EXKLUSIV
Mittlerweile haben etliche arabische Spieler in der englischen Premier League Fuß gefasst. Der Ägypter Mohamed Salah sorgt beim FC Liverpool für Furore, wurde sogar zum besten Akteur der Saison 2017/18 gewählt. Riyad Mahrez, algerischer Nationalspieler, wurde Jahre vorher dieselbe Ehre zuteil, nachdem er mit Leicester City sensationell die Meisterschaft geholt hatte.
Eine Entwicklung, an die 1996, als Arsene Wenger das Trainer-Zepter beim FC Arsenal übernahm, noch nicht zu denken war – und doch ebnete der Franzose in gewisser Weise den Weg dorthin, war er es doch, der mit Jehad Muntasser den ersten verheißungsvollen Youngster aus der arabischen Welt auf die Insel lotste. Ausgerechnet zu einem Zeitpunkt, als die Gunners sich anschickten, zu einem der besten Klubs der Welt zu avancieren.
Goal"Es war 1997 und sie gewannen einfach jedes Spiel mit Ian Wright, Dennis Bergkamp, Patrick Vieira und Emmanuel Petit. Eine unglaubliche Mannschaft", erinnerte sich Jehad Muntasser einst im Gespräch mit Goal . Liam Brady, einst für Arsenal aktiv und später Jugendleiter, hatte den jungen Libyer in Italien entdeckt. Muntasser kickte damals in der Nachwuchsmannschaft von Atalanta Bergamo, war bereits als kleiner Junge aus der Heimat in die Lombardei gewechselt.
Jehad Muntasser: "Als ich 19 war, kam Liam Brady und holte mich zu Arsenal"
"Mein Vater und ich zogen aus Libyen weg und gingen nach Italien. Er wollte dort arbeiten", erklärte Muntasser und ergänzte: "Ich war sehr, sehr jung, vielleicht fünf Jahre alt. Ich bin dort aufgewachsen und durchlief alle Jugendmannschaften bei Atalanta. Als ich 19 war, kam Liam Brady und holte mich zu Arsenal."
Schon bald nach seiner Ankunft stand Muntasser dann tatsächlich für die erste Mannschaft auf dem Platz, wurde im Coca Cola Cup gegen Birmingham in der Schlussphase eingewechselt und spielte einige Minuten an der Seite von Größen wie Lee Dixon und David Platt. Ein Erlebnis, das prägenden Eindruck bei dem damaligen Youngster hinterließ: "Zumeist habe ich für die Reserve gespielt, aber einmal durfte ich für die Profis ran. Okay, es war nicht lang, aber man kann sich bestimmt vorstellen, wie es sich für einen 19-jährigen Libyer anfühlt, für einen der größten Klubs der Welt aufzulaufen. Ein unglaubliches Gefühl."
Getty Arsene Wenger (M.) mit Emmanuel Petit (l.) und Marc Overmars (r.) Vor allem an Wenger erinnert sich Muntasser noch heute ganz genau. "Er war ein sehr ruhiger Trainer und redete nicht allzu viel. Ich weiß noch, dass er stets positiv und reflektiert rüberkam und werde nie vergessen, was er mir auf den Weg mitgab, als er mich einwechselte. Er sagte: 'Bist Du bereit?' Ich antwortete: 'Ja, das bin ich.' Dann sagte er: 'Okay. Dann geh auf's Feld und zeig es.' In so jungen Jahren im Highbury aufzulaufen, war unheimlich beeindruckend."
Dennis Bergkamps Technik "nicht von dieser Welt"
Nicht nur die altehrwürdige Spielstätte hatte es ihm angetan, auch, wenn er an seine ehemaligen Mitspieler zurückdenkt, gerät der Libyer ins Schwärmen: "Besonders wahrgenommen habe ich die extrem starke Physis meiner Kollegen", sagte er und führte aus: "Marc Overmas war schnell wie eine Rakete, Petit hatte eine Pferdelunge, er rannte und rannte. Vieira war stark und groß. Die Technik, die Bergkamp besaß, war nicht von dieser Welt. Er hat mich wohl am meisten beeindruckt. Er konnte einfach alles mit dem Ball. Und Ian Wright war einfach nur ein Siegertyp, er leitete die Mannschaft in jedem Spiel und in jeder Trainingseinheit. Die Mischung machte es aus: Tony Adams war ebenfalls ein Anführer und Martin Keown unser Kämpfer."
Obwohl es für Muntasser lediglich zu ebenjenem beschriebenen Einsatz für die A-Mannschaft reichte, ließ sein Engagement bei Arsenal die libysche Presse aufhorchen. "Dieses eine Spiel katapultierte mich später in die Nationalmannschaft", sagte er. "Es waren – wie ich schon erklärt habe – nur ein paar Minuten, aber die haben ausgereicht. Ich war der erste arabische Spieler, der das geschafft hat. Das war nichts Alltägliches Ende der Neunziger. Heute spielen etliche Jungs aus dieser Region dort, aber damals niemand."
"Plötzlich bekam ich sehr viel Aufmerksamkeit eingeräumt", sagte der heute 42-Jährige und verriet: "Die libyschen Medien schrieben über mich und dann rief Al Saadi Gaddafi, der Sohn von Muammar, sogar bei meiner Familie an. Er fragte, ob ich für die Nationalmannschaft spielen würde. Bis dahin hatte ich nie darüber nachgedacht, nach Libyen zurückzukehren. Auch wegen der politischen Situation. Letztlich stimmte ich zu und machte mich wirklich gut im Nationalteam. Wir hatten eine sehr gute Mannschaft, wodurch der Fußball im Land wieder an Popularität gewann."
GoalStaatschef Muammar Al Gaddafi konnte mit Fußball hingegen nicht besonders viel anfangen, lehnte ihn sogar ab. Muntasser schilderte: "Er hatte seine eigene Meinung über Fußball, aber auch über die Gesellschaft insgesamt. Ich glaube, eines Tages durften die Spieler im TV nicht mehr beim Namen genannt werden. Sie wurden dann einfach als Nummer sieben oder Nummer acht bezeichnet." Ganz im Gegenteil zu seinem Sohn, Al Saadi, der selbst eine Karriere als Fußballprofi forcierte. "Sein Sohn brachte sehr viel Leidenschaft und Geld mit, das bedeutete eine neue Ära. Die Leute erkannten mich auf der Straße, weil wir mit der Nationalmannschaft gute Leistungen zeigten."
Gaddafis Sohn: Erst Serie A, dann Doping-Sperre
Anders als Muntasser, den es nach einem Jahr von Arsenal wegzog, standen später bei Al Saadi übrigens zwei Einsätze in einer europäischen Top-Liga zu Buche. Der offensive Mittelfeldspieler lief zweimal in der Serie A auf, spielte einmal für Udinese Calcio und mit dem AC Perugia bestritt er seine einzige Partie gegen Juventus, ehe er aufgrund einer positiven Dopingprobe gesperrt wurde. "Er spielte nur in Freundschaftsspielen für die Nationalmannschaft. Er versuchte stets, als ganz normaler Spieler wahrgenommen zu werden, aber ihm haftete immer der Ruf des Sohns von Muammar an. Das ist sicherlich keine normale Situation."
Al Saadi Gaddafi bei seiner Vorstellung in Perugia 2006 qualifizierte sich Libyen erstmals für den Afrika Cup, was gleichzeitig bis heute den größten Erfolg der Nordafrikaner darstellt. Ein Novum, das allerdings schon im Vorfeld – aufgrund der Gruppenkonstellation – zum Scheitern verurteilt war. "Wir hatten großes Pech. Mit Ägypten und der Elfenbeinküste wurden uns die beiden späteren Finalisten zugelost. Das heißt, in der Gruppenphase trafen wir bereits auf die beiden besten Mannschaften des Turniers", so Muntasser.
Besonders die fehlende Erfahrung und das mangelnde taktische Verständnis wurde der libyschen Auswahl zum Verhängnis, in Anbetracht dessen, dass die Konkurrenz mit zahlreichen Stars aus Europa aufwartete. Am Ende belegte Libyen mit einem Punkt aus drei Spielen den letzten Platz der Gruppe A. Muntasser wusste: "Schaut man sich unser Team von 2006 an, findet man viele Spieler, die technisch beschlagen waren, große Persönlichkeiten. Obwohl sie nicht in den ganz großen Ligen unter Vertrag standen. Das Problem ist, selbst, wenn man versucht, in einer solchen Mannschaft das Richtige zu tun, als Leader aufzutreten, verstehen die anderen das nicht. Das ist schlichtweg die Mentalität. Die Defensivarbeit wurde komplett vernachlässigt."
Ein klarer Vorteil für die Nationen mit gut geschulten Profis wie Yaya Toure oder Didier Drogba, die für den FC Barcelona beziehungsweise für den FC Chelsea aufliefen, um nur zwei prominente Beispiele zu nennen.
"Sie wollten dribbeln und Beinschüsse verteilen"
"Wenn man einmal in Europa gespielt hat, weiß man, dass sich nicht alles nur um Technik dreht. Es geht nicht nur um Dribblings, man muss viel kompletter sein. Dort zählen einzig und allein Erfolge, die Mannschaften werden zusammengestellt, um zu gewinnen. Gutes Verteidigen, Effektivität im Angriff, das sind die Sachen, die man lernen muss", sagte Muntasser und schob nach: "Das wurde damals von vielen arabischen Spielern nicht verstanden. Sie wollten stattdessen dribbeln, Beinschüsse verteilen oder solche Sachen. Deshalb haben wir nicht gewonnen. Noch nie hat ein arabisches Land bei einer Weltmeisterschaft oder einem anderen globalen Turnier gewonnen. Ich möchte dabei helfen, dass die Spieler sich in Libyen besser entwickeln, eine andere Mentalität an den Tag legen, wenn es ums Fußballspielen geht."
Wie angedeutet, blieb Libyens Teilnahme 2006 die einzige am größten Fußballturnier Afrikas. Zu sehr ist das Land seither damit beschäftigt, den jahrelangen Bürgerkrieg abzustreifen. Liga-Spiele finden nur unregelmäßig statt, wenn gespielt wird, sind keine Zuschauer zugelassen.

"Leider ist die derzeitige Lage in Libyen nicht besonders rosig. Die Nationalmannschaft muss ihre Heimspiele in Ägypten, Tunesien oder Algerien austragen, in den letzten fünf Jahren musste die Liga immer wieder pausieren. Ich würde sagen, dass die Situation sehr, sehr schlecht ist", sagte Muntasser und erklärte weiter: "Das größte Problem ist, dass kein Geld in die Jugendförderung investiert wird. Jeder würde zustimmen, wenn man sagt, dass Libyen aufgrund des Krieges schreckliche Jahre hinter sich hat. Die Spieler können sich gar nicht weiterentwickeln, viel mehr machen sie alle einen Schritt zurück, was die Fitness oder Organisation angeht. Das ist ja noch nachvollziehbar, aber, dass man die Jugend so sehr vernachlässigt, tut wirklich weh. Sie ist doch unsere Zukunft."
Größter Wunsch: Gebt den libyschen Kindern eine Chance
Muntasser versucht, dieser Entwicklung in der Region entgegenzuwirken, hat aus diesem Grund eine Talentshow in Dubai namens "Victorious" ins Leben gerufen, die darauf abzielt, talentierten Spieler aus der arabischen Welt eine Chance zu geben. "Mein größter Wunsch ist, dass ich meinen Teil dazu beitragen kann, eine neue Ära des libyschen Fußballs einzuläuten. Egal, ob als Verbandsmitarbeiter oder Berater. Ich möchte nur sehen, dass Kindern eine Chance gegeben wird und dass Libyen eines Tages an einer Weltmeisterschaft teilnimmt", hoffte der Ex-Profi, der nach seinem kurzen Intermezzo bei Arsenal unter anderem bei Perugia und Catania Calcio unter Vertrag stand.
"2018 habe ich wieder mit Wehmut auf die WM geschaut, wenn ich sehe, dass Tunesien, Marokko und Ägypten dabei sind. Nach all dem, was wir durchgemacht haben, wäre es schön, dass mein Heimatland sich zurückkämpft."
Und so lebt am Ende nur die große Hoffnung, die Hoffnung auf Veränderung. Muntasser, der vor 22 Jahren mit einem der größten Trainer der jüngeren Vergangenheit zusammenarbeitete, betonte abschließend: "Fußball ist groß in der arabischen Welt. Er benötigt allerdings ein vernünftiges Management." Ob er den Libyern die Freude am populärsten Sport der Welt zurückschenken kann?


