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Italiens endloses Exil: Wie ein viermaliger Weltmeister vom Weg abkam

Es ist mehr als elf Jahre her, seit Uruguays Diego Godín 2014 in Brasilien mit seinem Kopfballtor die italienische Nationalmannschaft unter Trainer Cesare Prandelli in der Gruppenphase aus dem Turnier warf. In diesem Moment hätten sich nur wenige – vielleicht sogar niemand – vorstellen können, dass Italien auch zwölf Jahre später vielleicht nicht an einer WM teilnehmen würde; auch für die Endrunde in den USA, Kanada und Mexiko ist Italien noch nicht qualifiziert, ob die Azzurri dabei sein werden, entscheiden die Play-offs. Es droht die dritte Blamage hintereinander.

In den Jahren seit 2014 erreichten die Azzurri den Tiefpunkt ihrer Geschichte, als sie 2017 – zum ersten Mal seit 59 Jahren – die Qualifikation für eine Weltmeisterschaft durch die Play-off-Niederlage gegen Schweden verpassten. 2022 machte Italien dann der Fußball-Zwerg Nordmazedonien einen Strich durch die Rechnung auf dem Weg zur Endrunde in Katar. Und das, obwohl Italien amtierender Europameister war.

Der EM-Titel 2021 sollte zu einem Neuanfang werden – der Beginn einer Renaissance der Squadra Azzurra. Doch nach dem plötzlichen Ende der Amtszeit von Roberto Mancini, der im August 2023 aus dem Nichts den Verlockungen der saudi-arabischen Millionen erlag, konnte nicht einmal Top-Trainer Luciano Spalletti, der zuvor Napoli zur Meisterschaft geführt hatte, die Nationalmannschaft wiederbeleben.

Bei der EM 2024 in Deutschland schied man im Achtelfinale gegen die Schweiz aus und hinterließ einen furchtbaren spielerischen Eindruck. Darauf folgte das Ausscheiden im Viertelfinale der Nations League gegen die DFB-Elf, was den Weg für einen katastrophalen Start in die nächste WM-Qualifikation ebnete. Nach einer schweren 0:3-Niederlage in Norwegen und einem knappen Sieg gegen Moldawien war für Spalletti Schluss - und Nachfolger Gennaro Gattuso hatte auch wegen der fast schon unheimlichen Stärke Norwegens, das alle Qualispiele gewinnen sollte, fast nicht mehr die Möglichkeit, sich direkt für die WM 2026 zu qualifizieren.

Spalletti ItalyGetty Images

Statt eigene Talente zu entdecken, versuchen sich die Italiener an seltsamen Managementmodellen

Sind das einfach nur ein paar schlechte Ergebnisse, die man so hinnehmen muss, die einfach mal vorkommen? Kann das Schicksal einen viermaligen Weltmeister einfach aus Zufall untergehen lassen? Und kehrt Italien vielleicht nur wegen einer Laune des Schicksals erst 2030, dann nach langen 16 Jahren des Wartens auf die WM-Bühne zurück?

Nein. Die Gründe für diese lange Krise, die vielleicht die tiefste ist, die Italiens Fußball jemals erlebt hat, sind vielfältig und tiefgreifend. Sie sind schlimmer als die dunklen Jahre 1954, 1962 und 1966, als früh Schluss war bei der WM, oder die verpasste Endrunde von 1958. Sie liegen in strukturellen Schwächen begründet, in der Unfähigkeit, sich an die Veränderungen anzupassen, die den Fußball sowohl taktisch als auch physisch verändert haben.

Noch schwerwiegender ist jedoch, dass Italien seine eigene Fähigkeit, Talente zu entdecken und zu fördern, aufgegeben und sich Managementmodelle zu eigen gemacht hat, die eindeutig keine guten Ergebnisse erzielen.

Die WM 2006 in Berlin als Ende einer Ära 

Der außergewöhnliche WM-Sieg 2006 in Deutschland war der Höhepunkt einer Generation außergewöhnlicher Spieler – Gigi Buffon, Alessandro Nesta, Fabio Cannavaro, Andrea Pirlo, Francesco Totti, Alessandro Del Piero, um nur die bekanntesten zu nennen. Sie waren schon bei den vorangegangenen Turnieren stark und spielten Hauptrollen in ihren erfolgreichen Vereinen.

Gleichzeitig markierte der Final-Sieg im Elfmeterschießen gegen Frankreich im Berliner Olympiastadion auch das Ende einer großen Ära. Danach verschlechterten sich nicht nur die Ergebnisse der Nationalmannschaft, sondern auch den italienischen Vereinen gelangen keine großen internationalen Erfolge mehr. AC Milan gewann 2007 sowohl die Champions League als auch die Klub-Weltmeisterschaft - Doch seit 2010, dem Jahr des Triumphs von Inter Mailand, ist kein italienisches Team mehr CL-Sieger geworden.

Italy World Cup 2006Getty Images

In derselben Zeit gab es auch das erste große Warnsignal für die Nationalmannschaft: Die katastrophale Weltmeisterschaft 2010 in Südafrika, bei der der amtierende Weltmeister unter Trainer Marcello Lippi frühzeitig ausschied. Seitdem haben die Vereine der Serie A vier Champions-League-Finals erreicht (zweimal Juventus, zweimal Inter), zwei Europa-League-Finals (eines verlor die AS Roma 2023 im Elfmeterschießen gegen den FC Sevilla, eines gewann Atalanta 2024 spektakulär gegen Leverkusen) und drei Conference-League-Finals in Folge: Die AS Roma gewann 2022 die erste Ausgabe, die Fiorentina unterlag 2023 und 2024.

Darüber hinaus gab es nur sehr wenige prestigeträchtige Siege für Vereine und die Nationalmannschaft. Es besteht das Gefühl, dass sich die Kluft zur europäischen Elite seit der goldenen Ära der 1990er und frühen 2000er Jahre nicht nur vergrößert hat, sondern ein gewaltiger Graben entstanden ist.

Die Serie A macht zu wenig aus ihren Einnahmen

Ein Vergleich mit der Premier League ist mittlerweile fast unmöglich. Die englische Spitzenliga hat eine unüberbrückbare Kluft geschaffen. Sie hat als erste die beinahe kopernikanische Revolution begriffen, die durch den Zufluss von Milliarden aus Fernsehsendern und globalen Investoren ausgelöst wurde. Die Vereine waren gezwungen, sich neu zu erfinden, nicht mehr als Sportvereine, sondern als echte Unterhaltungsunternehmen zu handeln. Sie investierten zunächst in moderne Stadien, die neue Einnahmequellen erschließen sollten (wie Merchandising, Restaurants, Geschäfte, Veranstaltungen), und dann in die Verpflichtung der besten Spieler und Trainer, die auf dem Markt verfügbar waren.

In Italien hingegen führte der Geldsegen aus den Fernsehrechten – zunächst in Lire, dann in Euro – zu einem Teufelskreis, da sich die Vereine auf kurzfristige Ausgaben konzentrierten, anstatt eine nachhaltige Zukunft aufzubauen. Sie ignorierten die alternde Infrastruktur und versäumten es, ihre Stadien zu modernisieren. Und sie stellten die Investitionen in die Nachwuchsförderung ein - die eigentliche Grundlage für die Zukunft des italienischen Fußballs und der Nationalmannschaft.

Der plötzliche Zufluss riesiger Geldsummen Anfang der 1990er Jahre fiel mit einer weiteren historischen Wende zusammen: dem Bosman-Urteil von 1996. Es löste eine unkontrollierte Jagd nach ausländischen Stars – oder vermeintlichen Stars – aus. Aber es veränderte den italienischen Fußball tiefgreifend. Ganze Nachwuchszentren, die einst dafür bekannt waren, einheimische Talente hervorzubringen, wurden mit jungen Spielern aus allen Teilen der Welt gefüllt - die oft eher aus wirtschaftlichen Gründen als aufgrund ihrer Leistung ausgewählt wurden. Jugendtrainer, die unter dem Druck standen, zu gewinnen und die Karriereleiter zu erklimmen, gaben die Mission auf, durch Sport gute Spieler (und Menschen) zu entwickeln.

Das ist einer der Hauptgründe für die Krise der letzten zwei Jahrzehnte und insbesondere der letzten elf Jahre, der Zeit zwischen den letzten beiden WM-Teilnahmen Italiens. Wie ist es möglich, dass ein Land, das in der Nachkriegszeit Spieler von höchstem Niveau hervorgebracht hat, nun Schwierigkeiten hat, eine Top-Mannschaft zusammenzustellen?

Arsenal v Crystal Palace - Premier LeagueGetty Images

Gigi Donnarumma ist der letzte echte Champion mit italienischem Pass

In den letzten Jahren haben die italienischen Ligen großartige Spieler hervorgebracht, die sich dann jedoch fürs Ausland entschieden: Dazu zählen Marco Verratti, Gianluigi Donnarumma, Riccardo Calafiori, Guglielmo Vicario, Sandro Tonali, Destiny Udogie und in jüngerer Zeit Federico Chiesa, Giacomo Raspadori, Matteo Ruggeri und Giovanni Leoni. Einst wollten sich italienische Stars lieber in der Serie A beweisen, das Gehalt stimmte, der Sprung ins Ausland war unangenehm - nur einige wie Gianluca Vialli, Paolo Di Canio, Gianfranco Zola in England oder Christian Vieri in Spanien wurden anderswo glücklich.

NEs ist kein Zufall, dass Italiens letzter großer Triumph bei der EM 2021 auf einer Handvoll Spieler beruhte, die im Ausland gewachsen und gereift waren, wie Donnarumma und Verratti, die prägende Figuren von PSG waren oder Jorginho, der die Fäden bei Chelsea zog. Deren Erfahrungen außerhalb der Serie A ermöglichte es ihnen, sich zu verbessern.

Auch vier Jahre später sind einige der besten Spieler nicht in der Serie A aktiv: Donnarumma ging nach dem CL-Titel mit PSG zu Manchester City, Calafiori spielt bei Arsenal und Tonali bei Newcastle.

Alle sind gute oder sogar sehr gute Spieler, aber abgesehen von Donnarumma können nur wenige wirklich als Champions bezeichnet werden. Italienische Weltklasse-Spieler sind eine Seltenheit geworden.

Unter den aktuellen Spielern ist es schwierig, abgesehen von Donnarumma einen einzigen Spieler zu finden, der sich in einem europäischen Top-Club als Stammspieler etablieren konnte. Dieser Mangel an Qualität spiegelt ein System wider, das nicht mit der Zeit geht; eine Fußballkultur, die es versäumt hat, reines Talent in den Mittelpunkt ihres Denkens zu stellen oder Mut zu zeigen.

Italy v Estonia - FIFA World Cup 2026 QualifierGetty Images

Pio Esposito und Camarda: Neue Hoffnungsträger am Horizont?

Viele landen trotz vielversprechender Leistungen in den Jugendmannschaften nur in der Serie B oder Serie C oder gehen ins Ausland. Auch Francesco Pio Esposito, Inters neuer Sturmstar, musste sich in der vergangenen Saison bei Spezia beweisen und gehört nun zum Kader der A-Nationalmannschaft. Der 2005 geborene Stürmer wird bereits mit früheren Größen der Azzurri wie Vieri und Luca Toni verglichen, bleibt aber eine Ausnahme und kein Trend in einer Fußballkultur, die Jugend immer noch als Schwäche betrachtet.

Ein weiterer Spieler ist Giovanni Leoni, Italiens neue Defensiv-Hoffnung. Bevor er sich bei seinem Debüt für Liverpool im Carabao Cup eine schwere Verletzung zuzog, hatte er bei Parma beeindruckt und einen Transfer-Poker zwischen Inter und Milan ausgelöst. Der 2006 geborene Spieler wurde für 31 Millionen Euro zu Liverpool transferiert.

Francesco Camarda von Milan wurde vor wenigen Monaten zum jüngsten Debütanten der Geschichte der Serie A. Unter der Anleitung von Zlatan Ibrahimović wurde er nun an Lecce ausgeliehen, um in einem ruhigeren Umfeld Erfahrungen zu sammeln. Nachdem er 2024 mit der italienischen U17-Europameistermannschaft geglänzt hatte, ist es sein Ziel, nach Mailand zurückzukehren und eine Option für die Nationalmannschaft zu werden - vielleicht bei der Euro 2028 oder der Weltmeisterschaft 2030.

Esposito, Leoni und Camarda: drei Gesichter der italienischen Fußballzukunft, aber auch Talente, die Schwierigkeiten haben oder hatten, Fuß zu fassen. Die Leidenschaft einer neuen Generation von Fans wieder zu entfachen, wird auch zu ihrer Aufgabe. Denn es hat sich ein weiterer besorgniserregender Trend abgezeichnet: Immer weniger junge Italiener entscheiden sich für den Fußball als Lieblings-Sportart. Der Aufstieg neuer Nationalhelden in anderen Disziplinen hat die Aufmerksamkeit verlagert, mit Jannik Sinner, Lorenzo Musetti und Matteo Berrettini als Leitfiguren des Tennis, Sofia Goggia und Federica Brignone im Skisport und dem Wiederaufleben der italienischen Volleyballmannschaften.

Gennaro Gattuso ItalyGetty Images

Der Moment der Wahrheit für den italienischen Fußball ist jetzt gekommen

In diesem von Widersprüchen und Schwierigkeiten geprägten Umfeld musste Nationaltrainer Gattuso dem enormen Druck trotzen. Ein weiterer Misserfolg wäre der endgültige Todesstoß für ein politisches und administratives System, das in den letzten Jahren enttäuschende Ergebnisse und nur sehr wenige strukturelle Reformen hervorgebracht hat. Wichtig ist auch die Umsetzung eines seit Langem versprochenen Gesetzes über Stadien – eine Reform, die für die Modernisierung der italienischen Infrastruktur vor der Europameisterschaft 2032 in Italien und der Türkei essentiell ist. Die lange und ermüdende Saga um das neue San Siro in Mailand und die Stadionprojekte in Bologna, Florenz, Rom und Neapel sind fast genauso wichtig geworden wie die Vermeidung einer dritten WM-Quali-Blamage in Serie.

Der Moment der Wahrheit für den italienischen Fußball ist jetzt gekommen.

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