ist, dass ich es auf keinen Fall in den Profi-Fußball geschafft hätte, wenn ich beim FC geblieben wäre.

Also ein Rückschritt, der sich als Fortschritt entpuppt hat?

Hegeler: Absolut. Ich habe dann bei Yurdumspor viel gespielt, den Raum bekommen, um mich zu entwickeln, Verantwortung gelernt - und hatte auch sportlich plötzlich eine deutlich wichtigere Rolle inne.

Hatten Sie wieder mehr Zeit, um mit Freunden auf der Straße oder auf dem Bolzplatz zu kicken?

Hegeler: Der Umfang war natürlich nicht mehr ganz so extrem wie beim FC. Da stehen immer wieder Turniere an, der Kalender ist vollgepackter. Bei Yurdumspor konnte man auch mal nach dem Training noch ein, zwei Stunden weiter kicken, bis es dunkel wird und musste nicht mit dem wartenden Fahrdienst nach Hause.

In der U19, zwei Jahre später, sind Sie zu Bayer Leverkusen gewechselt. Mit der Aussortierung in Köln im Hinterkopf: Hatten sie bei diesem Schritt Angst vor einer erneuten Enttäuschung?

Hegeler: Nein, eigentlich nicht. Selbst da habe ich nicht gedacht, dass ich es zu den Profis schaffe. Speziell, weil in der heutigen Zeit genügend Spieler in diesem Alter schon ihre ersten Bundesliga-Spiele hinter sich haben. Ich habe den Wechsel zu Bayer eher so gesehen, dass meine Chancen, mit Fußball ein bisschen Geld zu verdienen und ein Studium zu finanzieren, damit steigen. Als eine Art Bonus, weil ich mir ohnehin nicht mehr viel ausgerechnet hatte.

Haben Sie damals von anderen Spielern gehört, die die gleiche Situation erlebt haben, auch aussortiert wurden, es später aber in den Profi-Bereich geschafft haben?

Hegeler: Das berühmteste Beispiel ist Marco Reus. Da habe ich bei Hallenturnieren durchaus wahrgenommen, dass der ja mal bei Dortmund war, dann aber plötzlich nicht mehr. Man hat immer mal wieder von solchen Fällen gehört, es kommt hier und da vor. Jedenfalls bin ich in meinem Fall davon überzeugt, dass ich nicht Profi geworden wäre, wäre ich damals nicht aussortiert worden.

Beim luxemburgischen Verband etwa handhabt man es mittlerweile so, dass man in bestimmten Altersklassen körperlich noch nicht so weit entwickelte Spieler in eine separate Mannschaft steckt, damit sie nicht aufgrund ihrer physischen Nachteile durchs Raster fallen. Was halten Sie von dieser Idee?

Hegeler: Grundsätzlich finde ich es gut, dass man so lange wie möglich versucht, nicht auszusortieren, sondern die Jungs weiter fördert und entwickelt. Allerdings frage ich mich, ob nicht gerade das Spielen mit den größeren, kräftigeren Jungs förderlicher ist. Gerade, weil man dann Techniken, Lösungen entwickeln muss, um trotzdem mithalten zu können. Weil man gezwungen ist, gewisse Dinge zu schulen, die man dann später hat, wenn man im körperlichen Bereich aufgeholt hat. Das Physische ist immer leichter zu lernen als das Fußballerische.

Wie war das bei Ihnen? Haben Sie aufgrund Ihrer körperlichen Nachteile noch mehr Wert darauf gelegt, fußballerisch besser zu sein als andere?

Hegeler: Ich glaube, ich war einfach dazu gezwungen. Ich konnte Offensivzweikämpfe nicht gewinnen, indem ich den Ball am Gegner vorbeigelegt habe und hinterher gelaufen bin, weil ich langsamer war. Ich musste also versuchen, Körpertäuschungen zu machen, auf die der Gegner reinfällt, oder einen guten ersten Kontakt zu haben, um den halben Meter Vorsprung zu bekommen, den ich brauchte, um die Situation aufzulösen. Darauf habe ich zwar nicht proaktiv Wert gelegt, aber das ergibt sich zwangsläufig, weil man sonst immer den Ball verliert.

Mittlerweile hat sich der Traum vom Profi-Fußball längst doch erfüllt, seit Januar spielen Sie nun beim englischen Zweitligisten Bristol City. Wie gefällt es Ihnen dort?

Hegeler: Sehr gut. Das ist ein komplett anderer Input, ein ganz anderer Fußball, der da gespielt wird. Die Liga hat 24 Mannschaften, wir haben 46 Liga-Spiele, gefühlt ist jede Woche eine Englische Woche. Insgesamt ist sehr viel Neues auf mich zugekommen: Wie trainiert wird, wie regeneriert wird, wie man mit dem straffen Programm umgeht. Bislang ist es eine sehr spannende Erfahrung, eine neue Sprache, eine neue Kultur. Ich bin froh, dass ich den Schritt gemacht habe und wir in dieser Saison die Klasse gehalten haben.

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