HINTERGRUND
Dieses Bild hatte Symbolcharakter: Im Trainingslager im schweizerischen Bad Ragaz veranstaltete Borussia Dortmund ein Drachenbootrennen. Mehrere Boote gefüllt mit Spielern, Trainern und Betreuerteam. In dem einen Boot nahm Trainer Peter Bosz ganz vorn Platz - an der Trommel. Er war der Taktgeber seines Teams, das übrigens gewann. So soll es auch in der Saison laufen: Bosz gibt den Schlag vor, sein Team reagiert und fährt die Siege ein. Aber ist die BVB-Mannschaft schon so weit? Hat sie schon die Philosophie des Niederländers verstanden?
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Gerade einmal vier Sekunden lässt er seinen Spielern Zeit, einen verloren gegangenen Ball wieder zurückzuerobern. Immer wieder unterbricht er deshalb in Trainingseinheiten die Übungen. Ihm passt es nicht, wie zu Werke gegangen wird. Oft waren die Erklärungen in den vergangenen Wochen länger als einzelne Übungen. Taktikschulung deluxe. "Es gab in den vergangenen beiden Jahren Automatismen, die müssen sich jetzt erst einmal wieder ändern", sagte Marcel Schmelzer dazu. "Das ist aber kein großes Hexenwerk." So hatten die vielen Erklärungen und Taktikstunden ein Ziel: Die Mannschaft soll seine Philosophie perfekt verinnerlichen. Denn nur dann kann dieses aggressive Pressing gepaart mit Ballbesitzfußball funktionieren. Ansonsten wären die Dortmunder in der Defensive zu anfällig.
Kein Grund zur Beunruhigung
Die bisherigen Testspiele und der Supercup gegen den FC Bayern am vergangenen Wochenende haben bisher noch nicht dazu beigetragen, dass im Umfeld der Borussia Wunderdinge erwartet werden. Zu wechselhaft waren die Leistungen der Dortmunder. Mal haperte es am Spielaufbau und somit am nötigen Druck in der Offensive. Mal funktionierte die Defensivarbeit nicht annährend so gut, wie Bosz sich das vorstellt. Grund zur Beunruhigung sieht Bosz vor dem ersten echten Pflichtspiel am Samstag im DFB-Pokal beim FC Rielasingen-Arlen aber nicht. "Wir müssen noch besser werden. Aber das werden wir auch", sagte er.
Die Ansätze sind durchaus vorhanden. Gegen den Rekordmeister funktionierte das von Bosz geforderte Gegenpressing zumindest in den ersten 15 Minuten herausragend. Der FC Bayern konnte sich kaum vom großen Druck der Dortmunder befreien. Folgerichtig erzielte Christian Pulisic das 1:0 für den BVB. "Das war genau so ein Tor, wie wir es gerne sehen möchten", sagte Bosz später. Doch im weiteren Verlauf des Spiels blieb davon nicht mehr viel übrig und der BVB offenbarte die Anfälligkeit dieser Spielweise, wenn nicht alles perfekt funktioniert: Fehler im Aufbau- und Stellungsspiel bedeuten, dass der Gegner schnell vor das eigene Tor kommt.
Dabei fordert Bosz das von seinem Team. Beim Ballverlust soll der BVB so schnell wie möglich wieder an den Ball gelangen, um dann die Unstrukturiertheit des Gegners auszunutzen. Nahezu perfekt gelang dies im Supercup beim 2:1 für die Borussia, als Pierre-Emerick Aubameyang nur 13 Sekunden nach Ballgewinn das Tor erzielte.
Defensive Absicherung bereitet Probleme
Nuri Sahin, der unter Bosz allem Anschein nach wieder eine wichtigere Rolle einnehmen wird als noch unter Thomas Tuchel, weiß, dass noch nicht alles perfekt läuft. "Wir brauchen sicher noch Zeit, um die Vorstellungen des neuen Trainers zu trainieren. Um sie zu verstehen. Die zwei Wochen bis zum Liga-Start sind für uns extrem wichtig", sagte er nach dem Supercup. Die erste Woche ist nun vorbei. Im DFB-Pokal gegen den Underdog sollte die Borussia keine Probleme bekommen. Aber reicht es auch schon in der Bundesliga gegen den VfL Wolfsburg am ersten Spieltag? Bis dahin muss die Bosz-Philosophie noch besser greifen.
Vor allem muss die defensivere Absicherung besser funktionieren als in Teilen der Vorbereitung. Immer wieder schafften es Gegner, die Linien schnell zu überspielen, was auch daran lag, dass die Abstände zwischen Innenverteidigern und Mittelfeldspielern zu groß waren. So kamen die Gegner schon mit einem gewissen Tempo auf die letzte Reihe zu, bevor diese reagieren konnte. "Wir wissen, dass es schwer wird, wenn wir zwei Sekunden zu spät am Mann sind", sagte Sokratis.
Getty ImagesAngriff erfolgreich abgeschlossen: Pierre-Emerick Aubameyang (r.) erzielte das 2:1 im Supercup
Dass es Zeit benötigt, ist auch Bosz bewusst. Bei Ajax brauchte das Team in der vergangenen Saison relativ lange, drehte dann aber richtig auf. Ajax erreichte das Europa-League-Finale und verpasste die niederländische Meisterschaft nur um einen Punkt. "In Israel bei Maccabi Tel Aviv ging das übrigens viel schneller als im vergangenen Jahr bei Ajax. Das hängt von vielen Faktoren ab", sagte er. Für seine aktuelle Mannschaft ist er optimistisch. "Wir haben sehr gute Spieler, aber die Akzente im Spiel sind andere. Es wird wichtig sein, dass die ganze Mannschaft das gemeinsam umsetzt. Wenn man diese aggressive Spielweise mit viel Druck nicht gemeinsam umsetzt, dann gibt es Probleme", sagte Bosz.
Bosz will attraktiven Fußball
Die Spieler gehen davon aus, dass sie die neue Philosophie, die so stark auf Ballbesitz, Spielkontrolle und Gegenpressing beruht wie sonst nur beim FC Barcelona, beim BVB umsetzen können. "Wenn man seine Vergangenheit anschaut, kann man sich auf attraktiven Fußball freuen", sagte Innenverteidiger Marc Bartra kürzlich der Bild . Und auch Bosz ist zuversichtlich, dass die Zuschauer nach Spielen zufrieden nach Hause gehen werden. "Wenn ich zum Fußball gehe, möchte ich auch guten Fußball sehen. Ich versuche, immer mit meiner Mannschaft zu gewinnen, aber auch guten Fußball zu zeigen. Als ich Trainer wurde, habe ich gesagt: Wenn ich 90 Minuten zugucke, dann will ich auch Vergnügen haben. Vergnügen habe ich vor allem, wenn ich gewinne, aber auch, wenn ich guten Fußball zeige. Das habe ich immer versucht zu erreichen. Guter Fußball ist, wenn die Fans sich amüsieren", sagte der Niederländer. Den ersten Beweis müssen er und seine Mannschaft nun im DFB-Pokal erbringen.


